Ghazaleh Nassibi und Jana Kemter über das exil-iranische Filmfest in Berlin

»Uns geht es konkret um die Lage im Iran«

Vom 22. bis zum 24. Januar findet in Berlin das Filmfestival »Ein Blick in die Freiheit – Widerstand durch iranisches Kino im Exil« statt. Die Jungle World sprach mit Ghazaleh Nassibi und Jana Kemter, den Organisatorinnen des Festivals.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Festival zum iranischen Kino im Exil zu organisieren? Wegen der Proteste im Iran?
Ghazaleh Nassibi: Ja, als im Juni die erste Welle der neuen Proteste im Iran begann, habe ich das auch wegen meiner familiären Verbindungen zum Iran intensiv verfolgt. Ich habe die ganze Zeit Youtube-Filme geschaut und die Aufregung bei meinen Eltern und bei mir selbst gespürt. Mir war klar, mit diesem Aufbegehren kommt alles hoch, was sich seit 30 Jahren angestaut hat. Ich wusste zwar nicht genau, was das für Leute sind, die auf die Straße gehen, dennoch hat mich das alles sehr beschäftigt. Nach einer Weile war es frus­trierend, nur passiv Filme im Internet anzusehen und Artikel über Mailverteiler zu schicken.
Jana Kemter: Ich habe gerade ein Projekt bei der Hans-Böckler-Stiftung abgeschlossen und wusste, dass Stipendiatinnen dort die Finanzierung politischer Projekte beantragen können. Ich wurde immer wieder von Leuten aus verschiedensten Teilen der linken Szene auf das Thema angesprochen, allerdings fand ich die Debatten oft problematisch, da dabei Menschen aus dem Iran meist nicht zu Wort kamen. Wir wollten dann gemeinsam ein Forum schaffen, auf dem sich Exil-Iranerinnen und Exil-Iraner zu Wort melden können.
Film- und Kulturfestivals zum Iran gibt es viele. Was unterscheidet Ihr Programm von anderen Kulturveranstaltungen zum Iran?
Nassibi: Viele der von uns gezeigten Filme behandeln die Situation der Frauen unter der islamischen Moral im Iran, es geht um Flucht, Mi­gration, Vertreibung, um Homosexualität, poli­tische Gefangenschaft und auch Prostitution. Also Themen, die in staatlichen Produktionen und in den Filmen, die auf Festivals wie der Berlinale laufen, oft ausgeblendet werden. Was die Filmemacherinnen und Filmemacher angeht, war klar, dass es uns um Leute ging, die im Exil leben, die den Iran also aus politischen Gründen verlassen haben und auch keine Kontakte dorthin pflegen, dergestalt, dass sie hin- und herfahren. Wir wollten Leute fördern, die ihre Filmkunst als politisches Ausdrucksmittel verstehen. Die meisten verfügen auch nur über wenig finanzielle Mittel und haben normalerweise kein Forum, über das sie wahrgenommen werden.
Die Filme, die wir zeigen, haben nicht die staat­liche Zensur im Iran durchlaufen. Sie sind im Exil entstanden. Oder sie wurden im Iran gedreht, zum Teil mit versteckter Kamera, und dann außer Landes geschmuggelt und im Exil fertiggestellt. Letztere bilden ein eigenes Genre, das iranische Untergrundkino, welches bei uns durch die Filme von Moslem Mansouri vertreten ist. Aus dem Rahmen fallen nur »Fremde Haut«, eine deutsche Produktion, in der die Flucht einer lesbischen Frau aus dem Iran und die deutsche Flüchtlingspolitik thematisiert werden, und »The Birthday«, ein iranisch-niederländischer Dokumentarfilm über Transsexualität im Iran. Dieser Film dient als Auftakt für unsere Podiumsdiskussion.
Bei der erwähnten Podiumsdiskussion am Samstag geht es um Frauen, Homosexuelle und Transsexuelle. Warum dieser Fokus?
Nassibi: Wir wollen auf dem Festival mit einem säkularen Blick vor allem die gesellschaftlichen Gruppen betrachten, die der islamischen Moral nicht entsprechen. Und die das oft mit ihrem Leben bezahlen müssen. Die Situation von Frauen und Homosexuellen ist repräsentativ für die Gewalt und die Unterdrückung im Iran, und wir wollen an diesen Beispielen über die Frage diskutieren, ob eine echte Veränderung innerhalb des bestehenden islamischen Systems überhaupt möglich ist. Das Thema Transsexualität im Iran ist interessant, da Geschlechtsumwandlungen im Iran legal sind. Diesen scheinbaren Widerspruch wollen wir mit Expertinnen diskutieren. Vielleicht ist Transsexualität im Iran ja nur ein Weg, um Homosexualität leben zu können.
Machen die exil-iranischen Filmemacher ganz andere Filme als die iranischen Filmemacher?
Nassibi: Sie stellen Filme her, deren Themen für das System unangenehm sind, sie legen den Finger in die Wunde. Das läuft quer zu dem, was mit dem staatlich geförderten Kulturaustausch bezweckt werden soll, der zwar auch ab und an sozialkritische Filme enthält, aber keine systemkritischen Filme. Die Exil-Filme stellen die Realität im Iran unbeschönigt dar. Das allerdings gefällt auch den offiziellen deutschen Stellen nicht, da sie mit solchen Filmen ihre politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran nicht rechtfertigen können.
Kemter: Ich denke, gerade für Exilanten ist die Finanzierung eines großen Filmprojektes mit großen Schwierigkeiten verbunden, zumal Filmför­derung oft mit Interessen und Einflussnahme verknüpft ist. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass etwa Arash T. Riahi, der für »Ein Augenblick Freiheit« Filmförderung bekommen konnte, jemand aus der zweiten Generation ist.
Von Befürwortern des Kulturaustausches mit dem Iran wird oft argumentiert, dass iranische Filme trotz Zensur für kritische Betrachter mehr über die Realität im Iran transportieren als Exil-Produktionen von Leuten, die zum Teil schon sehr lange nicht mehr im Iran waren.
Nassibi: Es ist absurd zu glauben, dass Filme, die durch das Zensursystem gehen und alle Kriterien erfüllen, damit sie auf europäischen Filmfestivals gezeigt werden, kritisch oder subversiv über die Realität im Iran berichten können. Zum Teil handelt es sich um Filme, die im Iran gar nicht gezeigt werden dürfen. Sie werden gezielt für das westliche Publikum produziert, um ein offenes Kulturleben und einen lebhaften Austausch vorzutäuschen.
Produziert die iranische Filmindustrie also erfolgreiche Propaganda für das iranische Regime?
Nassibi: Viele diktatorische Systeme nutzen Mittel der Kunst und des Films für ihre Propaganda, auch im Dritten Reich war der Film für Joseph Goebbels ein wichtiges Mittel, um die national­sozialistische Ideologie zu verbreiten. Die staatlich produzierten iranischen Filme sind nicht ­politikfreie Kunst, sondern Mittel zum Zweck, mit denen das Bild einer weltoffenen und pluralen Gesellschaft gezeichnet werden soll. Ähnlich ist es beim Austausch von Theatergruppen, die aus dem Iran nach Deutschland reisen und umgekehrt. Dabei werden dann vielleicht im Iran Stücke von Brecht aufgeführt, allerdings nur, weil Mutter Courage dabei ein Kopftuch trägt – die sozialen Realitäten, die Menschenrechtslage oder die Rolle des Islam werden nicht thematisiert.
Kemter: Für Leute wie den Berlinale-Intendanten Dieter Kosslick sind staatlich abgesegnete Produktionen natürlich auch ein einfacher und bequemer Weg, sein Programm auch mit Filmen aus dem Iran zu füllen. Sich mit den Produktionsbedingungen im Iran und der systemstabilisierenden Rolle der Filme auseinanderzusetzen, wäre viel aufwendiger.
Werden sich die Youtube-Bilder aus dem Iran auf diese Art des Kulturbetriebs auswirken?
Nassibi: Diese Filme können nicht einfach zensiert oder verboten werden, es ist nun für alle offensichtlich, was im Iran passiert. Ein Dieter Kosslick wird in Zukunft unter größerem Rechtfertigungsdruck stehen, wenn er weiterhin staatliche Produktionen auf seinem Festival laufen lässt.
An wen richtet sich das exil-iranische Festival? An die in Berlin lebenden Exil-Iraner?
Nassibi: Wir wollen einen Austausch zwischen der deutschen und exil-iranischen Community herstellen, und es wäre schön, wenn sich die Exil-Iranerinnen und Exil-Iraner untereinander verständigen und einige ihrer politischen Spaltungen überwinden könnten – wobei es mir aber auch wichtig ist, mich von der »Grünen Bewegung« abzugrenzen, weil Teile dieser Bewegung selbst das System im Iran mitaufgebaut haben. Mir geht es um den säkularen Teil der Bewegung. Und ich hoffe, dass der sich zusammenrauft.
Welche Rolle spielt denn der Islam in den Filmen des Festivals? Könnte es sein, dass der ­Islam für die Entwicklung im Iran wichtiger ist, als es säkulare Exilanten wahrhaben wollen?
Nassibi: Mag sein, dass die Religion insbesondere beim harten Kern der Grünen Bewegung im Umfeld von Mousavi eine Rolle spielt. Die Proteste beschränken sich aber längst nicht mehr nur auf diese Leute. Ich denke, gerade junge Leute merken – auch wegen der letzten Statements von Mousavi, in denen er zwar einzelne Veränderungen gefordert hat, aber zum Beispiel die Institu­tion des Wächterrats als zentrales undemokratisches Element des Systems unangetastet lassen möchte –, dass die von ihnen erwünschte grundlegende Veränderung mit Mousavi nicht zu haben ist. Meinem Eindruck nach wird im Iran zunehmend die Systemfrage gestellt. Bei uns auf dem Festival bezieht sich der größte Teil der Filme sehr kritisch auf die Religion, sie wird als Ursache der Unterdrückung von Frauen oder Homose­xuellen benannt. Ein Film, »Die Seepferde«, das Erstlingswerk von Rahman Milani, bezieht sich auch positiv auf Religion, aber als Teil des Privatlebens, nicht als staatliche Religion.
Im Titel des Festivals heißt es »Widerstand durch iranisches Kino im Exil« – ist das Kino wirklich so wichtig für den Widerstand? Wenn die Lage so revolutionär ist, warum machen Sie dann ein Filmfestival – und nicht etwa eine politische Konferenz?
Nassibi: Wir denken, mit einem Filmfestival andere Leute erreichen zu können, die sich von einer politischen Konferenz nicht unbedingt angesprochen fühlen würden. Mit den Vorträgen zum iranischen Kino im Exil und zum Untergrundkino im Iran sowie mit der Podiumsdiskussion wollen wir für eine politische Debatte sorgen. Andererseits ist das ganze Projekt auch in eine sehr polarisierte Debatte innerhalb der deutschen Linken eingebettet, bei der wir uns keiner Richtung richtig zugehörig fühlen. Zum einen gibt es die, die sich dem Thema über den Antisemitismus und die Atompolitik des Iran annähern. Wir sehen zwar auch die Relevanz dieser Themen, für uns liegt aber der Fokus auf der innenpolitischen Lage im Iran. Uns geht es konkret um die Menschenrechtssituation und die Rolle des Islam.
Auf der anderen Seite gibt es die Position, die sich mit einem antiamerikanischem Blick der Bewegung im Iran nähert und sie etwa als pro-kapitalistisch kritisiert und auch – durchaus richtig – die Gefahr eines militärischen Angriffs auf den Iran thematisiert. Doch auch das ist uns zu eindimensional und blendet die berechtigten Wünsche der Menschen nach Veränderung im Iran aus. Viele haben nach 30 Jahren die islam­ische Diktatur einfach satt.
Kemter: Das Festival ist in erster Linie eine Solidaritätsveranstaltung für die Menschen im Exil, aber auch für die im Iran. Wir hören immer wieder, wie wichtig es für die Bewegung im Iran ist, zu sehen, dass auch in anderen Ländern etwas passiert, um Kraft daraus zu schöpfen und zu sehen, dass es sich lohnt, weiterzumachen.

Festival-Programm: www.regenbogenkino.de