Über die neue britische Regierung

Die Koalition der Privatschüler

Der neue britische Premierminister David Cameron führt mit den Liberaldemokraten die erste Koalitionsregierung seit 65 Jahren. Er hat vor allem eine Priorität: die Sanierung der Staatsfinanzen.

Beinahe alle britischen Tageszeitungen zeigten am vergangenen Donnerstag das gleiche Bild auf der Titelseite. Der neue Premier David Cameron und sein Vize Nick Clegg von den Liberaldemokraten posierten gut gelaunt bei ihrer ersten Pressekonferenz im sonnigen Rosengarten von 10 Downing St. Dies sei ein »Love-In«, eine »Homo-Ehe«, scherzten die britischen Medien.
Die Chemie zwischen den beiden Männern stimmt, so viel scheint sicher zu sein. Nach den Wahlen hatte Clegg vor der Alternative gestanden, entweder mit Cameron oder mit dem Alt­pre­mier Gordon Brown eine Koalitionsregierung auszuhandeln. Dass Clegg sich für Cameron entschied, wird nicht zuletzt daran gelegen haben, dass die beiden Männer sich in mancher Hinsicht ähnlich sind. Beide sind relativ jung und kommen aus privilegierten Familien. Ihre Ausbildung absolvierten sie in den britischen Elite-Institutionen, wo sich beide früh auf eine politische Karriere vorbereiteten. Nick Clegg, der nach seinem Studium in Brüssel für den damaligen konservativen Kommissar Leon Brittan arbeitete, wird innerhalb der Liberaldemokraten dem rechten Spektrum zugeordnet. Cameron gilt bei den Konservativen als Liberaler. Eine gewisse Affinität zwischen den beiden Parteiführern könnte hilfreich sein, denn die Probleme in der Koalition werden nicht lange auf sich warten lassen. Die neue Regierung steht vor der Herausforderung eines massiven Haushaltsdefizits von über 120 Milliarden Pfund. Der EU-Kommission zufolge wird Großbritannien in diesem Jahr mit über zwölf Prozent Defizit sogar Griechenland übertrumpfen. Obwohl die britische Gesamtschuldenrate noch relativ niedrig ist, könnte es über kurz oder lang zu einer Abwertung der britischen Kreditwürdigkeit kommen.

Der Koalitionsvertrag sieht ein Notfallbudget vor, das der neue Finanzminister George Osborne innerhalb von 50 Tagen vorlegen will. Geplant sind Einsparungen von sechs Milliarden Pfund. Geld will die neue Regierung sparen, indem zum Beispiel den Besserverdienenden das Kindergeld gestrichen wird. Die Konservativen haben ihre Änderungspläne zur Erbschaftssteuer, von der die Reicheren profitiert hätten, aufgegeben. Dafür wurde eine Schlüsselforderung der Liberalen zugunsten von Niedrigverdienern beschlossen, die Erhöhung des Steuerfreibetrages auf 10 000 Pfund. Außerdem plant die neue Regierung eine drastische Erhöhung der Kapitalertragsteuer von derzeit 18 auf 40 Prozent, wiederum vor allem zu Lasten von Besserverdienenden. Auch eine Bankenabgabe ist im Koalitionsvertrag angekündigt. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die nicht im Koalitionsvertrag erwähnt wird, gilt derweil als wahrscheinlich, nicht zuletzt, weil diese erhebliche Mehreinnahmen bringen würde.
Ein Großteil der geplanten Einsparungen wird vermutlich den öffentlichen Dienst betreffen. Mögliche Gehaltskürzungen sollen allerdings auch hier vornehmlich die höheren Lohngruppen treffen. Neben einer sozial ausgeglichenen Steuerpolitik hatten die Liberaldemokraten im Wahlkampf vor allem auf eine Reform des Wahlrechts gepocht. Hier konnten sie einen eher fragwürdigen Erfolg verbuchen. Die Konservativen akzeptierten den Vorschlag, ein Referendum abzuhalten, wobei nicht über die Einführung eines Verhältniswahlrechts abgestimmt wird, sondern lediglich über eine veränderte Form des Mehrheitswahlrechts. Demnach müssten Wahlkreiskandidaten in Zukunft eine absolute Mehrheit der Wählerstimmen gewinnen, um gewählt zu werden. Die Wähler können nicht nur einen Kandidaten auswählen, sondern in einer Rangfolge mehrere. Dieses neue Wahlrecht würde kleineren Parteien und auch den Liberaldemokraten kaum Vorteile bringen. Die Konservativen sind weiterhin gegen jede Änderung des Wahlrechts und wollen im Referendum für eine Ablehnung werben.

Die Konservativen haben sich insbesondere bei europa- und migrationspolitischen Fragen durchgesetzt. Großbritannien wird keine weiteren Machtbefugnisse an Europa abgeben, ohne eine Referendum abzuhalten. Der Beitritt zum Euro wurde im Koalitionsvertrag kategorisch ausgeschlossen. Außerdem wird es nun eine Begrenzung der Einwanderung von außerhalb der EU geben und keine Amnestie für undokumentierte Migranten, wie die Liberalen gefordert hatten.
In der Klima- und Energiepolitik konnten die atomkritischen Liberalen durchsetzen, dass neue Atomkraftwerke nur ohne staatliche Subventionen gebaut werden können, was einem Ende der von Labour geplanten neuen Reaktorgeneration gleichkommt. Neue Kohlekraftwerke dürfen nur gebaut werden, wenn sie ihr CO2 auffangen, die Forschung in diesem Bereich wird weiterhin unterstützt. Beide Parteien hatten vor den Wahlen angekündigt, das Wachstum im Flugverkehr zu beschränken und ein Hochgeschwindigkeitsnetz für Züge zu bauen. Ob dies angesichts der Sparnotwenigkeit realisiert wird, ist unsicher.
Einigkeit herrschte zwischen Tories und Liberalen bereits im Bereich der Bürgerrechte. Der von Labour geplante Personalausweis wird nun nicht eingeführt. Und die Polizei wird Millionen von DNA-Daten löschen müssen. Unter Labour durfte die Polizei die Daten von Verdächtigen auch dann speichern, wenn diese sich als unschuldig erwiesen hatten.