Über die Blockadebrecher im Bundestag und die türkisch-israelischen Beziehungen

Blockadebrecher in Berlin

Während deutsche Bundestagsabgeordnete die israelischen Sicherheitsinteressen definieren, beschäftigt man sich in Israel mit der Frage, welche Folgen die neue Nahost-Politik der Türkei hat.

Unter den Abgeordneten herrschte Einigkeit, als es darum ging, der israelischen Regierung ungebetene Raschläge zu erteilen. Doch der am Donnerstag vergangener Woche einstimmig von allen Bundestagsfraktionen angenommene Beschluss zu den Ereignissen um die »Gaza-Flottilla« wurde in Israel kaum wahrgenommen. Die wichtigsten israelischen Zeitungen veröffentlichten darüber am Sonntag kein Wort.
Wenn die deutschen Abgeordneten im ersten Absatz der Erklärung feststellen, dass israelische Soldaten verletzt wurden, liegt auf der Hand, dass auch die »Aktivisten« mit Gewalt vorgegangen sind. Doch »es bestehen starke Hinweise, dass beim Einsatz von Gewalt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wurde«, glauben die Abgeordneten. Offenbar meinen sie, dass dieser Grundsatz gewahrt geblieben wäre, wenn es auch ein paar Tote unter den israelischen Soldaten gegeben hätte. Nicht zum ersten Mal wird Israel vorgeworfen, im Vergleich zu seinen Feinden weniger Verluste zu erleiden.

Es folgen die Mahnungen: »Die Blockade Gazas ist aber kontraproduktiv und dient den politischen und Sicherheitsinteressen Israels letztlich nicht. Das erklärte Ziel der Freilassung des von Kräften der Hamas widerrechtlich festgehaltenen Angehörigen der israelischen Streitkräfte Gilad Shalit ist bislang nicht erreicht. Die islamistische Hamas ist nicht geschwächt, sondern profitiert (…) von der Blockade.« Wie Stammtischstrategen agieren die Abgeordneten und glauben, die israelischen Sicherheitsinteressen besser zu kennen als die Israelis selbst. Doch besteht die Blockade wirklich nur wegen des seit vier Jahren in Geiselhaft festgehaltenen Soldaten Gilad Shalit? Warum wird die »bedingungslose und dauerhafte Öffnung von Zugängen zu Gaza« für den Güter- und Personenverkehr, also wohl auch für Selbstmordattentäter, gefordert? Die Unterstellungen der deutschen Abgeordneten sind eine Anmaßung, die sie sich selbst im umgekehrten Fall nicht gefallen ließen.
Wie hat man wohl im Berliner Reichstag herausgefunden, dass die Hamas von der Blockade profitiere? Wenn die im Gaza-Streifen regierenden Islamisten schon zweimal Banken überfallen und ausrauben mussten, weil sie pleite sind, scheint ihr Profit nicht auszureichen. Man hört immer häufiger von Menschen im Gaza-Streifen, die unter dem diktatorischen Regime der Hamas leiden. Vielleicht ist die gemeinsam von Ägypten und Israel verhängte Blockade, die von der Autonomiebehörde in Ramallah zudem insgeheim begrüßt wurde, doch effektiver, als gemeinhin wahrgenommen wird.

Geradezu weltfremd ist der Vorschlag, in Ägypten auf einen kontrollierten Grenzverkehr hinzuwirken und Israel sowie der Autonomiebehörde das Angebot zu machen, »durch die Ausbildung von palästinensischen Grenzschutzkräften ein kon­struktives internationales Grenzmanagement aufzubauen«. Als die Hamas 2007 im Gaza-Streifen geputscht hat, haben die Islamisten auch Kameras und Kontrollgeräte zertrümmert. Am Grenzübergang zu Ägypten ergriffen Zöllner der EU, darunter Deutsche, die Flucht. Die Abmachungen zwischen Israel, der Autonomiebehörde, der EU und Ägypten über Grenzkontrollen wurden von der Hamas selbst außer Kraft gesetzt. Die Resolution belegt auch, dass der 31. Mai, in dessen frühen Morgenstunden israelische Soldaten auf hoher See das türkisch kommandierte Schiff »Marva Marmari« stürmten, als Stichtag für einen dramatischen strategischen Wandel im Nahen Osten in die Geschichte eingehen könnte. Für die türkische Regierung war die Unterstützung der Flotte, an der sich auch islamistische Extremisten beteiligten, eine ausgeklügelte PR-Aktion. Eine Islamisierung der Türkei, ausbleibende Fortschritte bei den Verhandlungen über den EU-Beitritt und die Träume, die Türkei zu einer neo-osmanischen Regionalmacht werden zu lassen, haben diese Entwicklung befördert.
Die traditionell engen Beziehungen der Türkei mit Israel passen nicht mehr in diese Entwicklung. Beide Länder waren politisch, militärisch, wirtschaftlich und geheimdienstlich enge Partner mit vielen gemeinsamen Interessen. Nun aber schlägt der türkische Premierminister Tayyip Erdogan sogar kriegerische Töne gegen Israel an. Er behauptet, dass kurdische Guerilleros nur mit Hilfe israelischer Agenten tödliche Anschläge auf Armeestellungen in der Türkei ausführen konnten. »Als Rache der Israelis«, so Erdogan, seien dabei türkische Soldaten getötet worden. Israel müsse sich wegen der Erstürmung der »Mavi Marmara« entschuldigen, eine internationale Untersuchung sowie deren Ergebnisse akzeptieren oder mit einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen rechnen, sagte Außenminister Ahmet Davutoglu.

Während sich die Europäer zu vorschnellen Verurteilungen Israels hinreißen ließen, reagierten die Amerikaner vorsichtiger. Präsident Barack Obama hat Erdogan inzwischen zurechtgewiesen. Die von den Türken geforderte internationale Untersuchung der Vorgängen am 31. Mai könnte ein »zweischneidiges Schwert« werden, warnte Obama, da auch die Rolle türkischer Ex­tremisten der IHH geprüft werde.
Israel muss sich nach dem Verlust des Bündnispartners Türkei politisch neu orientieren. Bereits vor dem Auslaufen der »Friedensflotte« hatte Israel die griechisch-zypriotische Regierung überzeugen können, dass die Türkei eine Provokation plante. Deshalb mussten die »Friedensaktivisten« von Famagusta im türkisch besetzten Nordzypern ablegen.
Dennoch tappten die Israelis blindlings in die Falle. Sie hatten nicht einmal einen Spion an Bord der »Mavi Marmari« geschleust, so wurden die Elitesoldaten von der Heftigkeit der Gewalt überrascht. Das führte zu der tödlichen Schießerei, als weitere Soldaten ihre schwer verletzten und unter Deck gebrachten Kollegen befreien mussten. Die israelische Regierung lässt die Vorfälle nun von einer Kommission unter Leitung des Richters Jacob Turkel untersuchen.