Swinging Osten

Berlin Beatet Bestes. Folge 83. Tanzorchester Kurt Henkels: »Swing Heil« (1949).

Erst vor einiger Zeit habe ich begonnen, im Trödelladen auch mal die eine oder andere Schellackplatte zu kaufen. Im Laden fand ich auch diese Platte mit dem seltsamen Titel »Swing Heil«. Ursprünglich wurden die zwei Swing­songs dieser Platte für das 1947 von Ernst Busch gegründete Label Amiga aufgenommen. Amiga war die erste und einzige Schallplattenfirma der DDR. Auf der A-Seite (»Du hast ja keine Ahnung«) singt die Berlinerin Rita Paul, die an der Seite von Bully Buhlan in den fünfziger Jahren recht bekannt war:
Lieber Freund, hör mir zu/Wenn du schwörst: Ich liebe dich, sag ich nein, das glaub’ ich nicht/Es tut mir leid, doch schuld bist du/Du hast ja keine Ahnung vom Herzen einer Frau/Da staune ich, das wundert mich/Du bist doch sonst so schlau/Du hast ja keine Ahnung, was wahre Liebe ist/Sonst hättest du nicht immerzu nur die Hand geküsst.
Weiter geht es im herrlichsten, an Ella Fitzgerald erinnernden Scat-Stil. Das Lied endet mit den Zeilen:
Du hast ja keine Ahnung, wie schnell es aus sein kann/Was ich erträumt, hast du versäumt/Ich brauche ­keinen Hampelmann.
Von 1947 bis 1949 veröffentlichte das Label eine ganze Reihe von damals sehr modernen, amerikanisch beeinflussten Swingplatten. Aufgenommen wurden sie von den Orchestern Kurt Henkels, Walter Dobschinski und Gerd Natschinski. Zwar hatte das Ministerium für Kultur bereits 1949 englischsprachige Titel für nicht erwünscht erklärt, das Rundfunk-Tanzorchester Leipzig unter der Leitung von Kurt Henkels blieb aber »das« Swing-Orchester des Ostens. 1959 verließ Kurt Henkels die DDR, erlangte in der Bundesrepublik aber keine große Popularität. In der DDR wurde Henkels, der 1986 in Hamburg verstarb, von allen Veröffentlichungslisten gestrichen. Im Dezember vergangenen Jahres hat ihm, der am 17. Dezember 2010 hundert Jahre alt geworden wäre, der MDR eine Dokumentation gewidmet.
Der Song mit dem Titel »Swing Heil« – in der Nazi-Zeit eine übliche Begrüßung unter Swing-Fans, die den Nazi-Gruß karikierte –, ist eine ultraschnelle Cover-Version von »Swing High«, geschrieben vom berühmten Swing-Trompeter Sy Oliver für das Tommy Dorsey Orchestra. Sy Oliver war der erste Afro-Amerikaner, der in einer weißen Big-Band eine wichtige Rolle als Arrangeur innehatte. Im Orchester von Kurt Henkels spielte der 19jährige Horst Fischer, den Henkels zuvor nach Leipzig verpflichtet hatte, die Solotrompete. Fischer, der 1959 die »Goldene Trompete« für über eine Million verkaufte Schallplatten erhalten hatte, starb 1986 vom Alkohol gezeichnet, verarmt und von der Musikwelt vergessen in Köln. Vermutlich als kleinen Wink an die jüngste Geschichte veröffentlichte das kleine, von der West-Berliner Telefunken betriebene Label Regina den bei Amiga als »Gipfelstürmer« bezeichneten Song unter dem Titel »Swing Heil«. Der Song erinnert an die unmittelbare Nachkriegszeit, als der Eiserne Vorhang zwischen Osten und Westen offensichtlich noch durchlässig war.