Das Verhältnis zwischen Frankreich und Ruanda

Entspannung sieht anders aus

Frankreich will sein Verhältnis zu Ruanda normalisieren. Zum ersten Mal seit dem Genozid im Jahr 1994 besuchte ein ruandischer Präsident seinen französischen Amtskollegen. Dabei ging es vor allem um die wirtschaftliche Zukunft des afrikanischen Landes. Die Vergangenheit wurde nicht thematisiert.

Vergangene Woche fand in Frankreich eine Premiere statt: der erste Staatsbesuch eines ruandischen Präsidenten. Das französische Staatsoberhaupt Nicolas Sarkozy traf am Montag zum Mittagessen mit seinem Amtskollegen Paul Kagame zusammen – aber nicht einmal eine gemeinsame Pressekonferenz wurde abgehalten. Danach gab es nur ein lakonisches Kommuniqué aus dem Elysée-Palast, in dem das französische Präsidialamt von einer »neuen Etappe im Normalisierungsprozess zwischen den beiden Ländern« sprach.

Beide Staaten hatten zwischen November 2006 und Anfang 2010 keine diplomatischen Beziehungen unterhalten, weil Frankreich seine Mitverantwortung für den Völkermord in Ruanda 1994 nicht anerkennen wollte. Frankreich hat das rassistische Regime der Hutu Power, das im April 1994 in Ruanda die Macht übernahm und innerhalb von drei Monaten 80 Prozent der Tutsi-Minderheit vernichtete, politisch und militärisch unterstützt. Die Ursache dafür war einerseits, dass der damalige Präsident François Mitterrand glaubte, er müsse die französische neokoloniale Einflusssphäre in Afrika verteidigen, die nach dem Ende des Kalten Krieges von US-Amerikanern und Briten in Frage gestellt worden war. Ruanda galt dabei als enger Verbündeter. Andererseits unterstützten viele französische Militärs die Milizen der Hutu Power. Diesen hatten französische Offiziere jahrelang die Doktrin des »revolutionären Kriegs« beigebracht. Es handelt sich dabei um eine Anti-Subversions-Taktik, die in den französischen Kolonialkriegen und vor allem in Algerien zur Anwendung kam.
Der Gedanke des »revolutionären Kriegs« geht auf die Thesen Erich von Ludendorffs, eines deutschen Generals im Ersten Weltkrieg und späteren Wegbegleiters der Nazis, zurück: Im modernen Krieg gebe es keine unbeteiligte Zivilbevölkerung mehr, deswegen müsse die Bevölkerung in Milizen organisiert, propagandistisch gedrillt und organisatorisch erfasst werden. In Ruanda hatten die Militärangehörigen ein günstiges Umfeld vorgefunden, weil die Hutu-Power-Bewegung dort versuchte, die Mehrheitsbevölkerung der Hutu in rassistischen Milizen gegen die Minderheit der Tutsi zu organisieren.
Anders als seine Amtsvorgänger hat Sarkozy verstanden, dass es langfristig den Zielen der französischen Afrikapolitik nicht dienlich ist, die Verantwortung zu leugnen. Deswegen leitete er eine Entspannungspolitik gegenüber Ruanda ein und besuchte im Februar 2010 das Land.
Nun hielt Kagame sich also zum Gegenbesuch bei Sarkozy auf. Fragen der Vergangenheitspolitik blieben dabei jedoch ausgespart: In einem Interview mit der Pariser Tageszeitung Libération betonte Kagame, man habe zusammen »über die Zukunft diskutiert« und fügte hinzu: »Wir dürfen uns nicht durch die Vergangenheit in einer Falle festhalten lassen.« Die Zukunft, das bedeutet für das arme, doch – zum Teil auch dank des Raubs von Rohstoffen im Osten des benachbarten Bürgerkriegslands Demokratische Republik Kongo – wirtschaftlich erfolgreiche Ruanda vor allem Investitionen. Besonders der Energiesektor ist dabei von Interesse, denn unter dem Kivu-See liegen immense, bislang unerschlossene Methanvorkommen.
Kagames Besuch begann mit einer Großveranstaltung vor rund 2 000 in Frankreich und im übrigen Europa lebenden Ruandern auf einem Messegelände in der Pariser Vorstadt Aubervilliers. Es ging dabei um das Bankenwesen, um Investitionserleichterungen und wirtschaftliche Entwicklungschancen – mit Vertretern der ruandischen Entwicklungsagentur, Repräsentanten von Kreditinstituten und Privatunternehmern. Kagame versprach in seiner Rede, er werde auf unbürokratischem Wege dafür sorgen, dass im Ausland lebende Ruander, die in das Land investieren, die Staatsbürgerschaft erhielten. Über das problematische Verhältnis zu Frankreich sprach er nicht. Als jemand aus dem Publikum fragte, was bezüglich der Strafverfolgung auf französischem Boden lebender génocidaires passieren werde, antwortete er nur, es sei schon jemand ernannt worden, »der sich darum kümmert«.

Draußen vor den Türen demonstrierten unterdessen rund 3 000 Gegner des ruandischen Präsidenten – im Ausland lebende Anhänger der Hutu-Extremisten, aber auch kongolesische Nationalisten. Sie klebten in Aubervilliers Plakate mit der Aufschrift »Tyrann«, auf denen Kagame mit bluttriefenden Vampirzähnen abgebildet war. Am folgenden Tag demonstrierten sie erneut und verteilten auf der Pariser Ringautobahn brennende Autoreifen, um ihren Protest zu unterstreichen.
Auch in der französischen Politik wurde Kagames Besuch von heftigen Konflikten überschattet. Diese hingen damit zusammen, dass Alain Juppé Ende Februar zum Außenminister ernannt wurde. Juppé hatte diesen Posten auch während des Völkermords 1994 inne. Der derzeit noch amtierende Botschafter Frankreichs in Ruanda, Laurent Contini, hatte Anfang September dem Wochenmagazin Jeune Afrique gesagt, diese Ernennung sei »keine gute Nachricht für die Ruander«. Daraufhin wurde der Austausch des Botschafters beschlossen, der baldige Abgang Continis wird erwartet.
Alain Juppé hatte im Mai erklärt, er habe »keinerlei Absicht, nach Ruanda zu reisen oder gar Paul Kagame die Hand zu geben«. Als dieser sich nun in Paris aufhielt, ging der Außenminister auf Reisen – und besuchte während des Staatsbesuchs Kagames Australien und China. Viel weiter hätte er sich kaum vom ruandischen Präsidenten entfernen können.