Piratenparteien weltweit

No Pirates in the Caribbean

Piratenparteien sind kein deutsches ­Phänomen. Von einer weltweiten Bewegung kann allerdings auch nicht die Rede sein.

Eigentlich wäre Israel wie geschaffen für eine Piratenpartei. Nachdem die Regierung Anfang der neunziger Jahre beschlossen hatte, verstärkt in den IT-Sektor zu investieren, belegt das Land mittlerweile einen unangefochtenen Spitzenplatz, was die staatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung angeht. 4,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts fließen in die Förderung des High-Tech-Sektors, mehr als 3 000 High-Tech-Unternehmen wurden in den vergangenen Jahren gegründet, große internationale IT-Unternehmen sind mit Forschungszentren im Land vertreten.
Netzpolitik und Informationsfreiheit müssten für die vielen jungen, gut ausgebildeten Computerfachleute also eigentlich ein sehr wichtiges Thema sein, zumal der Ärger über hohe Mieten und unerschwingliche Immobilienpreise, der zu Massendemonstrationen führte, inzwischen zu einem allgemeinen Protest im Namen verschiedener sozialpolitischer Forderungen geworden ist. Nach der Freibeuterfahne sucht man jedoch auf den Demonstrationen in Israel vergebens – gerüchteweise steht die Gründung einer Piratenpartei zwar demnächst bevor, Einzelheiten sind jedoch noch nicht bekannt.

In Russland ist man dagegen schon viel weiter. Theoretisch jedenfalls. In Moskau wurde zwar bereits am 14. Juli 2009 aus der Gruppierung »SP-LTS«, zu Deutsch etwa »Piraten-Union, Liga der kreativen Freiheit«, eine am Vorbild der schwedischen Piraten orientierte Organisation gegründet. Aber als ausgewiesene Partei gibt es sie dennoch nicht. Im Januar 2010 hatten die Piraten zum ersten Mal einen Parteivorstand gewählt. Zu diesem Zeitpunkt waren die russischen Piraten ­lediglich eine inoffizielle Organisation mit 50 aktiven Mitgliedern. Im März 2011 entschied das russische Justizministerium jedoch, dass die Piraten nicht als Partei registriert werden dürfen, da »die derzeitige Gesetzgebung Piraterie als einen Angriff auf ein Meeres- oder Flussfahrzeug und damit als kriminelle Tat definiere«. Außerdem sei es Straftätern verboten, Parteien zu gründen oder gar zu Wahlen anzutreten, weshalb eine aus Piraten bestehende Partei nicht akzeptiert werden könne.
Kurz nach dieser Entscheidung setzte die russische Regierung immerhin einen Freibeuter für die politische Früherziehung von Kindern ein, wenn auch nur einen gezeichneten: Auf der Webseite des Kremls wurde im Mai eine besondere Sektion (kids.kremlin.ru) für Zehn- bis Zwölfjährige eingerichtet, auf der, illustriert mit vielen Comicfiguren, den Kindern die Demokratie erklärt werden soll. Lernen kann man dort unter anderem, was denn dieses »seltsame Wort Op­position« bedeutet. Politischem Machtmissbrauch, so erfahren die Kinder, kann ganz einfach mit Zivilcourage begegnet werden, zum Beispiel, indem man sich an unabhängige Medien wendet. Die Illustration zum Thema zeigt einen einbeinigen Piraten mit erhobenen Händen, umringt von Blümchen und fröhlichen Bürgern, die entschlossen auf ihn zeigen, wahrscheinlich um den freibeuterischen Machtmissbrauch zu beenden.
»Echte« russische Piraten, also eine Partei mit derartigem Namen, darf es hingegen auch weiterhin nicht geben. Am 8. Juni verlor die Partei im Wartestand vor Gericht ihre Klage gegen das russische Justizministerium. Die Bezeichnung Piratenpartei bleibt demnach verboten, der zuständige Richter erklärte jedoch, dass es sehr wohl gestattet sei, eine Partei mit einem anderen Namen zu gründen.
Kurzentschlossen lösten die russischen Nichtpiraten daraufhin ihr Antragskomitee auf und riefen zwei neue Organisationen ins Leben: die »Pirazzkaya Partiya Rossii«, die hoffte, mit einem kleinen Rechtschreibfehler (auf Deutsch würde es etwa »Pirraten« lauten) als Partei zugelassen zu werden, und die »Bez nazvaniya« (das entspricht grob dem deutschen »Ohne Titel«). In einer Internet-Abstimmung setzte sich die namenlose Variante durch. »Unsere Prinzipien, unsere Ideen und unsere Website werden wir jedoch nicht ändern«, sagte der Vorsitzende der namenlosen Partei, Pavel Rassudov. »Ich möchte alle Bürger, Journalisten und vernunftbegabte Menschen ausdrücklich darum bitten, uns auch weiterhin die russische Piratenpartei zu nennen.«

Die im April 2010 als NGO gegründete Dachorganisation der weltweiten Piratenparteien, PPI, die die Aufgabe hat, neue Ableger zu unterstützen, dokumentierte den Kampf um Anerkennung der neuen russischen Partei von Anfang an. Ein Problem scheint man dabei aber noch nicht erfasst zu haben: Laut Satzung des Dachverbands muss das Wort »Pirat« zumindest in Abwandlung vorkommen – der Begriff ist eben der wichtigste gemeinsame Nenner.
Eine erfolgreiche internationale Plattform ist PPI auch nicht geworden. Im englischsprachigen Forum wird nur zu wenigen Themen regelmäßig gepostet, im deutschen Unterforum lediglich auf die offizielle deutsche Homepage der Partei verwiesen. Und die schwedische Sektion, mit der alles begann, ist noch nicht einmal Mitglied in der PPI. Die schwedische »Piratpartiet« leidet zudem unter einem drastischen Mitgliederschwund: Von knapp 50 000 Anfang April 2010 sank die Zahl der Mitglieder auf inzwischen rund 8 000 Piraten. Die Nachwuchsorganisation »Ung Pirat« (Junge Piraten) verzeichnete ebenfalls einen starken Rückgang der Mitgliederzahlen: Vor zwölf Monaten gab es noch 5 800 Teenie-Piraten, nun sind es nur noch etwa 2 300.
Was aber international bei den Piratenparteien besonders verwundert, ist, dass es, siehe das Beispiel Israel, offenbar kaum einen Zusammenhang zwischen der Rolle von Piratenparteien und der Affinität zum Internet in einem Land zu geben scheint. Aber das kann auch einfach da­ran liegen, dass die Wahlerfolge eher Ausnahmen sind als ein wirklicher Trend. So folgte in Schweden auf die erfolgreiche Wahl für das Europaparlament – die Piraten bekamen 7,1 Prozent – 2010 der Absturz bei den schwedischen nationalen Wahlen: Mit gerade mal 0,65 Prozent gewannen sie nur noch den Titel der stärksten Partei unter denen, die es nicht ins Parlament geschafft hatten.