Die Sparpolitik der portugiesischen Regierung

Eifrig, aber abgehängt

Die portugiesische Regierung setzt die Sparauflagen für die »Hilfskredite« streng um. Gegen die Rezession hilft das nicht.

Geschmeidig schlängelt sich die Schnellstraße an den vulkanischen Steilhängen der portugiesischen Atlantikinsel Madeira entlang. Noch vor wenigen Jahren quälten sich hier Fahrzeuge im Schritttempo auf schmalen Serpentinen empor. Heute verbindet ein 190 Kilometer langes Straßennetz mit unzähligen Tunneln und Hochbrücken die früher isolierten Orte. Finanziert wurde das aufwendige Straßenbauprogramm mit Hilfe von EU-Fördermitteln für »ultraperiphere Regionen«. Als die Subventionen aus Brüssel versiegten, holte sich die lokale Regierung das Geld für den Bauboom auf dem privaten Kapitalmarkt.

Mittlerweile verfügt Madeira nicht nur über ein modernes Verkehrssystem, sondern ist auch mit sechs Milliarden Euro verschuldet. Pro Kopf liegt damit die Schuldenquote doppelt so hoch wie auf dem portugiesischen Festland. Dort gilt Madeira als hoffnungsloser Fall, als »das Griechenland Portugals«, wie es in der Wochenzeitung Expresso einmal hieß. Schließlich haben die hochsubventionierten Bauprogramme an der strukturellen wirtschaftlichen Schwäche Madeiras wenig geändert. Für Angela Merkel ist die Insel gar ein Beispiel für eine verfehlte EU-Förderpolitik. Mit den Fördergeldern seien zwar »viele schöne Tunnels und Autobahnen« gebaut worden, allerdings habe dies nicht »zu mehr Wettbewerbsfähigkeit« geführt, sagte sie Anfang des Jahres in Berlin.
Was sich auf der Atlantikinsel vollzogen hat, gilt in gewisser Weise auch für das restliche Land. Der EU-Beitritt in den achtziger Jahren bescherte Portugal langfristige finanzielle Hilfen seitens der EU. Nicht nur rund um Lissabon entstanden ein ganzes Geflecht neuer Autobahnen und andere ehrgeizige Infrastrukturprojekte. Die Zahl ausländischer Investitionen stieg rapide an, Konzerne wie VW oder Continental bauten große Fabrikanlagen. Zudem erlebte das Land nach Jahrzehnten der Isolation während der faschistischen Diktatur einen regelrechten Kaufrausch – zeitweise wurden nirgendwo sonst in Europa im Verhältnis zur Bevölkerungszahl mehr Neuwagen zugelassen und Kreditkarten ausgegeben.

Spätestens seit der Finanzkrise ist es damit vorbei. Die internationalen Investoren sind in die neuen osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten weitergezogen, und billige Kredite gibt es schon lange nicht mehr. Heute erlebt Portugal die schwerste Wirtschaftskrise seiner jüngeren Geschichte. Regelmäßig entsendet die Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank (EZB) ihre Finanzexperten, um die Umsetzung der Sparvorgaben zu überwachen. Von deren Urteil ist die Regierung in Lissabon abhängig, denn ohne die 78 Milliarden Euro »Hilfskredite« aus dem EU-»Rettungsschirm« wäre das Land längst pleite.
Bislang wird dem konservativen Ministerpräsidenten Pedro Passos Coelho großes Lob zuteil. Portugal hat die Sparvorgaben vorbildlich umgesetzt, in einigen Bereichen sogar über das geforderte Maß hinaus. Die Regierung Coelho hat nicht nur die Sozialausgaben, Rentenbezüge und Beamtengehälter gekürzt sowie die Mehrwertsteuer auf 23 Prozent angehoben. Sie schaffte auch noch vier Feiertage ab, darunter den Tag der Loslösung von Spanien im Jahr 1640 und Mariä Himmelfahrt. Nicht einmal vor dem Entrudo, bislang der arbeitsfreie Höhepunkt der Karnevalszeit, machte Coelho halt. Es sei »nicht die Zeit, über Traditionen zu sprechen«, sagte er. Seine Kritiker sollten aufhören, wegen der Sparpolitik »zu winseln«.

Bei der EU und der deutschen Regierung wird so viel Opferbereitschaft wohlwollend registriert, zumal Portugal noch in anderer Hinsicht vorbildlich ist. Denn trotz harter Sparauflagen hielten sich die Proteste bislang in Grenzen, es kam nicht wie in Griechenland zu tagelangen Straßenschlachten. Auch an dem kürzlich von der kommunistischen Gewerkschaft CGBT ausgerufenen Generalstreik beteiligten sich weniger Menschen als erwartet. Nicht zufällig unterzeichnete ausgerechnet Portugal Anfang April als erstes EU-Land den Fiskalpakt.
Daher spricht vieles dafür, dass die portugiesische Regierung die Sparziele einhalten kann – und trotzdem an der Aufgabe scheitert, den Haushalt zu sanieren. So sanken im vergangenen Jahr trotz der erhöhten Mehrwertsteuer die Steuereinahmen, weil der Konsum stark zurückging. Zugleich stiegen trotz aller Kürzungen die Sozialausgaben. Wegen der Rezession ist mittlerweile jeder dritte Portugiese unter 25 Jahren arbeitslos, insgesamt liegt die Quote bei 15 Prozent.
Die Regierung steht vor dem Problem, dass die Sparpolitik nicht die erhofften Ergebnisse erziehlen, gerade weil sie akribisch den Vorgaben der EU und der deutschen Regierung folgt. Galt Portugal an den Finanzmärkten zunächst als Pleitekandidat, weil die Schulden immer weiter stiegen, wächst nun das Misstrauen wegen der schlechten Konjunkturdaten. Sparen und wachsen zugleich geht nicht.
»Wenn Portugal die Rückkehr an die Märkte 2013 nicht schafft, aber alle Vorgaben umsetzt, dann bekommen wir mit Sicherheit für unser gutes Benehmen eine Verlängerung«, meinte kürzlich Vítor Bento, Berater von Coelho. »Denn dann ist das auch Europas Fehler – und nicht zuletzt ein Fehler Deutschlands, das uns diesen Weg aufgezwungen hat.«
Scheitert Portugal, dann ist es fraglich, ob der auch in Spanien eingeschlagene strenge Sparkurs erfolgreich sein kann. Spanien kämpft derzeit mit einer noch heftigeren Rezession als Portugal. Spätestens dann geriete Merkels gesamte Rettungsstrategie für den Euro-Raum ins Wanken.
Kein Zufall also, dass Mario Draghi, der Vorsitzende der EZB, erst vor wenigen Tagen einen »Pakt für Wachstum« gefordert hat. Allerdings wäre bei dieser Initiative – vorausgesetzt, sie könnte politisch durchgesetzt werden – zu überprüfen, wem sie letztlich nützt. Von den Subventionen der vergangenen Jahrzehnte profitierten vor allem die großen europäischen Exportstaaten. Oder, wie im Falle von Madeira, einige lokale Bauunternehmen. Wenigstens dort kommt man heute schneller ans gewünschte Ziel.