Islamisten an der Macht in Tunesien und Ägypten

Der Lack ist ab

Staatskrisen und Revolten: Die politische Bilanz der regierenden Islamisten in Ägypten und Tunesien weist verblüffende Parallelen auf.

Wie sich die Bilder ähneln! In Ägypten erschallen erneut Sprechchöre auf dem Tahrir-Platz, dem Symbol des Umsturzes, mit dem berühmten Slogan »Das Volk will den Sturz des Regimes«. Im Landesinnern Tunesiens, in der Stadt Siliana, hörte man bei mehrtägigen Generalstreiks und Straßenschlachten das im vergangenen Jahr auf Ben Ali gemünzte »Dégage!« (Hau ab). Diesmal richtete es sich gegen einen vor sieben Monaten von der islamistischen Partei al-Nahda in der Region eingesetzten Gouverneur, der durch Unfähigkeit glänzte. Eine Neuerung gab es auch: Auf die Protestierenden schoss die Polizei mit Schrot – das hatte man selbst im autoritären Polizeistaat unter Ben Ali nicht gesehen. Mehr als 250 Verletzte waren die Folge, einige werden wohl erblinden.
Fast sieht es so aus, als käme es zu einer Wiederholung der Proteste vor knapp zwei Jahren, die zum Sturz des ägyptischen Präsidenten Mubarak und seines tunesischen Amtskollegen führten. Die die Aufstände vor knapp zwei Jahren auslösten, sind wieder auf der Straße, an den gleichen Orten. In Mahalla al-Kubra etwa, einem Zentrum der Arbeiterbewegung in Ägypten, wo während der Streiks 2008 unter anderem die Jugendbewegung 6. April entstand, die beim Sturz Mubaraks eine wichtige Rolle spielte, wurde das Büro der Partei der Muslimbruderschaft gestürmt, heftige Straßenkämpfe mit Muslimbrüdern folgten. In Tunesien wiederum eskalieren im vernachlässigten Zentrum des Landes, wo im Dezember 2010 der Aufstand begann, die sozialen Proteste. Bei diesen hat die im vorigen Jahr legalisierte Gewerkschaft der arbeitslosen Diplomierten, die einen großen Mitgliederzuwachs zu verzeichnen hat, bedeutenden Einfluss. Kurz, in beiden Ländern haben die Islamisten mit der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung einen starken, weil im ganzen Land organisierten, säkular orientierten Gegner.
Der Lack ist ab von den islamistischen Parteien, der ägyptischen FJP und der tunesischen al-Nahda, die jeweils nach ihrem Wahlsieg den Staat als Beute betrachteten, um ihre Anhänger in die entsprechenden Positionen zu hieven, mit den Repressionsorganen eine unheilige, mit den Salafisten eine umso heiligere Allianz eingingen und ein islamistisches Machtspiel versuchen, um der Gesellschaft ihre reaktionären Moralvorstellungen aufzuzwingen. Eine Demokratisierung der autoritär strukturierten staatlichen Institutionen unternahmen sie nicht. Ihre plumpe Vorgehensweise bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung verschärfte die Konflikte mit Liberalen, Linken und Frauenorganisationen weiter.
Während in Ägypten der kalte Putsch des islamistischen Präsidenten zu einer offenen Staatskrise führt, ist eine solche in einem geringeren Ausmaß auch in Tunesien zu beobachten. Dort regte der Übergangspräsident Moncef Marzouki wegen der Repression in Siliana die Bildung einer »engbegrenzten Regierung« an, worauf aus den Reihen al-Nahdas Vorschläge zu seiner Amtsenthebung laut wurden. Zudem wollen Oppositionsparteien ein Misstrauensvotum gegen die Übergangsregierung aus al-Nahda, Marzoukis Kongress für die Republik und der sozialdemokratischen Partei Ettakatol vorbereiten.
Mittlerweile sind in Ägypten wie Tunesien die gesellschaftlichen Spannungen, zu denen die Politik der Regierungsislamisten geführt hat, mit denen in der letzten Zeit unter Mubarak und Ben Ali vergleichbar. Weitere Turbulenzen sind unvermeidlich.