Zwei humoristische Bücher über die Shoa

Tür an Tür mit Anne

Mit schockierendem Witz setzen sich jüdische US-amerikanische Autoren wie Shalom Auslander und Nathan Englander mit der Shoa auseinander.

Solomon Kugel ist sich sicher, dass er in Auschwitz keinen einzigen Tag überlebt hätte. Und selbst ein Leben im halbwegs komfortablen Versteck der Anne Frank hätte den Spross einer jüdischen Familie aus den USA vor schier unüberwindliche Probleme gestellt. Unbedingt im Untergrund dabei haben sollte man vermutlich seinen iPod. Könnte man sich eigentlich in Zeiten des Völkermords auf W-LAN verlassen? Große Sorgen macht Kugel sich um seine Ernährung. Seine Glutenunverträglichkeit würde zu einem schnellen Tod führen, zusammengekrümmt auf der Latrine würde er sterben. Na schön, vielleicht könnte er sich durch die Mitnahme von Erdnussbutter retten. Aber wie sollte er angesichts der Shoa mit dem Pro­blem umgehen, dass seine Frau Bree partout keine Farbstoffe verträgt und sein Sohn Jonah allergisch auf Bienen reagiert?
Der Schöpfer des glutenempfindlichen Familienvaters heißt Shalom Auslander und wurde 1970 in Monsey bei New York als Sohn jüdisch-orthodoxer Eltern geboren. Auslanders Romane sind nicht jedermanns Geschmack. Wie böse sein Witz ist, zeigt sich allein schon daran, dass sein Held ausgerechnet den Namen einer wabbeligen aschkenasischen Auflaufspezialität mit sich herumschleppen muss. Der Londoner Koch-Guru Yotam Ottolenghi, ein Fan der jüdischen Küche, hat kürzlich in einem Interview erklärt, Kugel sei ein vollkommen ungenießbares Gericht. Auch erinnert der Name des Pro­tagonisten an einen gewissen Kugelmass in einer Erzählung von Woody Allen: ein Hinweis darauf, an welchem Vorbild Auslander seinen schwarzen Humor geschult hat.
Auslander, der in seiner Autobiographie »Eine Vorhaut klagt an« von einer orthodoxen Jugend berichtet hat, in der jeder unkoschere Cheeseburger erkämpft sein wollte, straft seinen Helden nicht allein mit einem dämlichen Namen. Kugel muss eine moribunde Mutter ertragen, die jeden Morgen schreiend erwacht – nicht, weil die Traumata ihrer Vergangenheit sie aufschrecken lassen. Vielmehr hat sie gelesen, dass genau dies die Art und Weise ist, mit der die Überlebenden der Shoa in den Tag starten. Während Kugels Ehefrau seltsam farblos bleibt, reicht seine Mutter eine haarsträubende Skur­rilität an die nächste. Knipst ihr Sohn eine Lampe an, wird er sogleich belehrt, deren Schirm sei aus der Haut des Großvaters gefertigt. Der Sohn zeigt sich skeptisch: »Da steht ›Made in Taiwan‹, sagte Kugel. Mutter sah ihn an, Enttäuschung und Zorn in den tränennassen Augen. Na, sie werden ja wohl nicht ›Made in Buchenwald‹ draufschreiben, blaffte sie.«
Als hätte Kugel es im Schoß seiner neugegründeten Familie mit mütterlichem Anhang nicht schon schwer genug, wird er in seinem frisch bezogenen idyllischen Bauernhaus schon bald auf eine Mitbewohnerin stoßen, mit der er nie und nimmer gerechnet hätte. Offenbar haust auf seinem Dachboden eine Greisin, die nicht nur abscheuliche Flüche ausstößt, sondern zu allem Überfluss auch noch behauptet, Anne Frank zu sein. Als Kugel sich über die Anmaßung empört und die Frau darauf hinweist, dass die Verfasserin des weltberühmten Tagebuchs in Auschwitz an Typhus gestorben ist, berichtigt die Alte ihn keifend: »Das war in Bergen-Belsen, Sie Esel.« Sogleich schmiedet Kugel Pläne, wie er die Frau vertreiben kann: »Er würde Wagner spielen. Er würde sich einen deutschen Schäferhund zulegen. Wenn der UPS-Mann weg wäre, würde er ihr sagen, der Mann sei von der Gestapo gewesen (…).« Schon bald stellt sich allerdings die Erkenntnis ein, dass ein Rauswurf aus moralischen Gründen nicht möglich ist. Schließlich ist Kugel Jude. Und damit auf immer und ewig zur Empathie mit den Opfern der Nazis verdammt.
Darf man über den Umgang mit der Shoa Witze machen? Adorno, der das Verfassen von Gedichten nach Auschwitz problematisierte, hätte ein solches Verfahren wohl kaum befürwortet. Dass viele jüdische Schriftsteller und Komiker vor allem in den USA sich der Vergangenheit mit Humor bemächtigen, ist offenkundig. Woody Allen und die Sitcom »Seinfeld« haben einer humoristischen Auseinandersetzung mit der Shoa den Boden bereitet. In der »Seinfeld«-Folge »The Soup Nazi« müssen sich die vier New Yorker Helden mit der Frage aus­einandersetzen, ob es statthaft ist, sich den faschistisch anmutenden Befehlen eines Kochs zu fügen, um eine seiner köstlichen Suppenkreationen genießen zu können. Der Witz entspringt hier der Fallhöhe zwischen der Katastrophe der Judenvernichtung und dem banalen Ambiente der Suppenküche, in der mitnichten der Tod droht. In der Serie »Curb your Enthu­siasm« erprobt Larry David eine noch anrüchigere Konstellation, wenn in der Folge »The Survivor« ein Shoa-Überlebender mit einem smarten jungen Mann konfrontiert wird, der sich damit brüstet, Überlebender eines strapaziösen australischen Dschungelcamps in der Reality-Show »Survivor« zu sein. Hier wird kaltblütig vorgeführt, wie Begriffe aus dem Kontext der Aufarbeitung der Shoa in die Populärkultur eingehen.
Eine ironisch-makabere Auseinandersetzung mit der Shoa betreibt auch der US-amerikanische Schriftsteller Nathan Englander in seinem unter dem Titel »Worüber wir reden, wenn wir über Anne Frank reden« erschienenen Erzählband. Wie Auslander wurde auch Englander 1970 in New York geboren, er wuchs in einer jüdischen Gemeinde auf Long Island auf und studierte in Israel. In der Titelgeschichte seines Erzählbands geht es darum, dass man sich als Jude prophylaktisch überlegen sollte, welcher der nicht-jüdischen Bekannten bereit wäre, einem im Ernstfall Unterschlupf zu gewähren. Während eine Reihe von prominenten Autoren wie Jonathan Franzen, Jonathan Safran Foer und Phillip Roth von Englander begeistert sind, meldeten sich auch Kritiker zu Wort, die ein solches Gedankenexperiment geschmacklos finden: Wie könnten es Juden im Schutz einer Yuppie-Wohnung in Florida wagen, das Leid Anne Franks zu relativieren?
Die britische Autorin Naomi Alderman, Tochter eines orthodoxen Rabbiners, hat in ihrer Besprechung des Romans von Shalom Auslander darauf aufmerksam gemacht, dass das Nachdenken über die Shoa für Juden nicht der Vergangenheit angehört, sondern in der Gegenwart stattfindet. Auch wenn sie in der Verkleidung des Witzes daherkommen, sind die Fragen, die jüdische Autoren an die Geschichte und Gegenwart richten, doch ernsthafte.

Shalom Auslander: Hoffnung. Eine Tragödie. Berlin-­Verlag, Berlin 2013, 336 Seiten, 19,99 Euro

Nathan Englander: Worüber wir reden, wenn wir über Anne Frank reden. Luchterhand-Verlag, München 2012, 234 Seiten, 18,99 Euro