Der Polizeieinsatz an der von Flüchtlingen besetzten Schule in Berlin

Kein Schutz vor der Abschiebung

Der Polizeieinsatz an einer von Flüchtlingen besetzten Schule in Berlin-Kreuzberg endete zwar, ohne dass Menschen zu Schaden kamen. Der ausgehandelte Kompromiss ist jedoch nicht zum Vorteil der Flüchtlinge.

Er hat den teuersten Polizeieinsatz in der Berliner Geschichte zu verantworten. Der Nachwuchs der eigenen Partei wirft ihm vor, »völlig verantwortungslos eine Eskalation in Kauf genommen« zu haben, und fordert seinen Rücktritt. Zeitungen wie der Tagesspiegel hingegen erheben ihn zum »enorm mutigen« Politiker: Hans Panhoff von den Grünen, Baustadtrat in Kreuzberg, war es, der die Polizei nach einer achttägigen Belagerung aufforderte, die von Flüchtlingen besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule zu räumen – obwohl sich etwa 40 Besetzerinnen und Besetzer auf dem Dach befanden und drohten, im Fall einer Räumung herunterzuspringen. Das mit einer Räumung verbundene Risiko des politisch-moralischen Totalschadens hatten die Kreuzberger Grünen lange gescheut, gingen es am Ende unter Pannhoffs Leitung aber doch ein.

Der von den Grünen regierte Bezirk hatte die Besetzung der Schule vor über einem Jahr als eine Art Nebenprojekt des ebenfalls von Flüchtlingen besetzten Oranienplatzes zwar toleriert und damit auch die dauerhafte Verletzung der Residenzpflicht geduldet. Zugleich aber unternahm die Bezirksverwaltung nichts gegen die Verwahrlosung der Schule. Viele der dort lebenden Flüchtlinge interpretierten dies so, dass nicht nur die Schule aufgegeben worden sei, sondern auch sie selbst keine Perspektive hätten.
Dabei hatten die Grünen seit Beginn der Proteste betont, auf der Seite der Flüchtlinge zu stehen. Doch die auch von ihnen zu verantwortenden problematischen Zustände in der Schule spielten den konservativen Medien und Politikern in die Hände. Schließlich gaben die Kreuzberger Grünen dem Druck des Berliner Innensenators Frank Henkel (CDU) nach – und wohl auch dem jener Mitglieder ihrer eigenen Partei, die sich als Koalitionspartner für die Regierung der Hauptstadt empfehlen wollen. Am 24. Juni rief die Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) die Polizei, die mit fast 1 000 Beamten vor der Schule anrückte – und so die Situation eskalieren ließ.
Die Auseinandersetzung endete zum Glück, ohne dass Menschen zu Schaden kamen. Für die Flüchtlinge jedoch sprang nur ein lauer Kompromiss heraus. Unter Vermittlung des Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele (Grüne) erklärte sich der Bezirk damit einverstanden, dass etwa 40 Flüchtlinge in einem abgegrenzten Bereich der Schule bleiben können. Sie sollen nicht wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsrecht verfolgt werden und »Hausausweise« bekommen. Weitere Flüchtlinge dürfen aber nicht dazukommen. »Langfristig« solle aus der Schule ein Flüchtlingszentrum werden, so der Bezirk.
Der Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt schrieb seinen Untergebenen einen öffentlichen Dankesbrief. Die Beamten seien »Gefährdungen am Objekt Ohlauer Straße und an den Absperrungen« ausgesetzt gewesen. »Kurze Zeit sah es so aus, als würde im Objekt ein Sprengkörper mit nicht unerheblicher Sprengkraft zusammengebaut. Mehrfach lag Benzingeruch in der Luft.« Schon während des Einsatzes hatte Kandt sich an die Öffentlichkeit gewandt und dem Bezirk kurzerhand ein Ultimatum gestellt: Wenn nicht bald geräumt werde, würde die Polizei abziehen. Innensenator Frank Henkel (CDU), Kandts Vorgesetzter, duldete diese beispiellose Einmischung der Polizei in politische Entscheidungen.
Verantworten soll sich nun lediglich Panhoff. Linkspartei und Piratenpartei, die linke Opposition in der Bezirksverordnetenversammlung, fordern wegen des Räumungsgesuchs Panhoffs Rück­tritt. Von sich aus werde Panhoff nicht zurücktreten, sagte jedoch sein Sprecher.

Die Flüchtlinge auf dem Dach hatten ein Bleiberecht nach Paragraph 23 des Aufenthaltsgesetzes gefordert. Es kann von einer Landesbehörde aus humanitären Gründen erteilt werden. Die größte Gruppe, etwa 15 Personen, stamme wie sie aus dem Sudan, sagt Mae, eine der Besetzerinnen, und habe damit kaum Chancen, als asylberechtigt anerkannt zu werden. »Die Mehrheit wird abgelehnt, weil Deutschland ihre Fluchtgründe anzweifelt oder ihnen unterstellt, gar nicht aus dem Sudan zu kommen.« Innensenator Henkel lehnte die Forderung nach einer Einzelfallprüfung für die Besetzer ab, nicht aber für jene, die das Gebäude verlassen hatten.
Die Besetzer dürften »nicht belohnt werden«, ließ Henkel ausrichten. »Für mich bleibt es bei der klaren Linie, dass es aufenthaltsrechtlich keinen Spielraum für eine Vorzugsbehandlung geben kann und geben wird.« Der Senat will deshalb den Flüchtlingen, die in dem Gebäude leben werden, auch keine Sozialleistungen zahlen. Nur jene etwa 200 Personen, die in Gemeinschaftsunterkünfte umgezogen sind, sollen Sozialleistungen, Deutsch- und Ausbildungskurse sowie Rechtsberatung ­erhalten. Der Bezirk dagegen sieht den Senat in der Verantwortung. Die Flüchtlinge müssten Unterstützung bekommen, egal ob sie in Charlottenburg, Spandau oder in Kreuzberg lebten, sagte der Sprecher von Bürgermeisterin Herrmann.
Der neue Streit um die Flüchtlinge in der Gerhart-Hauptmann-Schule reiht sich nahtlos ein in die Auseinandersetzungen um den Umgang Berlins mit den etwa 300 protestierenden Flüchtlingen vom Oranienplatz. Diesen hatte der Senat im Gegenzug für die Räumung des Protestcamps im April Entgegenkommen bei den Anträgen auf Aufenthalt versprochen. Doch daraus wird offenbar nichts. »Hier wird klar das Wort und das Recht gebrochen«, sagt die Berliner Rechtsanwältin Berenice Böhlo. »Es gibt keinen Abschiebeschutz und auch keine Übernahme der Zuständigkeit des Landes Berlin.« In den kommenden Wochen werde die gesamte Gruppe dieser Flüchtlinge Ablehnungsbescheide erhalten. Ähnliches dürfte auch den Leuten aus der Schule drohen. Henkel habe mitgeteilt, dass die Zusage an die Flüchtlinge »für ihn keine Gültigkeit habe«, so Böhlo. Damit sei klar: »Es wird in allen Fällen eine Ablehnung ergehen.«
Genau diese Befürchtung hatte die Flüchtlinge in der Schule dazu bewogen, sich auf das Dach zu flüchten und mit Suizid zu drohen, nachdem die Polizei angerückt war. »Es gibt keine Garantie für uns, es wird dasselbe Spiel wie mit den Leuten vom Oranienplatz«, sagte der sudanesische Flüchtling Ahmad al-Nour während der Dachbesetzung. »Man kommt vielleicht vier Monate in ein Heim, dann schieben sie uns ab. Deswegen gehen wir hier nicht weg.«
Ob Henkel sich tatsächlich mit leichter Hand über die Vereinbarung mit den Flüchtlingen hinwegsetzen kann, ist strittig. Der Berliner Senat hat den Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano damit beauftragt zu prüfen, welche Verbindlichkeiten er gegenüber den Flüchtlingen tatsächlich eingegangen ist. Durch die Duldung der Schulbesetzung und des Camps auf dem Oranienplatz habe der Senat die Zuständigkeit für die Flüchtlinge »konkludent« übernommen, schreibt Fischer-Lescano in seinem Gutachten. Der Senat sei verpflichtet, den Flüchtlingen Sozialleistungen auszuzahlen. »Die Durchführung von Einzelverfahren darf nicht an den Auszug aus der Schule geknüpft werden.«

Während in Berlin die Besetzung der Schule zu Ende ging, besetzten in Nürnberg 80 Flüchtlinge das Gelände des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Sie drohten mit Hungerstreik, sollten ihre Forderungen auf Anerkennung nicht erfüllt werden. Sie kritisierten die unwürdigen Bedingungen in den Flüchtlingsunterkünften und beklagten die lange Dauer ihrer Asylverfahren. Die Flüchtlinge aus Äthiopien, Iran, Afghanistan, Pakistan und Eritrea waren aus verschiedenen Orten Bayerns angereist. Der Präsident des Bundesamtes, Manfred Schmidt, sagte jedoch, durch die Drohung mit einem Hungerstreik könne kein Bleiberecht in Deutschland erzwungen werden. Einige der Flüchtlinge ketteten sich an den Zaun um das Gelände. Als gläubige Muslime tranken sie während des Ramadan tagsüber nicht und waren in der Sonne kollabiert, sie mussten ärztlich versorgt werden. Am Ende räumte die Polizei die Demonstranten vom Gelände.
Zur selben Zeit beschlossen Union und SPD im Bundestag eine Verschärfung des Asylrechts. Demnach gelten die Balkanstaaten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina künftig als ­sichere Herkunftsstaaten. Asylbewerber aus diesen Ländern sollen durch beschleunigte Verfahren zügiger abgeschoben werden. Anstatt Menschen im Schnellverfahren abzufertigen, müssten Fluchtgründe genau geprüft werden, mahnte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke. Sie warf der SPD vor, »Flüchtlingsrechte auf dem Altar des Koalitionsfriedens geopfert« zu haben. Geht es nach dem Bundesinnenministerium, ist es der Verschärfungen noch nicht genug: Die Regierung arbeitet derzeit an einem neuen Gesetz zur Aufenthaltsbeendigung, das für viele Flüchtlinge lange Haftzeiten bedeuten wird.