Der Henker

Antisemitische Hetze erlebt man derzeit angesichts des Gaza-Konflikts in vielfältiger Form, mal mehr, mal weniger offen. Eindeutig zur ersten Sorte gehörte die Veranstaltung, die Anfang August in Ungarn stattfand: Der Bürgermeister des 1 800 Einwohner zählenden Dorfes Érpatak ließ die israelische Staatsspitze symbolisch hinrichten. Der bekennende Rechtsextreme, Ordnungsfanatiker, Antisemit und Rassist Mihály Zoltán Orosz hatte sich bisher vor allem durch seine Hetze gegen Roma einen Namen gemacht. In dem winzigen Dorf im Nordosten Ungarns etablierte der der rechtsextremen Partei Jobbik nahestehende Bürgermeister ein reaktionäres Wertemodell, das als Instrument zur Disziplinierung insbesondere von Roma fungiert. Nun ist Antiziganismus in Ungarn längst an der Tagesordnung und eignet sich kaum noch dazu, Aufsehen zu erregen. Im Herbst stehen jedoch Lokalwahlen an, und da neben Roma Juden für die ungarische Rechte ein bevorzugtes Feindbild sind, inszenierte Orosz die antisemitische symbolische Hinrichtung womöglich, um Stimmen in Érpatak zu gewinnen.
Höhepunkt der Veranstaltung mit dem Titel »Protest gegen den Völkermord des israelischen freimaurerischen Terrorstaates« war die Strangulierung lebensgroßer Puppen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und des ehemaligen Präsidenten Shimon Peres. In der Manier eines Verschwörungstheoretikers erklärte der in ungarische Folkloretracht gekleidete Orosz, dass Israels Regierung im Dienst des Antichristen stehe und sein Kommen vorbereite, weshalb die beiden israelischen Politiker den Strang verdienten. Zuvor hatte er unter tosendem Applaus der anwesenden Bürgerinnen und Bürger eine mit dem Freimaurersymbol versehene Israel-Fahne zertreten. Dass nun Ungarns oberste Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Orosz eingeleitet hat, dürfte angesichts des politischen Klimas in Ungarn fast schon überraschen. Dass dies aber erst geschah, nachdem die israelische Botschaft in Budapest gegen den Vorfall protestiert und die Behörden zum Einschreiten aufgefordert hatte, hingegen kaum. Es bleibt fraglich, ob diese Aktion tatsächlich juristische Konsequenzen haben wird. Zwar wäre ihr Inhalt der neuen ungarischen Verfassung zufolge strafbar, jedoch ist es politische Tradition, dem Volkszorn ein Ventil zu geben, damit er sich nicht gegen die eigenen Reihen richtet – nicht nur in Ungarn.