Wahlkampf in Uruguay

Das Auslaufmodell »Pepe«

Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Uruguay am Sonntag wird die regierende Parteienallianz Frente Amplio vermutlich keine absolute Mehrheit erreichen. Auch verabschiedet sich mit José Mujica ein erfreulich unkonventioneller Präsident.

Vor gut 20 Jahren war es noch undenkbar, dass ein ehemaliger Guerillero Präsident Uruguays werden könnte. Heute ist José »Pepe« Mujica, nach nur fünf Jahren im Amt, für viele kaum noch wegzudenken. Mujica wird nach einer Amtszeit verfassungsgemäß abgelöst und plant, wieder auf die Abgeordnetenbank zurückzukehren. Der Ausgang der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am kommenden Sonntag in Uruguay ist schwer vorherzusagen. Sicher scheint nur, dass die sozialistische Regierungspartei Frente Amplio (Breite Front) die absolute Mehrheit im Abgeordnetenhaus verlieren wird, in den letzten Umfragen lag sie bei 41 Prozent der Stimmen.
Ob die Partei auch weiterhin den Präsidenten stellen wird, ist noch nicht ausgemacht. Ihr Kandidat Tabaré Vázquez – der zugleich Mujicas Amtsvorgänger ist – wird aller Voraussicht nach bei einer für den 30. November angesetzten Stichwahl antreten müssen. Vázquez würde in dem Fall Umfragen zufolge auf 46 Prozent kommen und läge damit einen Prozentpunkt hinter seinem aussichtsreichsten Kontrahenten, Luis Alberto Lacalle Pou von der konservativen Nationalen Partei. Doch Vázquez verbreitet Optimismus. »Ich sehe keine Übereinstimmung zwischen den Umfragen und der alltäglichen Realität«, kommentierte er die Prognose.

Wie auch immer die Wahl ausgehen mag, die Ära Mujica ist bald zu Ende. »Pepe« ist ein Unikum unter den Präsidenten weltweit. Er gilt als das ärmste Staatsoberhaupt der Welt, weil er 90 Prozent seines Einkommens an soziale Projekte spendet. Das macht ihn zur Ikone aller Politikverdrossenen. Der ehemalige Tupamaro, der wegen seines Wirkens in der kommunistischen Guerillaorganisation fast 15 Jahre im Knast saß, begnügt sich mit dem einfachen Leben in seinem kleinen Landhaus, nutzt als Dienstwagen seinen 25 Jahre alten VW-Käfer und hält wenig von konventionellen präsidialen Kodizes. Dass er aus der Mitte der Bevölkerung kommt, unterstreicht der gelernte Gärtner durch seine konsequente Wahl von All­tags­kleidung und seine proletarische Ausdrucksweise. So bezeichnete er kürzlich vor laufenden Kameras den Weltfußballverband Fifa als »Bande von alten Hurensöhnen«. Auch wenn diese Formulierung keineswegs die letzte Weisheit emanzipatorischen Denkens ist, verdeutlicht sie, dass Mujica die radikale Antithese des herrschenden Politikerideals ist. Und dafür bekommt er auch an Ort und Stelle Anerkennung: Lediglich 15 Prozent der Uruguayerinnen und Uruguayer halten ihn für unsympathisch, wie eine Umfrage im September ergab.
Während seiner Amtszeit bemühte er sich vor allem darum, Bündnisse innerhalb Lateinamerikas zu stärken, etwa die Vereinigung südamerikanischer Nationen (Unasur), ohne dabei jedoch der von konservativen lateinamerikanischen Regierungen initiierten Freihandelszone Pazifikallianz eine klare Absage zu erteilen. Daneben brachte er in den fünf Jahren seiner Amtszeit eine Reihe von symbolträchtigen innenpolitischen Projekten auf den Weg. So wurden unter ihm der Konsum von Marihuana legalisiert sowie Anbau und Vertrieb reguliert, die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt und Schwangerschaftsabbruch erlaubt. Insgesamt betrieb Mujica eine pragmatische Politik. Der 79jährige erklärte Libertäre verfolgte entgegen den Vorwürfen der Opposition kein ideologisches Projekt, sondern eines des laissez faire. Das wiederholte Credo Mujicas »Heute sage ich dieses, morgen sage ich jenes« korrespondiert durchaus mit seinen widersprüchlichen Maßnahmen. Sein ambivalenter Pragmatismus zeigte sich zum Beispiel bei der Legalisierung von Marihuana, im Rahmen derer er sich von der Lobby der Saatgutindustrie beraten ließ und dieser gegenüber beängstigend offen ist (Jungle World 31/2014).

Der ehemalige und mögliche neue Präsident Vázquez gilt hingegen als strikter Verwalter und hat die Basis für den von Mujica relativ unverändert fortgesetzten gemäßigt liberalen ökonomischen Kurs gelegt, dank dem es der uruguayischen Wirtschaft nach der schweren Krise ab 2002 wieder relativ gut geht. Die Armut in dem als »Schweiz Lateinamerikas« bezeichneten Land ist von 40 auf 11,5 Prozent gesunken und die Arbeitslosenquote liegt bei 6,7 Prozent. Vázquez war 2005 mit der Parole angetreten, dass diejenigen, die mehr haben, auch mehr zahlen sollten. Wie Kritiker feststellten, wurde dies in der Praxis lediglich auf die Arbeiterklasse bezogen, nicht auf Kapitalbesitzende. In Erinnerung geblieben sind daneben vor allem die Rückzieher des 74jährigen, der etwa 2008 durch ein präsidiales Veto die Legalisierung von Abtreibung verhinderte – gegen den Willen seiner eigenen Partei, die das fragliche Gesetz bereits durch das Parlament gebracht hatte.
Im pluralistischen Bündnis Frente Amplio sind knapp 40 verschiedene Parteien und Gruppen vertreten. Darunter auch die marxistische »Partei für den Sieg des Volkes« um die Politologin Constanza Moreira, die die interne Opposition anführt und bei den parteiinternen Vorwahlen auf knapp 18 Prozent der Stimmen kam. Sie kritisiert Vázquez’ Verfehlungen beim Thema Abtreibung sowie die bis dato nicht ausreichende Strafverfolgung der Verantwortlichen der Militärdiktatur: Bis heute sind nur eine Handvoll von ihnen in Haft. Auch bemängelt die interne Opposition, dass die Regierung kein deutlich sozialistisches Profil hat, obwohl die rechte Opposition in den vergangenen Jahren weitgehend orientierungslos war.
Andere Linke, wie der Leiter des Lateinamerikanischen Zentrums für soziale Ökologie, Eduardo Gudynas, werfen dem Frente Amplio vor, einen falschen wirtschafts- und umweltpolitischen Kurs zu verfolgen. Die ökonomischen Grundsätze würden sich nicht von denen vieler anderer lateinamerikanischer Länder unterscheiden und einen exportorientierten »Extraktivismus« vorantreiben. Wie Gudynas kürzlich in einem Interview mit einem bolivianischen Radiosender erläuterte, führe das letztlich zu einer Abhängigkeit von Importen und zur Verteuerung der Lebenshaltungskosten. Durch den Verkauf von unraffinierten Bodenschätzen in hohem Umfang würden zwar »die Währung gestärkt, Sozialprogramme aufgelegt und der Zugang zu Importgütern erleichtert«, gleichzeitig werde aber »die nationale Industrie zerstört« und so die Abhängigkeit von Importen erhöht. Statt auf das schnelle Geld zu setzen, sei eine eigenbedarfsorientierte Ausbeutung der Rohstoffe angebracht, um in Zukunft nicht von anderen Ländern abhängig zu sein, so der Forscher und Aktivist.

Die Zeiten der innerlinken Einheit scheinen vorbei. Zusammen mit dem Wiedererstarken des Konservatismus führt das zu guten Chancen für die rechte Opposition. Ein weiterer aussichtsreicher Bewerber für die Präsidentschaft ist Pedro Bordaberry, der Sohn des ehemaligen Militärdiktators Juan María Bordaberry Arocena (1973 bis 1976) und Kandidat des weit rechts stehenden Partido Colorado (Rote Partei). Während Lacalle Pou in bester positivistischer, neoliberaler Manier den Staat vermeintlich unpolitisch verwalten will, verfolgt Bordaberry einen rigorosen Sicherheits- und Ordnungskurs und scheint nicht weit von den Idealen seines Vaters entfernt zu sein. Kurzum: Die Opposition ist schauderhaft. Wie in vielen lateinamerikanischen Ländern geht es, nachdem die linke Regierung ihren anfänglichen Zauber verloren hat, auch für viele kritische Linke in Uruguay am Sonntag um die Wahl des kleineren Übels.