Der Rücktritt der Regierung in Rumänien

Korruption tötet

Ein Brand mit über 40 Toten in einem Musikclub in der rumänischen Hauptstadt Bukarest hat tagelange Proteste ausgelöst. Die Demonstrierenden machen Behörden und Politiker mitverantwortlich für vor­eilige Lizenzvergaben und mangelhafte Brandschutzvorkehrungen. Die Regierung ist mittlerweile zurückgetreten.

Das Hashtag #coruptiaucide (Korruption tötet) ist derzeit allgegenwärtig in den sozialen Medien Rumäniens. 45 Menschen starben bisher in Folge der Brandkatastrophe vom 30. Oktober in einem Musikclub in Bukarest. Mehr als 100 Personen werden noch im Krankenhaus behandelt, über 40 davon befinden sich weiterhin in kritischem Zustand. Der Brand, verursacht durch das Zünden von Feuerwerkskörpern während eines Konzerts, hatte sich aufgrund fehlender Brandschutzvorrichtungen in dem mit 300 Besuchern überfüllten Raum über die Schallisolierung an Decke und Wänden blitzschnell ausgebreitet und eine Massenpanik ausgelöst. Da der Notausgang versperrt war, blieb nur ein einziger Fluchtweg.
Der Schock und die Trauer wegen der Katastrophe wandelten sich bereits am nächsten Tag in Wut über die Korruption in der örtlichen Verwaltung, die das Betreiben des Clubs in diesem Zustand erst möglich gemacht hatte. Bereits am Dienstag vergangener Woche wuchs der Protest zu einer Massenbewegung an, die Zehntausende, vor allem junge Menschen in Bukarest und anderen Städten des Landes auf die Straße trieb. Dabei geht es nicht mehr nur um den Club Colectiv, dieser steht vielmehr exemplarisch für die Folgen der systematischen Korruption in Verwaltung, Behörden und der gesamten politischen Führungsschicht des Landes.

Ein erstes Resultat der Massenproteste war, dass am Mittwoch vergangener Woche Ministerpräsident Victor Ponta und sein gesamtes Kabinett zurücktraten. Dennoch dauern die Proteste an, täglich versammeln sich am Abend bis zu zehntausend Demonstrierende auf dem zentralen Universitätsplatz in Bukarest. Die Demons­trationen sind innerhalb weniger Tage zu Protesten gegen die grassierende Korruption in Rumä­nien geworden, die vor allem nach dem EU-Beitritt des Landes 2007 zunahm. Für rumänische Verhältnisse sind die Kundgebungen der vergangenen Woche enorm groß, zuletzt gab es Demonstrationen dieses Ausmaßes 1990.
Pontas Rücktritt erfolgte nicht nur wegen des öffentlichen Unmuts, denn die Staatsanwaltschaft hatte bereits im September Anklage gegen ihn wegen Geldwäsche und Steuerbetrugs erhoben. Somit war er der erste Ministerpräsident, der sich während seiner Amtszeit vor Gericht verantworten sollte. Anträge auf Aufhebung seiner Immunität waren allerdings bis zu seinem Rücktritt mehrfach vom Parlament abgelehnt worden, da nicht nur gegen Vertreter der Regierungsparteien wegen Korruption ermittelt wird (Jungle World 43/2014). Damit wird deutlich, warum die Proteste sich nicht nur gegen Ponta und seine sozialdemokratische Partei PSD, sondern gegen alle Regierungs- und Oppositionsparteien richten. Die gesamte politische Führungsschicht des Landes gilt als korrupt. Über alle Parteigrenzen hinweg spielen Vorteilsnahme und Korruption eine derart große Rolle, dass Affären und Skandale kaum Auswirkungen auf die politische Karriere einzelner Politiker oder ihrer Parteien haben. Die ständigen Gesetzesänderungen und nach Belieben vorgenommenen Verschiebungen der Befugnisse von Untersuchungsausschüssen, Staatsanwaltschaften und anderen mit der Aufklärung von Korruption beschäftigten Gremien haben das Vertrauen der Bevölkerung in die regierenden Parteien zerstört. Nach Ansicht vieler Demonstrierender werfen sich die Politiker aller Parteien gegenseitig Korruption und Vorteilsnahme vor, um dies in erster Linie für die Vergrößerung des eigenen Einflusses zu nutzen.

Nachdem die Besitzer des Musikclubs festgenommen wurden, kam am 6. November auch der Bürgermeister des Stadtbezirks wegen Machtmissbrauchs, fahrlässiger Tötung und Körperverletzung in Gewahrsam. Er soll dem Club die Betriebserlaubnis ausgestellt haben, ohne dass die dafür notwendige Freigabe durch die Feuerwehr oder private Brandschutzunternehmen vorgelegen habe. Verwundert über die Art der Lizenzvergabe war jedoch kaum jemand, in Bukarest ist Korruption in der öffentlichen Verwaltung kein Geheimnis und die periodische Festnahme und Absetzung von Bürgermeistern oder Behördenleitern fast zur Routine geworden.
Inzwischen hat Präsident Klaus Johannis mit Sorin Cîmpeanu einen Interimsministerpräsidenten ernannt. Der bisherige Bildungsminister ist parteilos, unterstützte bei der Präsidentschaftswahl jedoch offen Ponta. Auch diese Personalie erklärt das Andauern der Proteste, bei denen immer öfter »Nieder mit dem Parlament« gefordert wird. Die Ernennung ist zugleich eine erste Bewährungsprobe für Johannis. Er war zur Wahl im November 2014 mit dem Versprechen angetreten, Korruption und Misswirtschaft zu bekämpfen, und hatte auch dank seiner Darstellung als Mann deutscher Tugenden (er ist Siebenbürger Sachse) die Stichwahl gegen Ponta für sich entschieden. An seiner weiteren Reaktion auf die Proteste wird sich messen lassen, wie ernst er seine Wahlversprechen nimmt und inwieweit er sie politisch überhaupt durchsetzen kann.
Es verwundert daher kaum, dass Symbole der im Parlament vertretenen Parteien bei den Protesten nicht zu sehen waren. Die Organisation und die Mobilisierung zu den Protesten geht vor allem auf Gruppen in sozialen Netzwerken zurück, die sich bereits anlässlich von Protesten gegen ein Goldbergbauprojekt 2013 und während der Präsidentschaftswahlen 2014 gebildet hatten. Vor allem bei jungen Menschen wandelte sich die Trauer über die Toten und Verwundeten schnell in allgemeine Wut und Unzufriedenheit. Während die Demonstrierenden der Wunsch nach ernst­zunehmender Bekämpfung der Korruption eint, fehlen ihnen darüber hinausgehende gemeinsame politische Ideen und Ziele. Auch die Kommunikation über soziale Netzwerke erschwert eine inhaltliche Diskussion und die Herausbildung von Strukturen, die eine eigenständige politische Initiative tragen könnten.

Dass sich gerade jetzt viele an Protesten beteiligen, liegt auch daran, dass die junge Generation ihre Zukunft in Rumänien und nicht mehr im Ausland sieht. Eine funktionierende Zivilgesellschaft ist immer mehr jungen Menschen wichtig. Um diese aufzubauen und zu festigen, braucht es allerdings Zeit. Somit wird die Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen von vielen Demons­trierenden nicht geteilt. Zu schnell angesetzte Neuwahlen ließen nicht genügend Zeit für eine mög­liche Formierung neuer politischer Kräfte, die Macht würde sich nur innerhalb bestehender Kreise verschieben. Die im November 2016 anstehenden Parlamentswahlen bieten, sollten nur die bisherigen Parteien antreten, keine Alternative zum Bestehenden, weder neue Personen noch Parteien. Allerdings ist die Neugründung von Parteien recht­lich inzwischen erheblich vereinfacht worden. Der Protest könnte also durchaus eine neue politische Dynamik entfachen. Darin liegt eine Chance für Veränderungen, aber gleichzeitig auch die Gefahr der Zersplitterung der Protestbewegung.
Linke in Bukarest sind sich uneinig über die Beurteilung der derzeitigen Situation und ihrer Auswirkungen. Linke Gruppen können momentan nur versuchen, ihre Forderungen stärker zu verbreiten und gleichzeitig eine Vernetzung progressiver Initiativen voranzubringen.