Zahnärzte

Immer, wenn ich etwas besonders Grauenvolles erfahre, schwillt in meinem Kopf plötzlich eine Phrase aus Wagners »Rheingold« an, wird lauter und festlicher. Gleichzeitig fällt alle Anspannung von mir ab, ein erlöstes Lächeln spielt um meine Mundwinkel, weil ich sicher bin, jetzt endlich, endlich den Verstand zu verlieren, sofort und für immer wahnsinnig zu werden, in den sanften Armen privaten Irreseins Ruhe vor dem Irrsinnn der Welt zu finden – aber dann warte ich und warte vergebens, die Göttergesänge werden leiser, und ich bleibe leider bei Verstand und allein mit meinem Grauen.
Zuletzt ging mir das so in Trier, auf dem Weg zum Bahnhof. Ich kam am Eingang eines Bürogebäudes vorbei. Auf dem fast zwei Meter langen Firmenschild hieß es »Güntzert & Brandstätter Gemeinschaftspraxis«. Neben immerhin fast zwei Brandstättern, im einzelnen »Dr. Julia«, Kinderzahnärztin, und »Dr. Christian«, Oralchirurg, wurde dort vor allem gegüntzert: »Dr. Susanne Güntzert«, Kieferorthopädin, fingert da gleichberechtigt neben Dr. Philipp, Paradontologe, auch Dr. Matthias, ästhetische Zahnheilkunde, und Dr. Julia, wiederum Kinderzahnputzbecherärztin, den Leuten im Maul herum. Neben der Frage, ob die Kinderzahndoktorinnen Julia Güntzert und Julia Brandstätter nicht in Wahrheit ein- und dieselbe Person seien, nur eben vor und nach der Einheirat und gewissermaßen zeitverschoben, stand mir vor allem der Gedanke vor Augen, dass dies die bizarrste Familiendynastie aller Zeiten sein muss. Alles Güntzert, alles Zahnärzte, all das verschwendete Leben, nur zusammengehalten durch Versippung, Verschwippung und Veschwägerung, sich auch nach Feierabend gegenseitig und vielleicht sogar im Bett die Zähne machend. Es ist schrecklich, dies Leben, aber nicht schrecklich genug.