Die Verführung der Informationssüchtigen

Leo Fischer klingt diese Woche wie Margot Käßmann, Theologin

Liebe Gläubige, liebe Zweifelnde! Hinter uns liegt ein schreckliches Wochenende. In drei verschiedenen Städten sind drei verschieden schwere Unglücke geschehen, im Zuge ­derer drei verschiedene Opferzahlen entstanden. Es sind nur Zahlen. Doch wir alle wissen: Hinter Zahlen stehen immer auch Buchstaben. Buchstaben, die die Namen von Menschen formen. Und hinter Namen stehen oft auch Telefonnummern. Telefonnummern, die wir nicht mehr erreichen. Weil Gott das W-Lan dieser Menschen für immer ausgestellt hat.
Derart schreckliche Ereignisse verarbeitet jeder anders: Der eine gurgelt erst einmal eine Flasche Weißwein runter und geht dann in die Sauna, die andere ruft sofort die Evangelische Presseagentur an, um ihren Senf dazuzugeben. So viele Menschen, so viele Formen nimmt Trauer an. Großartig fand ich zum Beispiel, wie hilfsbereit die Leute in München zueinander waren. Viele haben die Polizei angerufen oder sich im Keller versteckt, statt raus auf die Straße zu laufen und mitzuballern. Das ist toll! Kritik muss ich aber auch üben: Kritik an den Medien, die ohne Zögern wild drauflosberichtet haben. Es herrschte eine regelrechte Informationssucht vor! Und wie manch einer von uns weiß: Hat man erst mal einen Probeschluck Information genommen, kommt schnell der nächste dazu – bis wir wahllos Info um Info hinunterstürzen, nur um am nächsten Morgen ohne Hosen auf dem Gästesofa von Gerhard Schröder aufzuwachen. Die Medien sollten gerade in so schweren Momenten uns Informationssüchtige nicht verführen! Stattdessen hätte ich mir eine Minute des Schweigens, des Innehaltens gewünscht, gerade von den Öffentlich-Rechtlichen, deren Anteilseigner die Kirche ja ist. Ich gebe zu: Durch dieses Pressestatement wird der Lärm vielleicht nicht weniger. Aber vielleicht lässt gerade meine Stimme das Bedürfnis nach Stille besonders stark in den Menschen entstehen. Falls ja, ist das ein Opfer, das ich gerne bringen will. Für unser Gemeinwohlsein.

Gottseibeiuns: Margot Käßmann