Wire ist die wichtigste Band des Postpunk

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Die ersten drei Alben von Wire werden wiederveröffentlicht. »Pink Flag«, »Chairs Missing« und »154« sind die wichtigsten Platten des Post-Punk.

Genau auf einen Punksong brachten es Wire. Er hört auf den Namen »1 2 X U«. Der Titel, auf den ersten Blick verwirrend, macht ein wenig mehr Sinn, wenn man die Buchstaben und die Ziffer ausspricht. Der Song heißt dann »Want to X You«, das »X«, so darf man annehmen, ist eine ironische Selbstzensur. Es war der letzte Song auf ihrem ersten Album »Pink Flag«.

Von dem Lied existieren einige Varianten, eine davon klingt wie klassischer wütender Punk mit röhrenden Gitarren und kreischendem Gesang, bei einer anderen, 2001 veröffentlichten Version hört man im Hintergrund Technobeats, die dem Ganzen eine nach Industrial klingende Anmutung geben. Das Original auf dem Album dagegen wirkt im Vergleich fast fromm – die Strophen werden nur begleitet von einem simplen Basslauf und einem minimalen Schlagzeug; obwohl der Song durchaus hart klingt und schnell ist, wirkt es so, als sei etwas absichtlich im Zaum gehalten. Die Gitarren werden gleichermaßen schrammelig gespielt und doch extrem präzise eingesetzt. »1 2 X U« klingt gerade noch so wie Punk, ist es aber nicht mehr. Sein dadaistisch-redundanter Text, seine starken Brüche zwischen laut und leise; er ist eine Persiflage auf Punk im Gewande von Punk, er markiert eine Abwehr und gleichzeitig eine Radikalisierung.

Nimmt man die Ramones als Paradebeispiel dafür, was Punk war, dann ist die Antwort, abgesehen natürlich von etwaigen Gesinnungen, folgende: Punk ist die Abkehr von den Hippies, sind die berühmten drei Akkorde, sind repetitive, auf einfaches Mitsingen angelegte Texte und die strenge Popstruktur der Lieder, die selten länger dauern als zwei Minuten.

Wenn Punk eine Reaktion auf Hippies und Prog-Rock war, so waren Wire die erste radikale Reaktion auf Punk.

1977, das Jahr der Punkwelle in Großbritannien, brachte die ersten Alben von Bands wie den politischen The Clash, den Rockern von The Damned oder den offensiven Sex Pistols hervor. Allesamt waren sie auf ihre Art und Weise vulgär: Nasenringe und zerrissene Shirts gehörten zur Standardausstattung ebenso wie Parolen gegen das Establishment. Wären die Songs nicht so laut und die Texte so sehr auf Tabubruch aus, man könnte das Ganze getrost Pop nennen.

1977 war auch das Jahr, in dem das bereits erwähnte Album »Pink Flag« von Wire erstmals erschien. Das Cover zeigte, wie der Titel schon nahelegt, statt einer roten Fahne der Linken oder einer schwarzen der Anarchisten eine pinke Fahne, aufgehängt an einem einsamen Mast. Auch der Bandname impliziert auf den ersten Blick keinen Aufruhr: Wire, das eng­lische Wort für Kabel oder Draht, verweist banal auf die Kabel, die zum Machen von Musik notwendig sind, war aber auch eine beliebte Metapher für den endlosen technischen Fortschritt, den man sarkastisch ­bejahte. Und buchstäblich verdrahtet wurde hier ja tatsächlich etwas: der Punk mit seiner Zukunft. Es bleibt nicht der einzige Verweis auf Kabel im musikalischen Großbritannien dieser Zeit: Die anderen großen Erneuerer des britischen Punk, die Band The Fall, veröffentlichten drei Jahre später einen Song mit dem ­Titel »Totally Wired«.