No Future
Im Jahr 2034 hat der Staat die Kontrolle über Leben und Tod übernommen. Der »Senioren-Service« ist ein gigantisches Euthanasieprogramm, das Alte ausschaltet, damit die knapper werdenden Ressourcen Jüngeren zur Verfügung stehen. Die Mehrheit willigt ins Programm für ein »erleichtertes Ableben« im Alter ein. Niemand möchte zu den »TAS«, den »traurigen alten Schachteln« gehören. Doch es gibt »Uneinsichtige«, die den Pakt verweigern. Auf diese »Mumien« werden die »Ruhestandsvollstreckungs-Offiziere« angesetzt. Die gut ausgebildeten Rekruten kennen die Tricks, mit denen die »Altersschwachen« jünger wirken wollen – Perücken, Make-up, Masken. Aber das am Handgelenk zu tragende »Wristpad« mit sämtlichen Gesundheitsdaten weist das biologische Alter unerbittlich aus.
Die Jobs im Senioren-Service sind hoch dotiert und sehr begehrt. Florence, 16 Jahre, Tochter einer alleinerziehenden Mutter aus bescheidenen Verhältnissen, hat es in die Eliteeinheit geschafft. Erst übt sie das Töten am Hologramm, bald jagt sie eine Guerrilla von leibhaftigen Alten, die dem »Gnadenschuss« entkommen wollen. Die Mission ist nicht ungefährlich, denn einige Alte sind mitnichten »alterschwach« und zu allem entschlossen. Und dann verliebt sich Florence auch noch in den Dissidenten Eric, der eine andere Sicht auf die Hochbetagten hat.
Der 2015 im englischen Original erschienene Roman »1984.4« von Philip Kerr erscheint postum in deutscher Übersetzung. Es ist das letzte Buch des 2018 an Krebs verstorbenen Autors, der vor allem mit einer mehrbändigen Krimireihe, die in erster Linie in Berlin unter dem Nationalsozialismus spielt, bekannt wurde. Schon der Titel, aber auch die euphemistische Kunstsprache, zeigen die Nähe zu George Orwells Dystopie »1984«. Die Replikantenjagd des »Blade Runner« kommt einem ebenfalls in den Sinn. Pulp-Elemente sorgen für die notwendige Drastik. Auf packende Weise spielt Kerrs Science-Fiction den Gedanken durch, dass die Zukunft der Jungen das Alter ist.
Philip Kerr: 1984.4. Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn. Rowohlt, Hamburg 2021, 320 Seiten, 16 Euro