Durch Ausbeutung zur Exportnation
Keine symbolträchtige Vertragsunterzeichnung, keine Regierungsvertreter, die sich medienwirksam die Hände schütteln, noch nicht einmal eine Pressemitteilung – als am 30. Oktober 1961 das Auswärtige Amt und die türkische Botschaft in Bonn eine Vereinbarung zur Entsendung von Arbeitskräften aus der Türkei nach Westdeutschland unterzeichneten, geschah dies ohne große öffentliche Aufmerksamkeit. Das lediglich zweiseitige Dokument sollte später als Anwerbeabkommen bekannt werden. Ähnliche Vereinbarungen hatte die Bundesrepublik zuvor mit Italien, Spanien und Griechenland geschlossen. Es folgten weitere Verträge mit Jugoslawien, Portugal, Marokko und Tunesien – doch keiner prägte die Bundesrepublik so sehr wie das Abkommen mit der Türkei.
Was damals ein bloßer Verwaltungsvorgang war, wird 60 Jahre später in großangelegten staatlichen Feierstunden gewürdigt: Anfang Oktober hatte die Türkische Gemeinde Deutschland zu einem Festakt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ins Berliner Haus der Kulturen geladen. In seiner Rede sprach Steinmeier vom Mut der Gastarbeiter, von ihrem Durchhaltevermögen und ihrem Optimismus. Er würdigte sie als diejenigen, die »Deutschland mit aufgebaut« hätten, und als »integralen Teil der Geschichte dieser Republik«. Er sprach auch von Rassismus und den Morden des NSU.
Nicht Trümmerfrauen und Erfindergeist machten Deutschland schnell zu einer führenden Exportnation, sondern die Überausbeutung von Millionen ausländischen Arbeitssklaven im Nationalsozialismus.
Die katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen von heutigen Arbeitsmigranten, zum Beispiel in der Fleischindustrie, der Pflege, der Landwirtschaft oder auf den Baustellen Deutschlands, erwähnte der Bundespräsident hingegen nicht. Auch die lange und brutale Geschichte der systematischen Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte in Deutschland, die weit vor dem Anwerbeabkommen mit der Türkei begann, war an dem Abend kein Thema.
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