Im Sudan ist der Widerstand gegen die Putschisten groß

Putschisten unter Druck

Der Druck auf die Militärführung im Sudan wächst. Allein mit militärischer Repression kann sie ihr politisches Überleben nach dem Putsch kaum sichern.

In den frühen Morgenstunden des 25. Oktober verkündete General Abd al-Fattah Burhan die Absetzung von Ministerpräsident Abdalla Hamdok und der zivilen Minister in der sudanesischen Übergangsregierung und verhängte den Ausnahmezustand über das Land. Das Militär hatte erneut geputscht und damit den Demokratisierungsprozess im Sudan ausgesetzt. Ob dieser damit auch beendet ist, werden die kommenden Wochen zeigen. Seit dem Putsch wächst der Widerstand der demokratischen und linken Kräfte auf der Straße schnell. Hamdok und seine Minister haben ihre Absetzung nicht akzeptiert, das noch in Hand von Zivilisten befindliche Informationsministerium ruft offen zum Widerstand auf.

Verlässliche Informationen aus dem Land zu bekommen, erweist sich als schwierig. Das Internet wurde abgeschaltet und das Regime versucht, so gut wie möglich den Informationsfluss zu behindern. Was sich allerdings mit Sicherheit sagen lässt: Sowohl in der Hauptstadt Khartoum als auch in anderen Städten das Landes leistet ein großer Teil der Bevölkerung aktiv Widerstand. Die meisten Geschäfte sind aus Protest geschlossen, viele Betriebe werden bestreikt und Straßensperren und Demonstrationen verhindern, dass sich die Putschisten etablieren können. Am Samstag fanden sich in Khartoum Gegnerinnen und Gegner des Militärregimes zu einer Massendemonstra­tion zusammen, an der nach Angaben der demokratischen Opposition über 100 000 Menschen teilnahmen.

Die Streiks und Massenproteste machen deutlich, dass die Herrschaft der Armee nicht einfach hingenommen wird.

Schon in den ersten Tagen nach dem Putsch waren mehrere Tote zu beklagen. Die Armee und die überwiegend aus ehemaligen Janjaweed-Milizionären aus Darfur bestehenden Rapid Support Forces (RSF) hatten an mehreren Orten das Feuer auf Demonstrierende eröffnet. Viele sehen bereits die Gefahr einer Wiederholung der Ereignisse vom Juni 2019.

Am 3. Juni 2019 hatten die RSF auf Anordnung des damals regierenden Mili­tärischen Übergangsrats über 120 Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt. Das Massaker, das im Colombia genannten Armenviertel Khartoums am blutigsten ausfiel, wurde mit einem landesweiten Generalstreik ­beantwortet, der so lückenlos befolgt wurde, dass der Militärische Übergangsrat sich schließlich gezwungen sah, mit der Opposition zu verhandeln und einen Kompromiss zu schließen.

Die am 25. Oktober abgesetzte Übergangsregierung unter Hamdok war das Resultat dieser Verhandlungen. Sie umfasste sowohl Vertreter der alten Militärmachthaber als auch der demokratischen und progressiven Opposition. Neben der Übergangsregierung blieb aber ein »Souveräner Rat« an der Macht, der als eine Art kollektives Staatsoberhaupt fungierte. In diesem waren auch Parteigänger des von 1993 bis 2019 regierenden islamistischen Diktators Omar al-Bashir vertreten, den das Militär erst im April 2019 abgesetzt hatte, um nach monatelang anhaltenden Protesten im Land einer Revolution zuvorzukommen. Unter dem Vorsitz von Burhan und seinem Stellvertreter, dem berüchtigten ehemaligen Janjaweed-Führer Mohammed Hamdan Dagalo, mussten sich im Souveränen Rat insgesamt elf Zivilistinnen und Zivilisten und Militärangehörige zusammenraufen. Zum Unmut der in der revolutionären Bewegung sehr stark vertre­tenen Frauen waren nur zwei der Mitglieder, Aisha Musa al-Said und Raja ­Nicola Eissa Abd al-Massih, weiblich. Letztere war die erste Christin in füh­render Position seit der Unabhängigkeit des Landes 1956.

Die seit September 2019 amtierende Übergangsregierung unter Hamdok stellte nur einen Kompromiss zwischen dem Militär und den »Forces of Freedom and Change« dar, also jenen progressiven, aber sehr heterogenen demokratischen Kräften, die mit ihren Protesten den Sturz des alten Regimes herbeigeführt hatten. Immerhin ermöglichte dies, einen Terminplan zur Demokratisierung des Landes aufzustellen und einen Friedensprozess mit den meisten Guerillagruppen einzuleiten, die in Darfur, in Südkordofan und im Dreiländereck von Äthiopien, dem Sudan und dem Südsudan gegen das Regime kämpften. Dabei tat sich der selbst krisengeschüttelte Südsudan als Vermittler hervor. Im Oktober 2020 konnte in der südsudanesischen Hauptstadt Juba ein Friedensvertrag zwischen der Übergangsregierung und den wichtigsten Guerillagruppen geschlossen werden. Außen vor blieben vor allem der von Abd al-Wahid al-Nur kommandierte Flügel der Sudan Liberation Army (SLA) und einige andere kleinere Gruppen in Darfur.

Zu schaffen machte der neuen Regierung die ökonomische Entwicklung des Landes, die zu einer galoppierenden Inflation und Versorgungsengpässen für die Bevölkerung führte. Der Alltag vieler Sudanesinnen und Sudanesen verbesserte sich durch die Revolution nicht, viele konnten sich in den vergangenen Monaten nur noch eine Mahlzeit am Tag leisten. Dazu kamen verheerende Überschwemmungen seit August 2020 und die Covid-19-Pandemie. Zudem leidet der Sudan seit Jahren an den Folgen der globalen Erwärmung, deren Folgen sich am Südrand der Sahara bereits sehr viel deutlicher abzeichnen als in Europa. Für viele Sudanesinnen und Sudanesen, die sich eine rasche Verbesserung ihrer Lebensbedingungen erhofft hatten, waren die vergangenen zwei Jahre eine Enttäuschung.

Statt den demokratischen Prozess entschieden zu unterstützen, nötigte die US-Regierung unter Donald Trump die Übergangsregierung, Reparationszahlungen für Terrorangriffe von al-Qaida im Jahr 1998 in Höhe von 335 Mil­lionen US-Dollar zu leisten und das »Abraham-Abkommen« mit Israel zu unterzeichnen, das normale diploma­tische Beziehungen etablierte, um von der US-amerikanischen Liste der Ter­rorismus unterstützenden Staaten gestrichen zu werden. Zahlungen aus Europa – 2021 belief sich die humanitäre Hilfe aus der EU 52 Millionen Euro – waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Bereits im September dieses Jahres war ein Militärputsch der Anhänger des inhaftierten ehemaligen Diktators al-Bashir verhindert worden. Am 16. Oktober kam es zu Protesten von Anhängern des alten Regimes und der Armeeführung, die vor dem Präsidentenpalast einen Militärputsch forderten und ihre Unterstützung für General Burhan zum Ausdruck brachten. Die Unterstützer der Militärführung campten bis zum 21. Oktober vor dem Präsidentenpalast in Khartoum, was am 21. Oktober wiederum eine Demonstration von rund 100 000 Unterstützerinnen und Unterstützern der demokratischen Bewegung auf die Straße brachte, die einen Rückzug der Militärführung und eine zivile Regierung forderten, ebenso wie den Rücktritt Burhans und eine völlige Übergabe der Macht an eine zivile Übergangsregierung.

Mit dem Putsch dürfte Burhan auch sein eigenes politisches Überleben ­sichern wollen. Ob ihm das gelingt, ist noch keineswegs ausgemacht. Hamdok, der mittlerweile nicht mehr im Gefängnis sitzt, sondern sich in Hausarrest befindet, lehnte ein Angebot Burhans ab, ein neues Kabinett zu bilden, und fordert die Rückkehr zur Situation vor dem 25. Oktober, um überhaupt in Verhandlungen mit Burhan zu treten. Die Streiks und Massenproteste, die selbst, nachdem die Repression bislang ein Dutzend Todesopfer forderte, nicht aufzuhalten sind, machen deutlich, dass die Herrschaft der Armee nicht einfach hingenommen wird.

Auch international wächst der Druck auf Burhan. Die EU verurteilte bereits am 26. Oktober den Militärputsch sowie »die unrechtmäßige Festnahme des Ministerpräsidenten« und drohte mit ernsthaften »Konsequenzen für das Engagement der EU, auch in Bezug auf ihre finanzielle Unterstützung«. Die USA froren 700 Millionen Dollar an Hilfsgeldern ein und forderten die unverzügliche Freilassung von Hamdok. Der Uno-Sicherheitsrat forderte die Militärführung auf, die zivil geführte Übergangsregierung an die Macht zurückkehren zu lassen und den demokratischen Übergang fortzusetzen. Auch die Afrikanische Union protestierte und suspendierte die Mitgliedschaft des Sudan. Etwas verhaltenerer Widerspruch kamen von der Arabischen Liga und der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (Organization of Islamic Cooperation, OIC).

Angesichts der extrem angespannten ökonomischen Situation, des anhaltenden internationalen Drucks und der großen Proteste im Land selbst dürften sich Burhan und Dagalo auf Dauer schwertun, sich ausschließlich durch militärische Repression an der Macht zu halten. Mittelfristig kann dieser Putsch wegen seiner geringen Erfolgsaussichten zu einem neuen Kompromiss führen oder auch dazu, die Macht des Militärs zu brechen und einer wirklich zivilen Übergangsregierung zum Durchbruch zu verhelfen.