Die Debatte über die allgemeine Impfpflicht gegen Sars-CoV-2

Hauen und stechen

In den kommenden Wochen soll der Bundestag über eine allgemeine Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 entscheiden. Doch selbst wenn er sie einführen sollte, kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass sie auch tatsächlich verwirklicht würde.

Es sind keine zwei Wochen mehr, dann tritt die Impfpflicht in Kraft – zumindest für Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen, wie Krankenhäusern, Kliniken und Arztpraxen, bei Pflegediensten und in Pflegeheimen. Deren Verpflichtung, bis zum 15. März nachzuweisen, vollständig geimpft oder genesen zu sein oder aber aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden zu können, hatte der Bundestag am 10. Dezember in das Infektionsschutzgesetz eingefügt. Zu diesem Zeitpunkt war deutlich geworden, dass trotz der hierzulande mittlerweile in ausreichenden Mengen vorhandenen Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 sich nicht genug Menschen freiwillig impfen lassen würden, um die Weiterverbreitung des Virus so stark einzuschränken, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems ausgeschlossen wäre. Gleich­zeitig erreichte die vierte Welle der Covid-19-Pandemie in Deutschland ihren Höhepunkt und das zweite Weihnachtsfest in der Pandemie stand vor der Tür. Es musste davon ausgegangen werden, dass sich wesentlich weniger Menschen als im Vorjahr an Kontaktbeschränkungen halten würden.

Dafür, bundesweit den Erfolg von Bremens Impfkampagne zu kopieren, fehlten im überlasteten Gesundheitssystem und nach anderthalb Jahren holprigen Pandemiemanagements offenbar die Grundlagen. Im kleinsten Bundesland war durch eine offensive Kommunikationspolitik, niedrigschwellige Impfangebote und die Berück­sichtigung der sozialen Lage gerade von Ärmeren und Migrantinnen bei der Organisation der Impfkampagne die bundesweit höchste Impfquote erreicht worden. Doch anderswo hakte es bei der Impfkampagne erheblich, ­beispielsweise in Sachsen. Unter diesen Umständen wurde die Diskussion über die Einführung einer allgemeinen Impflicht gegen Sars-CoV-2 dringlicher. Diese hatten zuvor führende Politiker der damals regierenden Großen Koa­lition abgelehnt, der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte bereits im November 2020 verkündet: »Es wird keine Corona-Impfpflicht ­geben.«

In diesem Frühjahr stehen Land­tags­wahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen an. Das Thema Impfpflicht dürfte dabei eine wichtige Rolle spielen.

Nach den Bundestagswahlen im September vorigen Jahres schien sich das zu ändern. Ende November, kurz vor seinem Amtsantritt als Bundeskanzler, sagte Olaf Scholz (SPD), dass er für eine allgemeine Impfpflicht sei und es für realistisch halte, diese bis Februar oder März 2022 einzuführen. Doch angesichts der Proteste gegen die staatliche Coronapolitik und verpflichtende Präventionsmaßnahmen barg diese Position großes Konfliktpotential. Eine Impfpflicht für medizinisches Personal, wie sie im Laufe des vergangenen Jahres von mehreren EU-Ländern, darunter Frankreich, Italien, Lettland und Griechenland, eingeführt worden war, erschien weniger kontrovers. So stimmte auch die Fraktion von CDU und CSU dem entsprechenden Gesetzentwurf der mittlerweile regierenden Ampelkoalition im Bundestag zu. Dagegen stimmten nur die Abgeordneten der AfD.

Die Fraktion der Linkspartei, die einem Beschluss des Parteivorstands von Anfang Dezember zufolge eine berufsgruppenspezifische Impfpflicht ablehnt, weil diese »das Problem nicht lösen wird und andererseits noch mehr Druck und Verantwortung auf die Schultern des Pflegepersonals ablädt«, enthielt sich. Mit dieser Position nahm die Linkspartei die Stimmung eines Teils der Beschäftigten im Gesundheitswesen auf, der Impfungen an sich nicht ablehnt, aber dagegen ist, als einziger Teil der Bevölkerung verbindlich zu dieser Präventionsmaßnahme verpflichtet zu werden.

Trotz der großen Mehrheit, mit der der Bundestag die einrichtungsbezogene Impfpflicht beschloss, blieb diese politisch umstritten. Zuerst waren es einzelne ostdeutsche Landräte, deren Gesundheitsämter die Einhaltung der Impfpflicht kontrollieren und Verstöße sanktionieren müssten, die sagten, dies werde in ihren Landkreisen nicht geschehen. Anfang Februar verlaut­barte dann Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), er werde die einrichtungsbezogene Impfpflicht in Bayern de facto aussetzen. Zwar stieß ­diese Ankündigung auf Kritik seitens der Bundesregierung, tatsächlich werden jedoch Übergangsregelungen und Ermessensspielräume in verschiedenen Bundesländern ausgenutzt, um die Regelung aufzuweichen.

Damit wird auch die von Kanzler Scholz in den kommenden Wochen angestrebte Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, die vor allem für die Pandemiesituation im kommenden Winter von Relevanz sein dürfte, deutlich in Frage gestellt. Eine Rolle spielen neben dem befürchteten Personalmangel im Gesundheitswesen im Falle der Verhängung von Tätigkeitsverboten für Ungeimpfte und den mangelnden Kontrollkapazitäten der Gesundheitsämter vor allem die Proteste der Impfgegner, die sich im Dezember und Januar deutlich verschärft hatten.

Die Bemühungen der AfD, von diesen Protesten politisch zu profitieren, so wie sie es von den Demonstrationen der Pegida-Bewegung getan hatte, sorgen vor allem bei CDU/CSU und FDP für Unruhe. In diesem Frühjahr stehen Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen an. Das Thema Impfpflicht dürfte dabei eine wichtige Rolle spielen.

Der Widerstand in der FDP, die es seit der Bundestagswahl verstanden hat, ihren Einfluss in der Koalition mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen so effektiv wie möglich auszunutzen, gegen die Impfpflicht stellt eine große Herausforderung für die Regierungskoalition dar. Dieser Konflikt soll dadurch entschärft werden, dass die Abstimmung zur Gewissensentscheidung der einzelnen Abgeordneten erklärt wurde, diese also frei von Koalitions- und Fraktionsdisziplin entscheiden können.

Mittlerweile liegen mehrere Vorschläge vor, wie eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland ausgestaltet werden könnte. Ein Gruppenantrag von sieben Bundestagsabgeordneten der Regierungskoalition sieht eine allgemeine Verpflichtung für alle Erwachsenen vor, sich bis zum 1. Oktober dieses ­Jahres impfen zu lassen, sonst würden Bußgelder drohen. Die Fraktion von CDU/CSU hingegen spielt auf Zeit. Sie fordert den Aufbau eines staatlichen Impfregisters und einen »gestuften Impfmechanismus«, der es dem Bundestag unter Beteiligung des Bundesrats ermöglichen soll, unter bestimmten Voraussetzungen für besonders ge­fährdete Bevölkerungs- und Berufsgruppen eine Impfpflicht zu beschließen. Der Vorschlag ist sichtlich von dem Bemühen gekennzeichnet, über den ­Bundesrat den Ministerpräsidenten der Union ein Mitspracherecht zu sichern.

Der Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann (FDP) wiederum schlägt eine allgemeine Beratungspflicht für alle Erwachsenen und eine Impfpflicht für alle über 50jährigen vor – »unter Vorbehalt einer Bewertung der Situation im Herbst 2022«, wie es im Antrag heißt. Eine Gruppe um seinen Fraktionskol­legen Wolfgang Kubicki hingegen beantragt, wie auch die AfD-Fraktion in einer eigenen Vorlage, dass der Bundestag die Einführung einer Impfpflicht ausdrücklich ablehnt. Zu der Gruppe gehören auch mehrere Abgeordnete der Linkspartei, darunter Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht.

Nach einer Absprache innerhalb der Regierungskoalition soll die erste Lesung der Anträge im Bundestag in der ersten Märzwoche erfolgen und die ­Beratungen sollen bis Ostern abgeschlossen werden. Sollte der Bundestag tatsächlich eine Impfpflicht beschließen, müsste dieser auch noch der Bundesrat zustimmen. Angesichts des Abflauens der Omikron-Welle, der vermutlich in den kommenden Monaten rela­tiv geringen Fallzahlen und des enormen Widerstands gerade in bestimmten Mittelschichtsmilieus gegen verpflichtende Präventionsmaßnahmen ist derzeit nicht absehbar, ob und in welcher Form es in Deutschland zu einer allgemeinen Impfpflicht kommen wird. Doch selbst wenn sie beschlossen werden sollte, kann man derzeit nicht ­davon ausgehen, dass sie auch verwirklicht würde.

Das Beispiel Österreich zeigt, wie eine solche Regelung scheitern kann. Im Januar hatte das Land als erster ­EU-Mitgliedstaat eine allgemeine Impfpflicht beschlossen. Doch Druck aus der Tourismusindustrie und von organisierten Impfgegnern führte dazu, dass die Regierung wenige Wochen später bereits eine Aussetzung dieser Regelung vorbereitete. Der Beschluss dazu wird wohl im März getroffen.