Ehemalige Anführer der kosovarischen Miliz UÇK müssen sich in Den Haag verantworten

Alte Garde vor Gericht

In Den Haag hat der Kriegsverbrecherprozess gegen den 2020 zurückgetretenen Präsidenten des Kosovo, Hashim Thaçi, und weitere ehemalige Führungsmitglieder der Guerilla UÇK begonnen. Diese wurde zur Tatzeit von der Nato unterstützt.

Fast ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kosovo-Kriegs hat am Montag vorvergangener Woche in Den Haag der für dessen juristische Aufarbeitung zentrale Prozess begonnen. Verlesen wurde die Anklage gegen Hashim Thaçi, Kadri Veseli, Rexhep Selimi und Jakup Krasniqi.

Thaçi war Gründungsmitglied der Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK), die seit 1996 bewaffnet für eine Abspaltung des Kosovo von der damals noch aus Serbien und Montenegro bestehenden Föderativen Republik Jugoslawien kämpfte. Er gehörte dem Generalstab der Guerilla an und war seit dem Frühjahr 1999 deren Oberkommandierender. Nach dem Ende des letzten der jugoslawischen Zerfallskriege gründete er die Demokratische Partei des Kosovo (PDK) und war nach der Unabhängigkeit des Kosovo Ministerpräsident, Außenminister und Präsident des Landes.

Auch Veseli war Gründungsmitglied der UÇK und gehörte deren Generalstab an. Er leitete ihren und später den kosovarischen Geheimdienst. Nach der Wahl Thaçis zum Präsidenten des Kosovo wurde er Vorsitzender der PDK. Selimi gehörte ebenfalls dem Generalstab der UÇK an. Nach Kriegsende war er hoher Offizier im Kosovo-Schutzkorps, den Streitkräften des Landes, und Parlamentsabgeordneter. Krasniqi war Generalstabsmitglied, offizieller Sprecher und stellvertretender Kommandeur der UÇK. Später war er führendes Mitglied der PDK, bevor er sich 2014 mit Thaçi überwarf und eine eigene Partei gründete.

Angeklagt sind die vier Männer vor einem Gericht, das formal aus vier Sonderkammern der kosovarischen Justiz besteht und nach kosovarischem Recht entscheidet. Der Sitz des Gerichts liegt jedoch in den Niederlanden, als Rich­ter:innen agieren Jurist:innen aus den USA, Kanada, Norwegen und mehreren EU-Staaten. Finanziert wird das Gericht von der EU, Kanada, Norwegen, der Schweiz, der Türkei und den USA. Der Grund für diese hybride Konstruktion des Gerichtshofs ist, dass die Justiz des Kosovo international nicht als fähig angesehen wird, eigenständig Verfahren gegen die Mitglieder der UÇK-Spitze zu führen, die in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Krieg die Politik des Landes bestimmten.

Vor allem alte Loyalitäten der Rich­ter:innen und mögliche Gewalt gegen Belastungszeug:innen behindern die juristische Aufarbeitung an Ort und Stelle. Auf Druck vor allem aus den USA und der EU hin schuf das kosovarische Parlament 2015 die rechtlichen Voraussetzungen für die Gründung des Gerichts, die 2016 erfolgte. Den vier Angeklagten wirft die Anklagebehörde des Gerichts vor, mit anderen eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Diese habe zwischen März 1998 und September 1999 das Ziel verfolgt, »die Kontrolle über den gesamten Kosovo zu erlangen und auszuüben, durch Mittel, die die rechtswidrige Einschüchterung, Misshandlung, Gewaltanwendung und Beseitigung von Personen einschlossen, die als Gegner angesehen wurden«.

Die Hoffnung, dass die ehemaligen Verbündeten der UÇK aus dem Westen den Angeklagten beistehen, dürfte enttäuscht werden.

Als Gegner sollen den Angeklagten demnach Personen gegolten haben, die mit dem jugoslawischen Militär oder staatlichen Institutionen zusammenarbeiteten, Personen, die die Ziele und Mittel der UÇK nicht unterstützten, sowie Serb:innen, Roma und Angehörige anderer Minderheiten. Gegen diese Gruppen habe es 1998 und 1999 im Kosovo und in Nordalbanien, wo die UÇK mit Zustimmung der albanischen Regierung über Rückzugsräume verfügte, einen »ausgedehnten oder systematischen Angriff« gegeben. Dieser Angriff habe aus Bedrohungen, illegaler Inhaftierung, unmenschlichen Haftbedingungen, Folter, Mord und Verschwindenlassen bestanden. Diese Vergehen hätten sich auch gegen Mitglieder der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) gerichtet, einer mit der UÇK konkurrierenden Organisation, die versuchte, die Unabhängigkeit des Kosovo durch eine Politik des zivilen Ungehorsams und des Aufbaus einer parastaatlichen Parallelstruktur herbeizuführen.

Die Taten stellen nach Ansicht der Anklage Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit dar. Thaçi und seine Mitangeklagten müssten sich als ehemalige Angehörige der Kommandoebene der UÇK auch die Verantwortung für Verbrechen zurechnen lassen, an denen sie nicht persönlich beteiligt waren. Politisch brisant an der Anklage ist, dass sie konstatiert, diese Entführungen, Inhaftierungen, Misshandlungen und Morde seien »weithin bekannt« gewesen. Damit stellt sich die Frage, inwieweit Offizier:in­nen und Politiker:innen aus Nato-Staaten, die 1998 und 1999 eng mit UÇK-Führung um Thaçi kooperierten, von diesen Verbrechen wussten und sie duldeten.

An dieser Stelle setzt die Verteidigung Thaçis an. Sie kündigte an, Politiker, Diplomaten und Vertreter von Nato, OSZE und Uno, die in dieser Zeit mit Thaçi zusammengearbeitet haben – unter anderem Wesley Clark, William Walker, Bernard Kouchner, Daan Everts, Michael Durkee, Jock Covey und Steve Bennett – als Zeugen zu laden. Die Verteidigung will belegen, dass es den von der Anklage behaupteten gemeinsamen Plan eines Angriffs auf zivile politische Gegner:innen nicht gegeben habe, denn den hätten die internationalen Partner niemals unterstützt.

Doch die Hoffnung, dass die ehemaligen Verbündeten der UÇK den Angeklagten beistehen, dürfte enttäuscht werden, wurde doch die Anklage gegen Thaçi, Veseli, Selimi und Krasniqi erst möglich, weil sich in den USA und der EU seit 2010 die Ansicht durchsetzte, dass es notwendig sei, die alten Kommandeure loszuwerden. Deren von Machtmissbrauch und Korruption geprägte Regierungspolitik hatte die Le­gitimität ihrer Macht international und im Land in einem Maß untergraben, dass sie in den sich häufenden Krisen der vergangenen Jahre nicht mehr als Stabilitätsgaranten taugten.

Die Gründung des Gerichtshofs und die Anklagen gegen die alten UÇK-Führer zielten auch auf einen Führungswechsel im Kosovo, der mit dem Rücktritt Thaçis vom Präsidentenamt und seiner Überstellung an das Gericht im November 2020 erfolgte. Seither regiert die Bewegung Selbstbestimmung (LVV), die aus einer Protestbewegung gegen die korrupte Herrschaft Thaçis hervor­gegangen ist. Wie auch immer das Gericht in Den Haag urteilen wird, die Rückkehr der Angeklagten an die politische Macht im Kosovo ist äußerst unwahrscheinlich.