Ein »Infaulenzer« will die Deutschen dazu bewegen, weniger zu arbeiten

Die Arbeit nieder

Der »Infaulenzer« Michael Klammt ist auf Deutschland-Tour. Derzeit ­protestiert er in Berlin vor dem Ministerium für Arbeit und Soziales gegen den deutschen Arbeitsfetisch, um eine Diskussion über das Thema Arbeit anzuregen. Anschließend geht es weiter nach Nürnberg.
Raucherecke Von

Der Kaleu, die Kurzform für Kapitänleutnant, wie sich Michael Klammt selbst bezeichnet, bemüht sich um die praktische Kritik am deutschen Arbeitsfetisch. »Mit 16 habe ich schon gesagt, ich möchte nicht mitmachen, ich möchte kein gutes Abitur haben«, erzählt er der Jungle World. Seit dem 30. Mai steht er für vier Wochen werktags zwischen neun und zwölf Uhr vor dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Berlin – bekleidet in Marinemontur und mit einem Schild mit der Aufschrift »Der Kaleu = Arbeitsscheu«. Stolz nennt er sich »der faulste Deutsche«. Seine Botschaft: Die Menschen sollen weniger arbeiten. Seine Lebenszeit für eine Karriere zu opfern, sieht er nicht ein. Das empfiehlt der »Infaulenzer« auch den Menschen auf der Straße.

Manche sprechen Klammt an, zeigen sich interessiert – auch diejenigen, die anschließend zum Broterwerb ins Arbeitsministerium weiterziehen. Ablichten lassen wolle sich von diesen jedoch niemand mit ihm. »Da bekämen sie bestimmt Ärger«, mutmaßt Klammt. An diesem Tag ist es eher ruhig. Ein paar Bauarbeiter und Lieferanten der gegenüberliegenden Pizzeria beobachten ihn interessiert, während sie ihrem Tagwerk nachgehen.

Dem Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, dürfte der Kaleu ein Dorn im Auge sein. Anfang Februar versuchte Kampeter eine Großdebatte auszulösen. Die Deutschen müssten wieder »mehr Bock auf Arbeit« haben. »Was für eine armselige Gesellschaft, wo work nicht zum life gehört«, so Kampeter. Dieses Land gründe »auf Arbeit, auf harter Arbeit«.

»Es gibt viele, die eine Arbeit haben, die ihnen gar nicht gefällt und die sie krank macht.« Michael Klammt alias »Der Kaleu«

40 Jahre lang habe er einen ordentlichen Beruf vermeiden können, erzählt der Kaleu. Gearbeitet habe er meist nur etwa sechs Wochen im Jahr. Sobald etwas in Stress auszuarten drohte, habe er es sein lassen, auch wenn es ihn Geld kostete. Das gebiete ihm seine »Arbeitsehre«.

Im nordrhein-westfälischen Iserlohn kandidierte der Kaleu einst gar als Bürgermeister – erhielt bei der Wahl jedoch die wenigsten Stimmen. »Aber ich hätte es auch nicht gemacht, ganz ehrlich«, sagt er. »Wenn ich es geworden wäre, hätte ich es nicht angetreten.«

Arbeit macht krank, ist Mühsal, macht hässlich. Oscar Wilde wusste das: »Es ist geistig und moralisch schimpflich für den Menschen, irgendwas zu tun, was ihm keine Freude macht.« Ob der Kaleu Wildes Essay »Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus« gelesen hat, ist nicht bekannt. Sein Ansatz ähnelt jedoch Wildes Kritik. »Es gibt viele, die eine Arbeit haben, die ihnen gar nicht gefällt und die sie krank macht«, so Klammt. Es fehle der Mut zu sagen: »Nein, ich mach da nicht mehr mit.« Der Vollzeitmüßiggänger ist mit gutem Beispiel vorangegangen und hat sich konsequent verweigert: »Ich konzentriere mich mehr auf mich und mein Vergnügen, weil ich das wichtiger finde als die Arbeit.«

Es ist bereits spät – zwölf Uhr, Feierabend. Der Kaleu klappt sein sperriges Schild zusammen. Bis zum 23. Juni protestiert er noch in Berlin gegen die Arbeitswut der Deutschen. Danach geht es weiter nach Nürnberg vor die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit. Weitere Projekte sind noch nicht geplant. Er könne es sich gut vorstellen, sagt er, Werbung für Matratzen zu machen – frei nach Theodor W. Adorno: auf der Matratze liegen und friedlich an die Decke schauen; »›sein, sonst nichts, ohne alle weitere Bestimmung und Erfüllung‹, könnte an Stelle von Prozeß, Tun, Erfüllen treten«.