Ein serbischer Überfall im Kosovo verstärkt die Spannungen zwischen beiden Staaten

Die Spannungen wachsen

Mit einem bewaffneten Einfall haben serbische Freischärler die Lage im Kosovo angeheizt.

Es war eine Aktion wie aus dem Lehrbuch für den Guerillakrieg. In der Nacht vom 23. zum 24. September drang eine Gruppe von mindestens 30 schwerbewaffneten Personen in den etwa 15 Kilometer von der Grenze zu Serbien entfernten nordkosovarischen Ferienort Banjska ein. Auf einer Brücke errichteten sie eine Straßensperre. Dort lieferten sie sich ein Feuergefecht mit der kosovarischen Polizei, bei dem ein Polizist getötet wurde. Danach zogen sich die Bewaffneten in das nahegelegene serbisch-orthodoxe Kloster von Banjska zurück. Das aus dem 14. Jahrhundert stammende Kloster, gegründet vom legendären König Stefan Uroš II. Milutin, gehört zu jenen religiösen und historischen Orten, mit deren Existenz serbische Nationalisten begründen, warum der Kosovo als »nationales Herzland« und »Wiege der serbischen Nation« untrennbarer Bestandteil des serbischen Staats sei.

Ab dem späten Nachmittag wurde das Kloster von der kosovarischen Spezialpolizei belagert und schließlich eingenommen. Dabei starben drei der Besetzer des Kloster, acht gerieten in Gefangenschaft und dem Rest gelang es, nach Serbien zu entkommen. Dies deutet daraufhin, dass es sich bei den Teilnehmern der Aktion um Personen handelte, die ein professionelles militärisches Training durchlaufen haben. Auch ihre Ausstattung war eines größeren professionellen Kampftrupps würdig. Mehr als 20 Fahrzeuge, darunter ein gepanzertes, Mörser, Panzerabwehrwaffen, Antipersonenminen, Maschinenpistolen und -gewehre sowie eine große Menge Munition fielen der kosovarischen Polizei in die Hände. Journa­list:innen des Balkan Investigative Reporting Network gelang der Nachweis, dass ein großer Teil dieser Waffen in staatlichen serbischen ­Waffenfabriken produziert wurde oder ursprünglich zu Beständen der serbischen Armee gehörte.

Die Ausrüstung der Gruppe und die Wahl des Ortes Banjska legen nahe, dass es darum ging, einen bewaffneten Aufstand der im Nordkosovo lebenden Serben auszulösen.

Die Ausrüstung der Gruppe und die Wahl des Ortes der Aktion legen nahe, dass es darum ging, einen bewaffneten Aufstand der im Nordkosovo lebenden Serben auszulösen, mit dem Ziel, die serbischen Siedlungsgebiete vom Kosovo abzuspalten. Fünf Tage nach der Aktion übernahm Milan Radoičić, bis dahin stellvertretender Vorsitzender der im Nordkosovo dominierenden Partei Serbische Liste (SL), der von kosovarischen Behörden als Teilnehmer der Aktion identifiziert worden war, aber nach Serbien entkommen konnte, die Verantwortung für den Angriff. Er sagte, dieser sei von ihm eigenständig und ohne Wissen der serbischen Regierung organisiert worden.

Beobachter:innen zweifeln an dieser Behauptung, ist doch die SL eng mit mit der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić verbunden. Zudem gilt Radoičić als Vertrauter Vučićs. Radoičić wurde nach seinem Geständnis vorübergehend in Haft genommen, aber nach einer Befragung durch die Belgrader Staatsanwaltsanwaltschaft und der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen krimineller Verschwörung, illegalen Waffenbesitzes und schwerer Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit wieder auf freien Fuß gesetzt.

Damit war diese Episode des serbisch-kosovarischen Konfliktes noch nicht beendet. Am 30. September wurde ein Aufmarsch serbischer Armeeeinheiten an der kosovarischen Grenze registriert. Nachdem die US-Regierung und das deutsche Außenministerium Serbien aufgefordert hatten, die Situation zu ­deeskalieren, verkündete Vučić am 2. Oktober in einem CNN-Interview den Rückzug der Truppen. Internationale Beobachter:innen befürchten, dass sich beide Länder am Rande eines Kriegs befinden.

Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche Einschätzung als absurd angesehen worden. Das Kosovo hatte sich nach dem Kosovo-Krieg 1998, mit dem die Nato die albanisch-nationalistische Guerilla UÇK unterstützt hatte, von Serbien getrennt. Seit 1999 unterhalten die USA hier mit Camp Bondsteel eine ihrer größten Militärbasen im Ausland. Im Rahmen des Kfor-Einsatzes sind Nato-Truppen zur Überwachung der Situation im Kosovo stationiert, diese sollen in nächster Zeit durch weitere britische, rumänische und deutsche Soldaten verstärkt werden. Das Risiko einer direkten Auseinandersetzung mit Nato-Truppen im Fall eines serbischen Angriffs hätte in den nuller und zehner Jahren ausgereicht, einen solchen als unmöglich erscheinen zu lassen. Dass diese Möglichkeit heutzutage dennoch realistisch erscheint, ist Resultat internationaler politischer Veränderungen und des Scheiterns westlicher Bemühungen, den Konflikt zwischen Serbien und Kosovo durch einen Ausgleich, in dessen Zentrum die serbische Minderheit des Landes steht, zu beenden. Ein von der EU 2013 vermitteltes Abkommen zwischen beiden Ländern sah vor, als Voraussetzung für eine Anerkennung der kosovarischen Unabhängigkeit durch Serbien einen Verband serbischer Gemeinden zu bilden, in dessen Rahmen die Minderheit weitgehende Autonomierechte genießen sollte.

Dieser Verband wurde nie gebildet. Kosovos Ministerpräsident Albin Kurti lehnt die Bildung des Gemeindeverbandes strikt ab, weil er, nicht zu Unrecht, befürchtet, dass dieser zum dauernden Instrument serbischer Einmischung im Kosovo würde. Diese Ablehnung verschärfte sich mit Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine. Aus Protest gegen die Weigerung Kurtis, die Bildung des Gemeindeverbands zuzulassen, boykottierten die Serb:innen im April dieses Jahres überwiegend die Kommunalwahlen und seither die Mitarbeit in den Strukturen des kosovarischen Staats. Obwohl in den serbischen Gemeinden nur knapp vier Prozent der Wahlberechtigten an den Kommunalwahlen teilnahmen, setzte die Regierung in Priština dort Bürgermeister ein.

Zudem patrouilliert in der Region seitdem die aufgrund der angespannten Lage schwerbewaffnete kosovarische Spezialpolizei. Dies wird von Angehörigen der serbischen Minderheit als Unterdrückung durch die kosovarische Regierung wahrgenommen. Aufforderungen aus dem Westen an Kurti, die Lage zumindest durch Reduzierung der Polizeipräsenz zu deeskalieren, kam dieser nicht nach. Dahinter steht das Problem, dass die Regierung im verelendeten Kosovo der serbischen Minderheit kein positives Integrationsangebot in die kosovarische Gesellschaft machen und die Kontrolle über die serbischen Siedlungsgebiete nur repressiv absichern kann.

Dass in dieser Situation auf serbischer Seite mit dem Gedanken gespielt werden kann, eine Abtrennung dieser Gebiete und deren Anschluss an Serbien militärisch durchzusetzen, liegt daran, dass sich das westliche Verhältnis zu Kosovo und Serbien grundlegend gewandelt hat. Galt in den neunziger und nuller Jahren Serbien als Outlaw unter den Balkan-Staaten, wird nun eher Kosovo als Problemfall angesehen.

Westeuropäische Staaten versuchen, das bitterarme Land einigermaßen unter Kontrolle zu halten, weil es als Ausgangsort irregulärer Migration, des Drogenschmuggels und potentieller albanisch-irredentistischer Bestrebungen gilt, die die Stabilität der Nachbarländer untergraben können.

Mehr Interesse hat die EU an Serbien. Dies liegt zum einen daran, dass das Land als möglicher Lieferant strategisch wichtiger Rohstoffe, vor allem von Lithium, angesehen wird. Zum anderen konkurriert hier die EU direkt mit Russland und China um politischen und ökonomischen Einfluss. Dass man aus dieser Position politisches Kapital schlagen kann, scheint die Regierung in Belgrad am Beispiel des westlichen Umgangs mit Aserbaidschan gelernt zu haben, auf dessen Öllieferungen die EU angewiesen ist. Der aserbaidschanische Krieg gegen die Armenische Republik Arzach (Bergkarabach), der mit der Vertreibung von 100 000 Armenier:innen aus der Region zunächst endete, wurde von den westlichen Staaten geduldet und vom Nato-Mitglied Türkei aktiv unterstützt.

Das wird in Belgrad offensichtlich als Hinweis darauf verstanden, dass der insbesondere in Energie- und Rohstofffragen derzeit erpressbare Westen bereit oder gezwungen ist, gewaltsame Grenzveränderungen hinzunehmen, wenn sie durch Staaten vorgenommen werden, um deren politische oder ökonomische Einbindung er bemüht ist. Selbst wenn es sich hier um eine Fehleinschätzung handeln sollte, dürfte sie nicht dazu beitragen, die Grenzkonflikte auf dem Balkan langfristig zu deeskalieren.