Eine Plakatkampagne macht auf die von der Hamas entführten Menschen aufmerksam

Bis sie wieder in Sicherheit sind

Eine Plakatkampagne erinnert an die mehr als 200 von der Hamas entführten Zivilisten. Unter anderem in Berlin organisieren sich Menschen, um gemeinsam plakatieren zu gehen. Eine Anfrage, die Plakate an öffentlichen Werbeflächen anzubringen, wurde indes abgelehnt.

Es ist dunkel und kalt. Allmählich kommen immer mehr Menschen zusammen. »Wo bleiben die Leute?« Mickey checkt sein Handy. »25 Leute haben sich angekündigt. Wie viele sind wir?« Am Ende sind es 21 Personen, die sich auf einem Parkplatz im Prenzlauer Berg zusammenfinden. Viele kennen einander nicht. Trotzdem gehen sie an diesem Mittwochabend gemeinsam plakatieren.

Als klar ist, dass niemand mehr kommt, folgt eine Sicherheitsansprache. Wichtig sei es, immer in der Gruppe zu bleiben, teilt eine Israelin den Versammelten auf Englisch mit. Bei Gefahr solle man laut sein, Umstehende auf sich aufmerksam machen und die Polizei rufen. Zudem wolle man, »dass die Leute mit uns solidarisch sind«. Vandalismus werde daher abgelehnt, plakatiert nur dort, wo es auch erlaubt sei.

Mit 14 Eimern Kleister und etlichen Plakaten verteilen sich die Anwesenden auf vier Autos. Es sind Plakate mit Bildern, Namen, Alter und Herkunft derjenigen, die seit dem 7. Oktober von der Hamas aus Israel verschleppt wurden. Die Aktion ist Teil einer weltweiten Kampagne, mit der die Schicksale der Menschen im öffentlichen Bewusstsein gehalten werden sollen – bis sie wieder in Sicherheit sind. Mitmachen kann jeder. Die Plakate sind online verfügbar.

Mickey ist es wichtig, dass vor allem die Berliner Clubszene die Plakate sieht; immerhin hat die Katastrophe auf einem Festival begonnen.

»Ich glaube, es gibt keinen einzigen Israeli, der nicht zumindest im weiteren familiären oder freundschaftlichen Umfeld jemanden hat, der betroffen ist, der entweder entführt oder ermordet wurde«, erzählt Daniel der Jungle World. Er nimmt zum ersten Mal an der Plakataktion teil. Während seine Freunde in Israel kämpfen oder sich um Familien kümmern, deren Häuser zerstört wurden, habe er einen Weg gesucht, in Berlin seinen Beitrag zu leisten. Das Plakatieren sei nur einer davon. »Jeder Israeli tut, was er kann.« Das sei Teil der Verarbeitung dieser Tragödie.

Auch Mickey sagt der Jungle World, er als Israeli könne nicht einfach in Deutschland leben und ruhig sitzenbleiben. Er müsse irgendetwas tun, während seine Familie und Freunde in Israel kämpfen.

An diesem Abend soll im Prenzlauer Berg und in Friedrichshain plakatiert werden; in Friedrichshain besonders in Nähe der Clubs. »Die Stelle ist perfekt. Hier werden am Samstag superviele Leute anstehen.« Mickey ist es wichtig, dass vor allem die Berliner Clubszene die Plakate sieht; immerhin hat die Katastrophe auf einem Trance-Festival begonnen. Er könne verstehen, dass die Leute in Berlin weiterfeiern.

Aber sie sollen in Erinnerung behalten, was auf einem friedlichen Festival in Israel passiert ist. Außerdem seien einige in der Partyszene hierzulande von »Fake News auf Social Media beeinflusst«. Er wolle ihnen mit den Plakaten daher »unsere Seite« der Geschichte zeigen. Immerhin sei die Berliner Clubszene eng mit der israelischen verbunden.

Nach vier Stunden löst sich die Gruppe langsam auf. Alle sind begeistert von dem, was sie an diesem Abend geschafft haben. Sie verbuchen es als Erfolg.

Übergriffe gab es an diesem Abend keine. Im Gegenteil: Eine Kleingruppe wurde von einem Passanten sogar zu Pizza und Bier eingeladen.
Allerdings sind am nächsten Morgen die ersten zerstörten Plakate zu sehen. Manche Plakate sind überklebt: mit Werbung für einen Vortrag unter dem Titel »Deutschlands wertegeleitete Außenpolitik: Imperialismus mit bestem Gewissen«.

»Noch immer hält die Hamas in Gaza über 200 Menschen als Geiseln fest«, sagt Constantin Ganß, Vorsitzender des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (Jufo), der Jungle World; nach neueren Angaben ist die Zahl sogar noch höher. Auch das Jufo stellt online die Plakate zum Selbstausdruck zur Verfügung. Sie »sollen die deutsche Bundespolitik dazu auffordern, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, Israel bei der Befreiung der Geiseln zu unterstützen«.

»Noch immer hält die Hamas in Gaza über 200 Menschen als Geiseln fest«, sagt Constantin Ganß, Vorsitzender des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (Jufo), der Jungle World; nach neueren Angaben ist die Zahl sogar noch höher.

Ebenfalls beteiligen wollte sich das Journalistenblog Salonkolumnisten. Insgesamt 200 Vermisstenanzeigen wollten sie auf öffentlichen Displays schalten, die in Berlin unter anderem ­an Bahnhöfen zu sehen sind. Zuständig für die Werbeflächen ist die Firma Wall AG. In einem E-Mail-Verlauf, der der Jungle World vorliegt, lehnt das Unternehmen den Auftrag jedoch ab. Kampagnen mit »politischen Inhalten« müssten vom Vertragspartner geprüft werden. Der jedoch habe den Aushang nicht genehmigt.

Dieser Vertragspartner ist das Land Berlin. Auf Anfrage der Jungle World heißt es von der zuständigen Verkehrsbehörde, man habe von der Wall AG nur zwei Motive vorgelegt bekommen. Diese habe die Polizei »in ihrer Wirkung als polarisierend und gewaltverherrlichend eingestuft, obwohl sich die Botschaft gegen die Terrororganisation Hamas richten soll«, so die Pressestelle der Behörde.

Eines der beiden Plakate zeigt ein Bild der achtjährigen Ela Elyakim, die von der Hamas entführt wurde. Darunter heißt es: »Was würden sie tun, wenn das ihre Tochter wäre?« Das andere ist mit einem Schriftzug versehen: »Hamas burns families alive.« Deren Veröffentlichung sei nicht verboten worden, man habe lediglich empfohlen, diese beiden Motive nicht zu veröffentlichen, beschwichtigt die Behörde. Die beiden besagten Motive hatte das Journalistenblog der Wall AG allerdings nicht vorgelegt.

Die von den Salonkolumnisten vorgeschlagenen Motive wiederum seien der Verwaltung nie vorgelegt worden, so die Behörde. Der Tagesspiegel berichtete nun, dass die Wall AG nur die besagten beiden Motive, die aus anderen Einreichungen stammten, vorgelegt hatte. Diese seien mit den Vermisstenanzeigen »inhaltlich deckungsgleich«, wie eine Sprecherin der Wall AG dem Tagesspiegel sagte. Entsprechend sei die Kampagne der Salonkolumnisten nicht extra vorgelegt worden. Die Wall AG lehnte eine Stellungnahme auf Anfrage der Jungle World ab.

»Dass wir jetzt eine Debatte darüber erleben, warum Plakate, die an von der Hamas entführte Israelis erinnern sollen, nicht gezeigt werden, ist beschämend«, so Ganß. »Würden jetzt keine Plakate gezeigt werden, wäre das ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen.« Werbeflächenanbieter und die Stadt Berlin müssten sich im Sinne der Terroropfer zusammenraufen. Denn es gehe darum, Solidarität mit den Betroffenen zu zeigen und ein Zeichen zu setzen gegen »die Gräueltaten von Monstern«, die »nicht davor zurückschrecken, Menschen bei lebendigem Leib zu verbrennen und Kinder zu entführen«, so Daniel.