Draußen vorm Café Atlantic: der Skandal der Obdachlosigkeit

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Daumen hoch für Matze

»Hast du mal’n bisschen Kleingeld?« Ich habe ihn schon von weitem gesehen. Ich kenne ihn vom Sehen. Er steht immer hier in der Bergmannstraße vor dem Kiosk, gegenüber vom Café Atlantic. Die eine Hand in der Tasche, die andere irgendwie unter der speckigen, schwarzen Jacke versteckt, als hätte er nur einen Arm.

Vor kurzem habe ich mit einer Freundin, die auch im Bergmann-Kiez wohnt, über ihn gesprochen. »Obdachlosigkeit ist eine solche Schande für unsere Gesellschaft«, sagte ich. »Eigentlich müsste niemand die Wohnung verlieren, aber es geschieht dennoch. Weil mit Wohnraum gehandelt wird wie mit Bananen. Es reduziert unser Gesellschaft auf eine schäbige Warenwelt, in der nichts zählt als Konsum und Geld. Das sollte selbstverständlich verboten sein.« – »Matze hat in letzter Zeit so abgebaut«, meinte die Freundin. Es überraschte mich, dass sie seinen Namen kennt. »Es ist schrecklich«, sagte sie. Dann fing sie an zu weinen.

Matze ist in einem fürchterlichen Zustand. Er ist noch relativ jung, keine 30. Seine Haare sind am Hinterkopf komplett verfilzt. Er hat dicke schwarze Mitesser in seinem blassen, leicht gelblichen Gesicht.

Tatsächlich ist er in einem fürchterlichen Zustand. Er ist noch relativ jung, keine 30. Seine Haare sind am Hinterkopf komplett verfilzt. Er hat dicke schwarze Mitesser in seinem blassen, leicht gelblichen Gesicht. Ich bleibe stehen und krame umständlich mein Portemonnaie aus der Tasche. Weil ich mich nicht entscheiden kann, wie viel ich ihm geben soll, gebe ich ihm kurzerhand mein gesamtes Kleingeld, vielleicht vier Euro.

»Bitte«, sage ich. Er nimmt es wortlos, hält irritiert inne. Dann, in einer scheinbaren übersprungsartigen Geste, beugt er sich vor und deutet einen Kuss auf meine Wange an. Ich lächle ihn an und gehe weiter. Als ich schon fast die Straße überquert habe, ruft er: »Ich freue mich.« Ich drehe mich um und halt meinen Daumen hoch.