Royale Verschwörungen
Normalerweise verläuft die Auseinandersetzung der Fans des britischen Kronprinzen William und seiner Frau Catherine »Kate« Middleton auf der einen Seite und der Anhänger von Williams Bruder, Prinz Harry, sowie dessen Frau Meghan Markle auf der anderen überschaubar, wie man in entsprechenden englischsprachigen Foren feststellen kann: Die Vorwürfe an die jeweils gegnerische britische Prinzessin sind austauschbar.
Das jeweilige Hassobjekt hat beispielsweise keine Ahnung von Stil und Mode, sondern kopiert bloß den Look der anderen, ist faul, verlogen, schlecht gealtert und hat außerdem den hässlicheren und dümmeren Prinzen geheiratet, weswegen sie notorisch eifersüchtig auf die Kontrahentin ist. Dazu vertreiben sich beide Lager die Zeit gern mit der Produktion beleidigender Memes, gefälschter Fotos, der böswilligen Fehlinterpretation von Gesagtem und Geschriebenem und damit, jedes neue Bild akribisch auf Anzeichen von Manipulationen zu untersuchen.
Das Koma-Gerücht wurde bald um einen weiteren Aspekt bereichert: Kate habe nie wegen einer Bauch- oder Schönheitsoperation im Krankenhaus gelegen, sondern sei vielmehr tot.
Und so war der Fall für die Fans von Harry und Meghan sofort klar, als am 17. Januar überraschend gemeldet wurde, dass Kate sich einer geplanten, nicht näher spezifizierten Bauchoperation unterzogen habe und in Ruhe zu genesen wünsche: In Wirklichkeit handele es sich um eine höchst überfällige Schönheits-OP und die lange Genesungszeit sei nur mit immenser Faulheit zu erklären. Beide Lager haben eine eher lockere Auffassung von Begriffen wie »seriöse Quelle« und »vertrauenswürdige Information«. Rund zwei Tage nach der Meldung über Kates Krankenhausaufenthalt galt es schon als unumstößliche Wahrheit, dass sie sich habe liften lassen und mindestens ein halbes Jahr lang ihre Pflichten vernachlässigen würde.
Kates Wunsch nach Privatsphäre wurde nicht erfüllt. Stattdessen wurden Fragen gestellt: Gelten für die Royals andere Regeln, weil sie vom Steuerzahler bezahlt werden? Wie ist es im Fall angeheirateter Familienmitglieder, die niemals selbst den Thron besteigen und die damit verbundenen Pflichten erfüllen müssen? Wie sieht es mit dem Recht auf Privatsphäre aus, wenn jemand wie Prinz Harry sich vom Leben im Königshaus verabschiedet hat, gleichzeitig aber weiter von Status, Titel und dem Rang in der Thronfolge profitiert?
Die folgenden Diskussionen litten unter gewissen logischen Mängeln, da die Forderung nach lückenloser Information vor allem von US-Medien erhoben wurde, die die Royals gar nicht finanzieren, sondern lediglich an ihnen verdienen. Der sich öffentlich äußernde Teil der britischen Steuerzahler fand es dagegen zunächst in Ordnung, Kate in Ruhe zu lassen.
Das änderte sich schlagartig, als Ende Januar die Journalistin Concha Calleja in einer spanischen Talkshow behauptete, aus zuverlässiger Quelle zu wissen, dass Kate sich seit ihrer Operation im Koma befinde. Calleja hatte seit 1998 vorwiegend historische Unterhaltungsromane mit Titeln wie »Ungewöhnliche Leidenschaft« geschrieben, bevor sie 2007 ein eher verschwörungstheoretisch angelegtes Buch über die bei einem Autounfall 1997 ums Leben gekommene Mutter von Harry und William, Diana »Lady Di« Spencer, mit dem Titel »Diana – sie werden mich ermorden« veröffentlichte, dem ähnliche Werke folgten.
Das änderte nichts an der blitzartigen Verbreitung dieses Gerüchts in den sozialen Medien. Dass Kate einen Tag später aus dem Krankenhaus entlassen wurde, interessierte kaum jemanden – die Prinzessin, so stand für Freunde und Feinde der Royals fest, kämpfte komatös um ihr Leben, und der beste Beweis dafür war ja, dass sie seit Wochen niemand gesehen hatte.
Auffällig ist, dass die Bots aktiv wurden, nachdem sich Königin Camilla am 29. Februar mit Olena Selenska, der Frau des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, getroffen hatte.
Das Koma-Gerücht wurde bald in Harry-und-Meghan-Fanforen um einen weiteren Aspekt bereichert: Kate habe gar nicht wegen einer Bauch- oder Schönheitsoperation im Krankenhaus gelegen, sondern sei vielmehr tot oder mindestens aussichtslos komatös. Weil sie die Scheidung verweigere, habe Prinz William sie verprügelt und dabei lebensgefährlich oder tödlich verletzt. Seither überlege das Königshaus, wie sich dieser Vorfall am besten vertuschen ließe.
Obwohl diesen offenkundigen Unfug nicht alle Fans glaubten, gelangte er in Verschwörungsforen und fand anlässlich der weiteren Ereignisse immer weitere Verbreitung. Ende Februar wurde bekannt, dass der Schwiegersohn der erweiterten Königsfamilie, Thomas Kingston, tot aufgefunden worden war. Selbstredend wurde auch dieser Suizid in die große Kate-Verschwörungsgeschichte aufgenommen: Kingston sei von Prinz William erschossen worden, weil er entweder mitbekommen hatte, dass dieser Kate umgebracht hatte, oder weil Kate von ihm schwanger war.
Das anfangs noch zögerlich auf X verbreitete Hashtag #WhereIsKate wurde nun immer häufiger geteilt und gelangte auch dadurch in die Trends, dass sich Bots und Troll-Accounts daran beteiligten. Bots posten viele Nachrichten in kurzer Zeit, benutzen unabhängig voneinander, also ohne sie zu teilen, gleiche Redewendungen und Bilder und mischen sich plötzlich, manchmal sogar in zuvor nie benutzten Sprachen, in Themen ein, zu denen sie sich bislang nie geäußert haben.
Auffällig ist, dass die Bots aktiv wurden, nachdem sich Königin Camilla am 29. Februar mit Olena Selenska, der Frau des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, getroffen hatte. Zuvor hatte der an Krebs erkrankte König Charles III. in einer Botschaft an das ukrainische Volk zum zweiten Jahrestag des russischen Überfalls der Ukraine dessen Entschlossenheit und Stärke gepriesen. Ebenfalls am 29. hatte sich Prinz William in der Londoner Synagoge Western Marble Arch mit jungen Juden getroffen und sich »extrem besorgt« über den Anstieg antisemitischer Vorfälle seit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel geäußert.
Beide royalen Termine könnten für diverse Akteure ein guter Grund gewesen sein, gezielt Misstrauen gegen staatliche Institutionen, die Presse und die Monarchie zu säen. Dafür spricht auch ein weiterer Vorfall: Am 18. März berichteten russische Zeitungen, dass König Charles gestorben sei, gefolgt von gefälschten, mit dem Logo des Buckingham-Palasts versehenen Todesnachrichten bei X. Auch diese Fake-Bilder wurden von Bots verbreitet.
Dass Kate vergangene Woche in einem Video mitteilte, an Krebs erkrankt zu sein, führte zu einer regelrechten Entschuldigungswelle auch prominenter Verbreiter der Verschwörungslügen.
Es ist anzunehmen, dass das am britischen Muttertag gepostete und später wegen diverser Nachbearbeitungen von Fotoagenturen zurückgezogene Foto, das Kate mit ihren Kinder zeigt, ein schlecht durchdachter Versuch war, mit einem Lebenszeichen die bösartigen Gerüchte zu zerstreuen. Diese wurden stattdessen noch bösartiger und schließlich von der US-Presse aufgenommen. Eines, das es Mitte März sogar in die Late Night Shows von US-Sendern schaffte, war 2019 von dem britischen Kolumnisten Giles Coren als Witz gepostet worden: William, schrieb er, habe eine Affäre mit einer Adeligen namens Rose Hanbury. Obwohl Coren seither mehrmals erklärte, dass es sich um einen Scherz gehandelt habe, wurde das Ganze wieder aufgenommen und, erweitert um die Behauptung, dass William der Vater von Roses Kindern sei und er sich ihretwegen von Kate scheiden lassen wolle.
Dass Kate vergangene Woche in einem Video mitteilte, an Krebs erkrankt zu sein, führte zu einer regelrechten Entschuldigungswelle auch prominenter Verbreiter der Verschwörungslügen. Gleichzeitig wird in den meisten Medien betont, dass ganz allein die miese royale Informationspolitik schuld an den vielen Falschmeldungen und Gerüchten sei. Das ist eine aparte Sichtweise, denn sie beinhaltet, dass die internationale Öffentlichkeit ganz selbstverständlich ein Recht darauf habe, in Echtzeit über Promis informiert zu werden. Nicht in Betracht gezogen wird, dass Fakten nicht nur dann, wenn es um Prinzessinnen geht, längst nicht mehr automatisch als Wahrheit akzeptiert werden: Bot-Accounts und Gegner der Royals beharren darauf, dass nicht Kate, sondern eine KI-Simulation in dem Video zu sehen ist.