Samstag, 18.02.2023 / 16:15 Uhr

Türkei: Islamisch korrekte Erbebenhilfe

Von
Gastbeitrag von Florian Markl

İsmail Palakoğlu, Bildquelle: Twitter

Mit der Leitung des Katastrophenschutzes hat İsmail Palakoğlu keine Erfahrung, aber er achtet darauf, dass Erdbebenopfer in der Türkei keine Biermarken-Logos zu sehen bekommen.

 

Bis vor wenigen Tagen dürfte der Name İsmail Palakoğlu nur den Wenigsten hierzulande geläufig gewesen sein. Geboren wurde er 1972 in Kahramanmaraş, einer der vom Erdbeben letzte Woche besonders heftig betroffenen türkischen Städte. Er besuchte eine Imam-Hatip-Schule, also eine der ursprünglich der Ausbildung von Koranlehrern und künftigen Predigern dienenden Schulen, die seit der Machtübernahme Recep Tayyip Erdoğans und der AKP in der Türkei massiv gefördert werden, obwohl sie in der Bevölkerung alles andere als beliebt sind.

Sein Studium absolvierte Palakoğlu an der Theologischen Fakultät der Universität Ankara, seinen Master machte er im Bereich Sufismus. Seinen Berufsweg begann er im Diyanet, der dem türkischen Präsidenten unterstellten staatlichen Religionsbehörde, deren Generaldirektor er 2012 wurde. Ab 2016 fungierte Palakoğlu darüber hinaus als Berater des Staatsoberhaupts in religiösen Angelegenheiten. 2018 wechselte er schließlich ins Amt für Katastrophen- und Notfallmanagement (AFAD), zu dessen Generaldirektor er erst im Januar dieses Jahres befördert wurde.

Obwohl Palakoğlu, wie Kenan Güngör feststellt, »als Erdoğan huldigender Theologe« über keine weltliche Ausbildung und keinerlei Erfahrung mit der ihm anvertrauten Aufgabe verfügt, leitet ausgerechnet er jetzt die staatliche Katstrophenhilfe nach dem verheerendsten Erdbeben der türkischen Geschichte. Dabei sorgt er sich darum, dass auch angesichts Zigtausender Toter und Hunderttausender obdachlos gewordener Menschen die islamische Moral gewahrt bleibt: Jacken, Schals und Mützen, die die Erdbebenopfer vor der Kälte schützen hätten können, lehnte er ab, weil sie Logos von Biermarken trugen.

Palakoğlus Karriere steht symbolhaft für die Entwicklung der Türkei unter der Führung Erdoğans, in der Korruption, Vetternwirtschaft und unbedingte Loyalität gegenüber dem Präsidenten wichtiger sind als Sachverstand und Kompetenz.

Dass Erdoğan der von ihm lange angestrebte Umbau des Staates zu einem halbautokratischen System mit ihm selbst im Zentrum gelungen ist, könnte ihn jetzt teuer zu stehen kommen. Er, der rücksichtslos alle Macht an sich gerissen hat, droht bei den für Mitte Mai geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen die Rechnung für die letztlich tödlichen Versäumnisse im Bauwesen und das eklatante Staatsversagen beim Krisenmanagement präsentiert zu bekommen.

Für die milliardenschweren Wahlgeschenke, mit denen Erdoğan sich ein weiteres Mal die Gunst der Wähler zu erkaufen hoffte, steht angesichts der massiven Schäden im Land jedenfalls noch weniger Geld zur Verfügung als schon vor dem Erdbeben.

Nur eines muss Erdoğan nicht befürchten: Nach dem Erdbeben von Gölcük 1999 klagte die Tageszeitung Hürriyet die Verantwortlichen für die auch damals tödlichen Baumängel und das Versagen der Katastrophenhilfe mit nur einem Wort an: »Mörder!«, war auf der Titelseite zu lesen. Auch wenn der Todeszoll des jüngsten Erdbebens um ein Vielfaches höher ist, wird sich nach all den Jahren, in denen oppositionelle Medien auf Linie gebracht und kritische Journalisten ins Gefängnis geworfen wurden, keine Zeitung mehr trauen, eine solch direkte Anklage zu formulieren.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch