Krajina-Kosovo und zurück

Die USA drängen auf einen sofortigen Waffenstillstand im Kosovo, Europa sträubt sich, die UCK an den Verhandlungstisch zu holen

Die Kontaktgruppen-Konstruktion zeugt auf den ersten Blick von verblüffender Naivität: Einerseits werden die sechs Mächte (USA, BRD, Großbritannien, Frankreich, Rußland, Italien) nicht müde, dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic die Unantastbarkeit seines Staates zu versichern. Die Unabhängigkeit des Kosovo wolle keiner, es müsse eine innerjugoslawische Lösung gefunden werden, ist der Tenor. Gleichzeitig aber fordern sie Milosevic dazu auf, seine Truppen doch bitte aus dem Kosovo abzuziehen, der serbischen Provinz also, in der gerade bis zu 50 000 albanische Aufständische die staatliche Integrität Jugoslawiens zerschießen.

Daß sie auch anders können, zeigten die westlichen Staaten vor drei Jahren im Nachbarland Kroatien. In augenzwinkernder Kumpanei mit dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman präsentierten sie sich von ihrer rücksichtsvollsten Seite. In Ostslawonien, an der Grenze Kroatiens zu Jugoslawien, rebellierte 1991 - ähnlich wie heute die Separatisten im Kosovo - nach der Sezession Zagrebs von Belgrad die serbische Minderheit gegen die Vorstellung, unter kroatischer Herrschaft leben zu müssen und rief ihren eigenen, selbständigen Staat aus - die Freie Republik Krajina.

Nach vier Jahren "serbischer Fremdherrschaft" hatte Tudjman im Sommer 1995 genug. Blitzkriegartig ließ er seine Armee die Gebiete der selbsternannten "Freien Republik Krajina" überfallen. Zehntausende aus den drei mehrheitlich serbisch besiedelten Regionen in Kroatien wurden vertrieben. Stillschweigend nahm der Westen die gewaltsame Wiederherstellung der kroatischen Souveränität über sein gesamtes Territorium hin. Sanktionen wurden nicht verhängt. Allerdings installierten die Vereinten Nationen in Ostslawonien eine Übergangsverwaltung (UNTAES), die unter anderem die Grundlagen für eine friedliche Rückkehr der rund 30 000 serbischen Flüchtlinge schaffen sollte. Anfang des Jahres beendeten die Vereinten Nationen ihre Mission.

Reduziert man die immer wiederkehrenden Floskel der europäischen und US-amerikanischen Balkan-Strategen von der "weitgehenden Autonomie des Kosovo innerhalb Jugoslawiens" auf ihren Kern, könnte das Modell Ostslawonien auch im Kosovo Schule machen: Nicht wie in Bosnien, wo sich das Protektorat der internationalen Institutionen über den gesamten Staat erstreckt, sondern wie in Ostslawonien steht eine militärisch abgesicherte Teilherrschaft über die zu neunzig Prozent albanisch besiedelte Provinz auf der politischen Tagesordnung.

Offen bleibt nur, wie diese erreicht werden soll. Bereits im Mai konnten die Widersprüche zwischen den USA und ihren europäischen Verbünden über die politische Strategie für den Kosovo nur notdürftig gedeckelt werden. In den vergangenen beiden Wochen sind sie erneut ausgebrochen. Im Mittelpunkt des Streits über das künftige Vorgehen steht dabei der Umgang mit der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UCK.

Gezielt streute der US-amerikanische Sondergesandte für den Balkan und designierte UN-Botschafter der USA in New York, Richard Holbrooke, letzte Woche Vorwürfe gegen die europäischen Regierungen: "Mir ist auf meiner Reise klar geworden, wie wichtig Länder wie Deutschland, die Schweiz und Dänemark sind, in denen die UCK Geldmittel organisiert und Männer rekrutiert", sagte er der Woche. Seine Kritik am laxen Vorgehen der Europäer verband er mit einer Aufwertung der Skipetaren-Guerilla. Wurden noch vor drei Monaten die UCK-Fighter als "Terroristen" deklariert, ist Washington nun offenbar darauf aus, Milosevic zu direkten Verhandlungen mit der UCK zu bewegen. Ein Waffenstillstand soll her. Rhetorisch halten die USA zwar an Ibrahim Rugova, dem selbsternannten Präsidenten der Kosovo-Albaner fest. Hinter seinem Rücken jedoch wird dieser eifrig demontiert.

Der innenpolitische Niedergang des lange Zeit als Repräsentanten des Kosovo gehandelten Rugova ist in vollem Gange, der Machtkampf um die politische Führung der UCK entbrannt. In der vergangenen Woche richtete die lange Zeit ohne Sprecher agierende "Befreiungsarmee" mehrere "nationale Räte" ein. Im Dorf Malisevo, gelegen zwischen der Provinzhauptstadt Pristina und Djakovica, hat sich ein Direktorium für zivile und öffentliche Angelegenheiten unter der Leitung des Ökonomen Gani Krasniqi gebildet, offenbar eine neue Regierung für die von der UCK "befreiten Gebiete" - die nach unterschiedlichen Angaben bis zu vierzig Prozent des Kosovo kontrolliert.

Die "nationalen Räte" stellen seitdem die einzigen Behörden dar. Nach deren Angaben seien alle politischen Gremien der "früheren Regierung" - gemeint ist nicht die serbische, sondern zweifellos die Regierung Rugova - aufgehoben, Steuern sollten fortan in einen neu eingerichteten Fonds mit dem Namen "Das Land ruft" entrichtet werden. Die politische Spaltung der Kosovo-Albaner scheint endgültig vollzogen, die "Republik Kosovo" hat jetzt zwei Schatten-Regierungen: die - zumindest formell - gewählte unter Präsident Rugova und das "Direktorium", das den bewaffneten Kampf der UCK unterstützt. Zudem gibt es nach wie vor die Behörden der serbischen Regierung in Belgrad.

Während die EU-Staaten Rugova dazu drängen, sich als politischer Sprecher der UCK zu etablieren, bröckelt dessen Macht im Kosovo weiter. Faktisch ist seine Demokratische Liga des Kosovo (LDK) seit den März-Wahlen geteilt, als führende Mitglieder unter Protest gegen die bis dahin gewaltfreie Strategie Rugovas die Partei verließen. Der Einfluß der bislang zweitstärksten Parlamentarischen Partei (PPK) unter Adam Demaci auf die UCK ist darüber hinaus weiter gewachsen.

Verärgert reagierten die europäischen Regierungen denn auch auf das Treffen Holbrookes mit führenden Repräsentanten der "Befreiungsarmee", droht ihnen doch die angestrebte Verhandlungsführung zwischen Milosevic und Rugova aus den Händen zu geraten. Während die USA darauf drängen, der UCK den Status eines Verhandlungspartners zuzuerkennen, verweigert Europa den Separatisten - zumindest offiziell - weiter die Anerkennung. Ein Abrücken von der Maximalforderung der Kontaktgruppe, Verhandlungen erst nach einem vollständigen Rückzug der serbischen und jugoslawischen Einheiten aus dem Kosovo zu führen, könne laut EU nicht zugelassen werden. Stellvertretend für die europäischen Staaten bezeichnete der Präsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisition für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Javier Rupérez, eine Teilnahme der UCK an den Verhandlungen mit Milosevic als unannehmbar. Auch Nato-Chef Javier Solana bekräftigte, daß der Westen an Rugova als Gegenpart zu Milosevic festhalten müsse.

Von ihrem ursprünglichen Ziel, die derzeit unterbrochenen Gespräche über eine Autonomie des Kosovo unter die OSZE-Vermittlung Felipe Gonz‡lez' zu stellen, ist Europa seit dem Ausbrechen der Kämpfe in der Provinz weiter entfernt denn je. Was sich auf dem Balkan einmal mehr durchzusetzen scheint, ist das Verhandlungsmonopol der USA. Unbeleckt von moralischen Verpflichtungen gegenüber dem über Jahre hinweg protegierten "Kosovo-Ghandi" Rugova, setzen sie auf eine ähnliche Lösung wie zur Beendigung des Bosnien-Kriegs: Um ein Ausufern der Kämpfe auf Mazedonien und Albanien zu verhindern, wird die UCK als wichtigster innenpolitischer Akteur aufgewertet, vor die politische Klärung des Konflikts die militärische gesetzt: Waffenstillstand.

Während sich die westeuropäischen Kontaktgruppen-Mitglieder weiter über die Umsetzung des Landeverbots gegen die jugoslawischen Fluggesellschaft JTA streiten, machen die USA Nägel mit Köpfen. Ob Europa dem noch etwas entgegenzusetzen hat, könnte sich noch diese Woche entscheiden. In Bonn treffen die zerstritten Partner der Balkan-Kontaktgruppe dann erneut aufeinander, um neue Varianten zur Auflösung des jugoslawischen Bundesstaates zu diskutieren.