Ein Bericht vom Internationalen Journalismus-Festival in Perugia

Nachrichten aus aller Welt

Mitte April trafen sich Hunderte Medienschaffende beim Internationalen Journalismus-Festival im italienischen Perugia, um in einer Zeit des Umbruchs über einige der wichtigsten Themen für die Nachrichtenbranche zu diskutieren.

Shira Badakshi sitzt in Teheran an ihrem Küchentisch und hat auf dem Bildschirm eine Nachricht über Hibatullah Akhundzada aufgerufen, den Obersten Führer des »Islamischen Emirats Afghanistan« und der dort regierenden Taliban. Auf einem Foto ist er mit ernster Miene, langem Vollbart und weißem Turban zu sehen. Badakshis Zeichenstift fliegt über das Papier, genüsslich übertreibt die afghanische Cartoonistin, die seit zwei Jahren im Iran lebt: Der Turban sitzt zu platt auf dem Kopf, der schwarze Bart wirkt wie eine zottelige Halskrause, die Nase ist ein Zinken unter kleinen Augen und der Gesichtsausdruck unvergesslich dämlich.

»Haibat Dude und seine Freunde« heißt der Comicstrip und zeigt den Mullah als Vollidioten, der von einer Horde durchgeknallter Taliban zu immer neuen frauenfeindlichen Erlassen angespornt wird, um sie bei Laune zu halten. »Was ist los mit dir, Haibat Dude, wir langweilen uns zu Tode! Hast du keine Mission für uns?« fragt einer der Taliban. Mit Ziegenbart und irrem Blick wirkt er sehr viel bedrohlicher als sein Anführer. Der sucht verwirrt nach einer Eingebung und verkündet den ersten Geistesblitz: »Zieht los und gabelt ein paar Mädchen auf, behauptet einfach, dass sie gegen die Kleiderordnung verstoßen oder dass sie gottlos atmen, das sollte ausreichen.« Die Taliban jubeln, »Cool, jede Schlampe, die es wagt zu atmen, gehört uns!«

Badakshi – ihr Name ist ein Pseudonym – ist zufrieden mit der Zeichnung. Alles stimmt – die Grausamkeit, der Irrsinn und die Willkür, die die Frau Ende 30 selbst gut kennt. Seit ihrer Kindheit in Afghanistan, die jäh endete, als ihre Familie sie mit 15 verheiratete, zeichnet sie gegen diese Ungerechtigkeiten an. Sie macht ein Foto und teilt ihre neuste Arbeit in einem Chat-Room für afghanische Journalistinnen im Exil. Dort ist Badakshi ein Star, alle lieben ihren schwarzen Humor, auch wenn der Comicstrip bislang noch nirgendwo erschienen ist.

Die Panels, die Israel und den Gaza-Streifen zum Thema haben, haben die italienischen Sicherheitskräfte mit Sprengstoffsuchhunden und erhöhten Sicherheitsmaßnahmen begleitet.

Die Kolleginnen schalten sich aus Afghanistan, Pakistan, Indien, der Türkei, Deutschland, Frankreich und Kanada zu. Nach der Machtübernahme der Taliban 2021 mussten sie alle entweder das Land verlassen oder sich in Afghanistan in eine Art internes Exil begeben, das ihr früheres Leben abgelöst hat. Die Frauen in Afghanistan dürfen das Haus nur noch in Begleitung ihres Ehemanns oder männlicher Verwandter verlassen. Im Chat werden Videos zum Thema Exiljournalismus vom Internationalen Journalismus-Festival im italienischen Perugia geteilt. Der Chat-Room der Afghaninnen war eines der vielen virtuellen Nebenveranstaltungen des Medien-Events im Hotel Brufani.

Journalist:innen aus der ganzen Welt hasteten von einem der 250 Panels zum anderen, auf denen zwischen dem 17. und 21. April ungefähr 700 Redner:in­nen über medienrelevante Themen debattierten: Künstliche Intelligenz im Journalismus, grenzübergreifender investigativer Journalismus, die Macht der Influencer auf Medien-Plattformen, neue journalistische Erzählweisen im Kino, der Literatur und der Kunst, Journalismus in Zeiten des Klimawandels, ein Workshop zweier Cartoonisten des internationalen Netzwerks Cartoon Movement, den sich selbst Shira Badakshi in Teheran mit VPN-Verbindung anschauen konnte. Die meisten Panels sind auf der Website abrufbar.

Bedingungen der Berichterstattung im Gaza-Streifen

Einen Schwerpunkt bildete Journalismus aus Kriegs- und Krisengebieten und im Exil. Die Panels, die Israel und den Gaza-Streifen zum Thema haben, haben die italienischen Sicherheitskräfte mit Sprengstoffsuchhunden und erhöhten Sicherheitsmaßnahmen begleitet. Die Gewerkschaft Palestinian Journalists’ Syndicate (PJS) nutzte die Plattform, um im Verbund mit arabischen NGOs und solidarischen Medien­vertreter:innen die hohe Anzahl der Todesopfer und die Bedingungen der Berichterstattung im Gaza-Streifen zu schildern. Die Debatte zwischen Phil Chetwynd, dem Nachrichtendirektor der Nachrichtenagentur AFP, und der PJS-Sprecherin Shuruq As’ad brachte eine Tatsache zur Sprache, die unabhängig vom politischen Standpunkt zum Konflikt von Bedeutung ist: Im gesamten Nahen Osten setzen große Medienanstalten Ortskräfte wegen ihrer Sprachkenntnisse und lokalen Netzwerke ein, bezahlen sie aber schlechter als internationale Korrespondent:innen, obwohl lokale Kameraleute und Produzenten den größten Risiken bei der Berichterstattung ausgesetzt sind.

As’ad kritisierte, dass getötete palästinensische Kolleg:innen schnell als Verbündete der Hamas diskreditiert würden. Davon überrumpelt, verbürgte sich Chetwynd dafür, dass keine AFP-Mitarbeiter als akkreditierte Jour­nalist:innen der Hamas den Überfall auf Israel am 7. Oktober begleitet hätten – und er jeden verklagen würde, der etwas anderes behaupte. Anfang November hatte die NGO Honest Reporting den Vorwurf gegen mehrere Journalisten und internationale Medien erhoben, dass sie vorab vom Terrorangriff der Hamas gewusst und daher in vorderster Front berichtet hatten.

Kolleg:innen aus Russland, der Ukraine und Belarus besuchten wechselseitig Panels zur Krise im Journalismus ihrer Länder und fielen angenehm durch gegenseitiges Verständnis für die diesbezüglichen Probleme auf. Die ukrainische Investigativjournalistin Alona Shestopalova von der NGO Center for Information Resilience, die Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Desinformation mit Schwerpunkt Myanmar, Ukraine und Afghanistan untersucht, folgte sehr aufmerksam dem Panel des aus dem Exil betriebenen russischen Nachrichtenportals Meduza. Als die Redner auf dem Podium die Biographie »Selenskyj« von Serhij Rudenko über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als herausragendes Werk des ukrainischen Journalismus bezeichneten, korrigierte sie. »Da vereinfachen Sie, es gibt noch sehr viel mehr, was der ukrainische Journalismus zu bieten hat, als das Narrativ der politischen Führung einseitig wiederzugeben.«

Verurteiltung der Kriegspolitik Putins

Eines der spannendsten Panels zu diesem Themenbereich trug den Titel »Die Komplexität des Berichtens, wenn das eigene Land im Krieg ist«. Sewhil Mussajewa von der Online-Zeitung Ukrajinska Prawda teilte Erfahrungen mit Alona Vinograd von der israelischen Organisation für investigativen Journalismus Shomrim. Mussajewa ist Krimtatarin, berichtete über die Annexion der Krim und verurteilt die Kriegspolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin aus tiefster Überzeugung.

Doch sie möchte als Journalistin auch nicht Teil einer patriotischen Front in der Ukraine sein: »Wir wollen auch im Krieg eine Demokratie bleiben, also dürfen wir gerade jetzt nicht Korruption und Vetternwirtschaft tolerieren.« Vinograd betonte ebenfalls, dass sie Kraft daraus schöpfe, blinde Flecken in der Berichterstattung aufzuspüren und der Öffentlichkeit die unterschlagenen Informationen zugänglich zu machen. »Einigen russischstämmigen israelischen Juden, die bei dem Überfall auf Israel getötet wurden, wurde die Beerdigung auf jüdischen Friedhöfen durch die örtlichen Rabbiner verweigert. Sie waren ausreichend jüdisch, ermordet zu werden, aber nicht genug, um in heiliger Erde zu ruhen.«

Berichterstattung aus Krisengebieten verlangt Journalist:innen oft mehr ab, als sie ertragen können.

Berichterstattung aus Krisengebieten verlangt Journalist:innen oft mehr ab, als sie ertragen können. Neben Sicherheit im Internet nahm der Bereich Traumabewältigung einen großen Platz ein. Verschiedene NGOs und Interessenverbände boten die Gelegenheit, mit Kolleg:innen aus der internationalen Krisenberichterstattung Fragen der Sicherheit, aber auch der emotionalen Bewältigung traumatischer Erlebnisse zu besprechen. Emma Thomasson hat schon in ihrer Zeit als Redakteurin bei der Nachrichtenagentur Reuters Kolleg:innen dabei unterstützt, mit Überlastungen zurechtzukommen. Gegenwärtig arbeitet die Britin als Medienberaterin in Berlin. »Ich versuche vor allem zu vermitteln, dass es in den meisten Berufsumfeldern Elemente gibt, die beeinflussbar sind, und andere, die es nicht sind.«

Tjeerd Royaards und Emanuele del Rosso von der internationalen Plattform The Cartoon Movement boten einen im Internet gestreamten Arbeitskreis über die Kraft des Cartoons an, festgefügte Meinungen zu durchbrechen, in dem sie Kolleg:innen zum Mitmachen einluden. Shira Badakshi nutzte die Gelegenheit, schickte ihre Arbeiten aus der Ferne ein und erhielt eine Einladung, »Haibat Dude« mit den Kolleg:in­nen zusammen weiterzuentwickeln.