Party im Pop-Sarg

Zehn Mal Love Parade: Liebe und Freiheit haben Spuren hinterlassen. Eine Umschau

Heiko geht hin, Annette auch und Rainald: Die Zukunft hat vor zehn Jahren begonnen. Und auch das noch: Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft. Oje, Deutschland hat es nicht geschafft. Für Fußball interessieren sich kulturinteressierte Linke natürlich schon. Zur Love Parade aber wird dieses Jahr merkwürdig geschwiegen. Sogar Pop-Papst Diederichsen sagt uns nichts über den Rave selbst, sondern wendet seine Gesetze lieber gleich in der Linken an: Kuschelt Euch!

Zurück zur Gegenwart: Dr. Motte, Mutter der Love Parade, hat wieder einmal sein Herz geöffnet. Auf dem Land lebt er jetzt, in der Lausitz. Raus aus Kreuzberg, wie so viele, hat er sich auf einen 180-Quadratmeter-Heuboden zurückgezogen, erzählt er im Interview. Gekauft von dem Geld, das er mit der Love Parade nie verdient haben will:

"Hat dich die Love Parade reich gemacht?"

"Sehr. Sie hat mir viel Freude gegeben. Und Energie. Und das Bewußtsein, daß jeder Mensch einen Beitrag zum Frieden leisten kann. Mit sich, der Natur und anderen." Und bestimmt den Juden, denen er ja einmal geraten hatte, sie mögen endlich eine andere Platte auflegen.

"Mal langsam, wir meinen schon das Geld."

"Ach so. Nein, das würde ich nicht reich nennen."

Rückenbeschwerden hat er, vom vielen Plattenauflegen. "Wir müssen dankbar sein, daß wir leben", sagt er, "denn das Leben ist schön." Wie begonnen, so gewonnen. "Diese Jahr werden am Rande der Love Parade sogar Leute heiraten." Und: "Drogen sind natürlich kein Weg."

Zehn Jahre Love Parade - das sind auch Jahre der Klopperei darum, ob der "El Ni-o der Pop-Kultur" (B.Z.) Demo oder Revolte ist oder gleich Politik. Linke Diskurs-Forscher, immer auf der Suche nach revolutionärem Pathos, wollten sich in die Rave Nation nur zu gern integrieren. Als sie dann nicht fanden, was sie hineininterpretierten, gab es was auf die Löffel. Annette Weber, 1996: "Mädchen mit riesigen Rehaugen, festen Kugelbrüsten und kleinem biegsamen Hardbody als Weiblichkeitsideal" habe die Love Parade hervorgebracht. "Nicht die Riot-Girrrl-Taktik des Zurückeroberns fremdbestimmter Zuschreibungen, sondern die Einlösung patriarchal-maskulinistisch dominierter Geschlechterphantasien steht bei der Rave Nation auf dem Programm."

Das haben sich die Raver wohl dahingeschrieben. Aber gesagt haben sie das immer anders bzw. gar nicht. Das ließ natürlich immer eine Menge Raum für Spekulationen wie die oben angeführte. Bei der Interpretation der Slogans "We are one family" und "Friede, Freude, Eierkuchen" tat man sich bisweilen allerorten schwer.

Dieses Jahr tanzt man übrigens zu "One World, One Future" und legt dazu mehrheitlich Bums-Techno der älteren Version auf. Für die echte Millionen-Party ist Drum & Bass einfach zu frickelig.

Der Slogan ist toll. Er wäre auch als Wahlkampf-Spruch der CDU der "Roten-Hände"-Kampagne haushoch überlegen. Gleichzeitig ist er der sozialistischste, den es je gegeben hat. Eine Welt, eine Zukunft - das erinnert stark an Öffnung der Hochschulen, Entwicklung des einzelnen in der Gemeinschaft und linkes Lehrertum. Kurz: an die siebziger Jahre. Wer heute 20 ist, hat die aber womöglich gar nicht mitbekommen. Dr. Motte tut also gut daran, an die schöne Zeit zu erinnern, als es noch Utopien gab. Eine Welt, eine Zukunft - das war Anti-Vietnam-Demo, Anti-Atom und Anti-Raketen. Und heute: Fall der Mauer, Titanic, Lady Diana und das ganze Aids - kurz: "One world, one future." Oder "Techno, Titten und Tabletten" (Zitty). Perlen der hiesigen Pop-Sprache. Fast so gut wie "Schwein oder Mensch" und "Hoch die internationale Solidarität". Damit also tritt nun seit zehn Jahren die (Party-)Familie an. Groß entstanden ist daraus nichts. Aber überall wird abgebaut. Mit Liebe. Sozialleistungen, Lehrerkollegien, andere Arbeitsplätze auch.

Der Konflikt sei der Vater aller Dinge. Alles Gute komme vom Dissens. Dagegen habe sich hierzulande Love-Terror etabliert, beklagen führende Kommentatoren dieses Landes. Bild-Mann Graf Nayhauß zum Beispiel staunte kürzlich, als er eine Auswertung mehrerer FAZ-Fragebögen vornahm, daß für die wenigsten Prominenten eine herausragende militärische Leistung bewundernswert sei. Nicht mal "die Invasion der Alliierten in der Normandie"!

Gustav Seibt, der Feuilletonist von der Berliner Zeitung, sieht den "Love"-Gedanken etwas anders: "Die Love Parade als Massierung einer kleinbürgerlichen Enthemmung verliert gerade durch diese Massenhaftigkeit das Spießige des Kleinbürgerlichen; die Enthemmung bekommt etwas Großartiges durch die Wucht ihrer Einförmigkeit." Energie gleich Masse mal Geschwindigkeit - das ist etwas wie 50 Jahre Luftbrücke, von der die Eltern so gern erzählen.

Die Love Parade begeistere nur noch die Touris, "die wie Saatkrähen in Busladungen einfallen" bzw. "biersaufende Spanner", die "geil aufs Provinzfrischfleisch" seien, meckert die kürzlich von Deutschlands schnarchigstem Pressekonzern Holtzbrinck aufgekaufte Zitty. "Die halbe Jugend Deutschlands freut sich auf den ersten Vollrausch, den ersten Sex, die erste Drogenerfahrung und die Begegnung mit dem ersten Fernsehteam ihres Lebens."

Die Basis schimpft ebenfalls. Wer öfter mal selbst auf die Love Parade gegangen ist, wird indes auch mit kritischen Stimmen konfrontiert worden sein. "Das habe ich mir irgendwie anders vorgestellt", hört man oft. Eingesessene Prominenz macht sich ihren eigenen Reim auf den Umzug. Dem Sänger Funny van Dannen geht das Spektakel einfach am Arsch vorbei: "Ich habe genug anderes zu tun und kriege davon wenig mit, höchstens im Fernsehen."

Aber überzeugen ist jederzeit drin. Kultusenator Peter Radunski freut sich auf die Flyer-Party von Marc Wohlrabe. Er will dort "ins Gespräch mit den Ravern aus aller Welt kommen". Angewandte alte linke Killertechnik: labernlabernlabern. Endlich eine Gelegenheit, auch als speckiger Politiker ein bißchen hop zu sein. Das hat er bestimmt von Axel Wallrabenstein: Schließlich verkörpert niemand besser als der Sprecher des Kultursenators das Crossover-Outfit von Skin- und Technohead.

Nachdem also die großen Kulturdebatten um die Love Parade geschlagen und verloren sind, reißen sich in den Printmedien eigentlich nur noch die Ressorts Innenpolitik und Wirtschaft um das freudige Ereignis. "Neben dem Müll soll auch die Stimmung nicht zu kurz kommen." (Berliner Kurier) Die Mülltruppe heißt dieses Jahr "Love Parade Power Team". Pop-Industrie in den Wirtschaftsteil? Da steht sie natürlich schon längst, man lese nur die FAZ.

Aber diskutiert wurde in der Jungle World auch darüber, wo's hingehört. Über die Love Parade sollte dieses Jahr was auf der Hauptstadt-Seite geschrieben werden.