Spekulant in Fesseln

Mit der Tobin-Steuer könnte die Politik wieder die Kontrolle über die Finanzmärkte erlangen.

Die Finanzmärkte sind außer Kontrolle geraten. Doch erst politische Entscheidungen machten das Kapital "scheu wie ein Reh". Und die Folgen des Deregulierungswahns können sich sehen lassen: Ob Mexiko-Krise, Zerbrechen des EWS oder die Südostasien-Krise - stets sind die Ursachen auch darin zu suchen, daß Hunderte Milliarden von Dollars nicht für nötige Investitionen eingesetzt, sondern kurzfristig in Finanzpapiere oder Devisen angelegt und wieder abgezogen werden können.

Spekulanten könnten schon wegen ihres Berufes frühzeitig Fehlentwicklungen in Volkswirtschaften - zu hohe oder zu niedrige Wechselkurse - erkennen, lautet das wirtschaftspolitische Credo. Sie könnten einen "glaubwürdigeren" Wechselkurs erzwingen, der den volkswirtschaftlichen Realitäten (z.B. die Leistungsfähigkeit der Exportindustrie) besser entspricht, als es z.B. durch politische Eingriffe der Notenbanken möglich wäre. Inzwischen wurde diese Hypothese jedoch durch Tatsachen widerlegt.

Sowohl die extrem teure DM im Sommer 1995 sowie die übertriebenen Währungsabwertungen der südost-asiatischen Schwellenländer lagen ausnahmslos in kollektiven Attacken von Devisenspekulanten begründet. Falls politische Entscheidungen falsch gewesen sein sollten, profitieren von der Korrektur der Wechselkurse stets Spekulanten. Den Schaden trägt die Bevölkerung der jeweiligen Länder. Nicht die flexiblen Wechselkurse sind daher schädlich, sondern der Korrekturmechanismus "Spekulant". Dieser dient nicht den Volkswirtschaften, sondern nur dem Geldbeutel der Anleger.

So werden täglich weltweit für 2 200 Milliarden DM Devisentransaktionen durchgeführt; 99 Prozent davon mit dem Zweck, durch Wechselkursveränderungen Geld zu verdienen. Bei kurzfristigen Umtauschaktionen (in der Größenordnung weniger Stunden oder Tage) erhoffen sich Spekulanten Wechselkursveränderungen, wobei sie nach Abschluß der Transaktion beispielsweise 0,1 Promille Gewinn gemacht haben: Der Tausch von 100 Millionen US-Dollar in Mark innerhalb von sechs Stunden hätte für jeden Normalsterblichen deutliche Verluste wegen der Wechselgebühren zur Folge; nicht aber für professionelle Spieler, die auf ihrem Konto neben ihrem ursprünglichen Einsatz 10 000 Dollar Gewinn vorfinden können.

Problematisch ist die Menge des Geldes, das für Spekulationszwecke eingesetzt wird, auf Bankkonten bleibt und nicht für Investitionen zur Verfügung steht. Genau hier greift eine Tobin-Steuer oder Devisenumtausch-Steuer ein. Werden Devisentransaktionen mit winzigen Steuern belegt (etwa 0,5 Prozent pro Tauschvorgang), wird sich die Attraktivität des Devisenmarktes dadurch erheblich reduzieren. Kurzfristige Wechselkursgewinne resultieren aus geringen Kursschwankungen; die erzielten Gewinne würden komplett durch die Steuer aufgehoben. Die Einnahmen aus dieser sozial völlig unbedenklichen Steuer - deren Einführung ein reines Softwareproblem ist - wären beachtlich. Selbst bei einem Steuersatz von 0,05 Prozent erwartet die Entwicklungsabteilung der UN Einnahmen von weltweit jährlich 100 Milliarden US-Dollar, bei einem Steuersatz von ein Prozent sogar 720 Milliarden.

Bei diesen Schätzungen ist bereits ein weiterer Effekt berücksichtigt, den die Steuer hat: Die Geldmenge, die für Devisenspekulationen zur Verfügung steht, würde sinken. Dadurch erhielten Volkswirtschaften wieder die Möglichkeit, ihre Wechselkurse kurzfristig stabil zu halten. Die Währungsreserven der zehn wichtigsten Industriestaaten betragen derzeit ein Zehntel der täglich umgesetzten Devisen. Deshalb haben Zentralbanken keine Chancen, gegen den Willen von Spekulanten viel auszurichten. Dazu müssen die spekulativen Devisenumsätze erst wieder auf ein erträgliches Maß fallen.

Durch kurzfristig mobiles Kapital geben Volkswirtschaften ihre Zinshoheit auf. Binnenwirtschaftliche Sonderentwicklungen können daher nicht mehr mit einem im Vergleich zum Ausland erhöhtem oder erniedrigtem Zinsniveau ausgeglichen werden. Denn die von Zentralbanken angepeilten Zinsniveaus müssen sich auf den Binnenmärkten auch durchsetzen - was derzeit nur bedingt der Fall ist. Die Tobin-Steuer bewältigt dies über zwei Mechanismen: durch eine Entschleunigung der Märkte und eine Verteuerung der kurzfristigen Transaktionen.

Nicht zuletzt lautet eine von James Tobin (auf den dieser Vorschlag zurückgeht) genannte Begründung für die Steuer, daß sich im internationalen Wettbewerb die Preise von Gütern und die Arbeitskosten nur wesentlich langsamer ändern können als Wechselkurse oder Zinssätze. Weil das so ist, entwickeln Spekulanten von sich aus eine Abneigung, ihr Kapital längerfristig zu binden, denn woanders hätte es bereits wesentlich höhere Renditen "erwirtschaften" können.

Die Tobin-Steuer ist zwar kein Allheilmittel für die krankhaft deregulierten Finanzmärkte, doch könnte sie der Anfang ihrer Reregulierung - und vor allem ihrer Entschleunigung - sein. Und das ist unabdingbare Voraussetzung, möchte man die Vorteile eines Marktsystems allen Menschen zugänglich machen.

Der Autor hat kürzlich zusammen mit Gerald Boxberger bei dtv "Die zehn Globalisierungslügen. Alternativen zur Allmacht des Marktes" veröffentlicht.