Linke und Umweltbewegung müssen den Ressourcenverbrauch berücksichtigen

Auf dem Weg zum Bruttoglobalglück

Linke und Umweltbewegung sollten sich vom Kapitalismus nicht dessen Berechnungssystem aufzwingen lassen, sondern eigene Kriterien für ökonomische, gesellschaftliche und ökologische Entwicklung erarbeiten.
Disko Von

Muss die Wirtschaft schrumpfen, um die globale Erwärmung und die ökologische Krise aufzuhalten? Christian Hofmann ­argumentierte, dass kapitalistisches Wachstum und planvolles Wirtschaften miteinander unvereinbar sind (»Jungle World« 6/2024). Stefan Laurin hält den Versuch, Wachstum zu unterbinden, für besonders deutsche Lustfeindlichkeit (»Jungle World« 7/2024). Leon Maack findet, dass es durchaus Produktionszweige gibt, die weiter wachsen sollten (»Jungle World« 8/2024). Julian Kuppe meint, die Ausbeutung der Natur ebenso wie die der Arbeitskraft wohne der kapitalistischen Produktionsweise inne und sei nur durch politische Organisation zu überwinden (»Jungle World« 10/2024). Sebastian Müller kritisierte die Vorstellung, dass technologischer Fortschritt die Erderwärmung aufhalten könnte (»Jungle World« 11/2024). Peter Bierl zufolge macht es die vorangeschrittene Umweltzerstörung es notwendig, die Utopie einer sozialistischen Gesellschaft diesen Umständen anzupassen (»Jungle World« 13/2024).

*

Fast überall auf der Welt gilt das Wirtschaftswachstum als wichtigster Indikator des Erfolgs einer Regierung. Doch es gibt eine Ausnahme: In Bhutan werden die Einwohner:innen zum »Bruttonationalglück« befragt, dessen Steigerung als höchstes Staatsziel gilt. Das Konzept ist konservativ in der Ausgestaltung, buddhistische »Spiritualität« etwa gilt als wichtiger Faktor des Wohlbefindens. Wegen der autoritären Herrschaft ist es von fraglichem praktischem Nutzen, wenn nicht gar ein Versuch der konstitutionellen Monarchie, glauben zu machen, mangelnde Erfolge in der Armutsbekämpfung durch eifriges Klappern der Gebetsmühlen kompensieren zu können.

Immerhin aber haben die buddhistischen Könige ein Konzept entwickelt, das unter anderem ökologische Verhältnisse und gesellschaftliche Teilhabe berücksichtigt, während Linke und Umweltbewegung sich weiterhin am Berechnungssystem des Kapitalismus orientieren. Wirtschaftswachstum ist die in einer – meist inflationsbereinigt in US-Dollar oder Euro angegebenen – Geldsumme ausgedrückte Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP), der in einem Nationalstaat produzierten Waren und Dienstleistungen in einem bestimmten Zeitrahmen. Als Maßstab für Entwicklung ist das auch im Kapitalismus problematisch, und dies nicht allein, weil die Gesamtsumme wegen der sozialen Ungleichheit wenig über die Lebensumstände Einzelner aussagt.

Wachstumszahlen sagen wenig über Ressourcenverbrauch aus

So ist etwa die Preisbildung häufig alles andere als rational, für Marken- oder Fanartikel etwa werden Summen ausgegeben, die weit über denen von Waren mit dem gleichen Gebrauchswert liegen. 65 Millionen in China gebaute Wohnungen haben gar keinen Gebrauchswert, da sie leerstehen. Ihre Errichtung hat zur Steigerung des BIP beigetragen, da nicht alle Rechnungen bezahlt werden konnten, jedoch auch zur Krisenanfälligkeit der chinesischen Wirtschaft. Vor allem aber sagen Wachstumszahlen wenig über den ökologisch entscheidenden Faktor, den damit verbundenen Energie- und Ressourcenverbrauch aus.

So wäre ein fast unbegrenztes Wachstum möglich, wenn es gelänge, den Statuskonsum insbesondere der Ober- und Mittelschicht in das Metaverse, die virtuelle Welt zu verlagern. Man würde dort Non-Fungible Tokens erwerben, also Dateien, die mittels Zertifizierung zu Wertgegenständen erhoben werden und einen SUV, einen Privatjet oder eine Villa darstellen. Die dafür nötigen Serverfarmen könnten mit isländischer Erdwärme oder einer anderen schnell ausbaufähigen Form erneuerbarer Energie betrieben werden.

Das wäre ein großer Fortschritt für die Klimapolitik. Das Emissionsniveau der ärmeren Hälfte der Bevölkerung (weniger als 40.000 Euro Jahreseinkommen) in den USA, dem Vereinigten Königreich, Deutschland und Frankreich ist schließlich »den Pro-Kopf-Klimazielen für 2030 nahe«, stellte eine Studie des World Inequality Lab der Paris School of Economics bereits 2021 fest. Doch man ahnt, dass Ober- und Mittelschicht sich nicht mit einem konsumfreudigen Avatar zufriedengeben, sondern diesen als virtuellen ­Repräsentanten ihrer Protzerei im analogen Leben betrachten werden.

Die Welt ist kein Kuchen

Zweifellos wird es notwendig sein, die Produktion einer Reihe von Waren einzustellen oder zumindest stark einzuschränken, darunter auch solche, die derzeit noch, wie etwa tonnenschwere Elektroautos, als klimafreundliche Alternative gehandelt werden. Die Mehrheit der Weltbevölkerung hat indes einen dringenden Bedarf an Waren, die auch von Degrowth-Befürworter:in­nen nicht als Luxusartikel eingestuft werden, und hier ist die Entkoppelung des Wachstums von Energie- und Ressourcenverbrauch schwieriger. Allerdings ist die Welt kein Kuchen, der nur unterschiedlich aufgeteilt werden kann; Wohlstandszuwachs im »Globalen Süden« erfordert daher nicht zwingend Verzicht in den reichen Ländern.

Welche Bedürfnisse sollen befriedigt werden und welche nicht? Das muss auch in einer sozialistischen Wirtschaftsplanung geklärt, also demokratisch ausgehandelt werden.

Viele Fragen lassen sich heute noch nicht beantworten. Das leichter zu ­lösende Problem ist die Energieversorgung, beim Ausbau erneuerbarer Energien sind bereits im Kapitalismus erhebliche Fortschritte erzielt worden.

Auch die Rohstoffproduktivität steigt, aber nicht in ausreichendem Maß. Mit erneuerbarer Energie ließen sich automatisierte Recyclingsysteme betreiben, die das Potential hätten, ein fast hundertprozentige Wiederverwertung von Rohstoffen zu ermöglichen. Wie schnell sich solche Systeme entwickeln und welche Recyclingraten sich tatsächlich erzielen ließen, ist allerdings noch nicht absehbar. Ähnliches gilt für viele weitere dem globalen Komfort potentiell dienliche, aber noch nicht ausgereifte Erfindungen wie etwa die Laborfleischerzeugung.

Es ist nicht das Ende der Demokratie, wenn Waren auf staatliche Anweisung vom Markt ­verschwinden. Auch die meisten Kiffer:innen in Deutschland würden ja nicht so weit gehen, wegen der nun langsam zu Ende gehenden Prohi­bition zu behaupten, sie hätten bis Ende März in einer Diktatur gelebt. So ist es legitim, das Ge­jammer infantiler Machos über das Ende des röhrenden Verbrennungsmotors per demokratischer Mehrheitsentscheidung zu übergehen. Wie aber steht es etwa mit Flugreisen? Wie verhält es sich mit Fast Fashion, dem Statuskonsum armer Leute? Die Degrowth-Bewegung deutet zumeist allenfalls an, wo sie Verzicht für nötig und zumutbar hält.

Ja, es wird kompliziert

Welche Bedürfnisse sollen befriedigt werden und welche nicht? Das muss auch in einer sozialistischen Wirtschaftsplanung geklärt, also demokratisch ausgehandelt werden. Glück – oder bescheidener: Zufriedenheit – ist individuell, es ist jedoch möglich und notwendig, allgemeine Maßstäbe für Fortschritt zu entwickeln. Hier wären unter anderem ökologische Verhältnisse und gesellschaftliche Teilhabe zu berücksichtigen. Statt die Bindung an traditionelle, nicht selten aufgezwungene Gemeinschaften vorauszusetzen, müsste nach persönlichen Prioritäten gefragt werden.

Ja, es wird kompliziert. Dass sich im Rahmen einer globalen emanzipatorischen Bewegung, ohne die notwendige Veränderungen sowieso nicht erkämpft werden können, auch die Bedürfnisstruktur ändert, ein ständig wachsender Zustrom an Konsumgütern also nicht mehr das höchste Ziel sein wird, sollte diese Aufgabe aber erleichtern.

Auch ein planwirtschaftliches System bedarf einer Verrechnungseinheit für Produktion und Austausch, die als ökonomisches Maß aber noch keine Auskunft über ökologische Folgen gibt. Den hinreichenden Ausbau erneuerbarer Energien vorausgesetzt, ginge es vor allem um die Berechnung des Ressourcenverbrauchs, der wiederum von den Fortschritten beim Recycling abhängig ist. Nur so lässt sich ermitteln, wo Mehrproduktion problemlos möglich ist und wo Beschränkungen nötig sind.