Mit dem Auto-Scooter übers Meer

Spanien baut seine Exklaven in Nord-Afrika zu Festungen aus - damit Flüchtlinge künftig draußen bleiben

Die Gruppe ließ sich auch nicht von dem Wachposten aufhalten, der auf dem etwa 30 Meter langen Abschnitt in der Nähe des Grenzpostens Gurugœ patrouillierte und die spanische Exklave Melilla vor "ungebetenen Eindringlingen" aus Nordafrika schützen sollte. Im Morgengrauen durchbrachen die 40 afrikanischen Männer den Drahtverhau und verschwanden im Straßengewirr des Barrio Chino, des zu Spanien gehörenden Landzipfels an der nordafrikanischen Küste. Zwanzig von ihnen wurden nach kurzer Verfolgung von Mitgliedern der paramilitärischen Guard'a Civil festgenommen, ein weiteres Dutzend wurde am knapp zwei Kilometer entfernten Strand von Melilla gefaßt.

Innerhalb von zwei Monaten haben - vor knapp zwei Wochen - zum zweiten Mal afrikanische Migranten versucht, einen der südlichen Schutzwälle der "Festung Europa" zu überwinden. Wenn auch vergeblich. Der Grenzwall von Melilla ist mittlerweile wieder repariert. Die spanische Regierung im fernen Madrid hofft, das Loch in Melilla in wenigen Monaten endgültig abgedichtet zu haben. Umgerechnet knapp 18 Millionen Mark werden in einen doppelten Eisendrahtzaun investiert: Sieben Kilometer lang und vier Meter hoch, bestückt mit Sensoren, kleinen Wehrtürmen und siebzig Kameras.

In Ceuta, der zweiten spanischen Exklave in Nordafrika, ist der Wall schon fast fertiggestellt. Umgerechnet 60 Millionen Mark hat die Errichtung der Befestigung gekostet, teilfinanziert von der Europäischen Union. Die "menschliche Flut aus dem Süden" hat sie jedoch nicht aufhalten können. Die Flüchtlinge aus Sierra Leone, Ghana, die Frauen und Männer aus Burkina Faso, Liberia, Togo, Mauretanien und den Maghreb-Staaten graben sich jetzt unter den Betonplatten und gestaffelten Drahtverhauen durch - in Richtung Norden.

Dazu kommen jene, die in fragilen Nußschalen jede Nacht versuchen, die Meerenge von Gibraltar zu überqueren - dort, wo sich "Afrika und Europa küssen", wie es so romantisch in Touristenbroschüren heißt. Willkommen sind sie nicht - zumindest was die spanischen Behörden angeht. Aber ohne die afrikanischen Armutsflüchtlinge geht auf den Erdbeer- und Gemüsefeldern Andalusiens schon lange nichts mehr. Und von den Minimallöhnen lassen sich in Afrika Familien ernähren. Die Zahl der Flüchtlinge, die über die 13 Kilometer breite Wasserstraße kommen, wächst besonders im Sommer an, wenn die Windverhältnisse einigermaßen stabil sind und die Wellen nicht so hoch schlagen.

Rund 70 000 "Illegale" - nur jeder Siebte wird festgenommen und wieder abgeschoben - reisen nach Schätzungen der spanischen Polizei jährlich durch das Nadelöhr Gibraltar in Juan Carlos' Königreich ein und berappen dafür umgerechnet zwischen ein- und zweitausend Mark. Die Tendenz ist nach wie vor steigend, das belegen die veröffentlichten "Fangstatistiken" der Guard'a Civil: 1996 wurden 339 Boote, "pateras" genannt, abgefangen und 2 960 meist männliche Immigranten verhaftet; 1997 lag die Zahl der Boote bei 399 - mit 3 148 Passagieren. In der ersten Hälfte des laufenden Jahres wurden bereits 289 Boote mit 2 807 Menschen aufgebracht - darunter auch immer mehr Frauen.

Über die Menschen, die bereits im Mittelmeer ihr Leben lassen, gibt es kaum amtliche Zahlen. Viele scheitern schon in marokkanischen Hoheitsgewässern. Die Regierung von Hassans Gnaden schweigt dezent über die an die Strände gespülten Leichen. Die spanische Regierung registrierte 1996 31, ein Jahr später 61 und für das erste Halbjahr 1998 36 auf hoher See Ertrunkene. Allein im Juli ertranken vor der Küste Marokkos 38 "boat people". Den offiziellen Zahlen widerspricht der Sprecher des Verbandes der marokkanischen Arbeitsmigranten in Spanien (ATIME). Nach Informationen von Abdel Hamid Beyuki sind in der Meerenge zwischen Europa und Afrika seit dem Jahreswechsel mindestens tausend Menschen gestorben. Über 800 davon noch in marokkanischen Hoheitsgewässern.

Um die Flüchtlinge aufzuhalten, die sich täglich in Richtung des europäischen Festlandes bewegen, lassen die spanischen Behörden nichts unversucht. Der spanische Gouverneur von Ceuta sorgt wöchentlich für die Zerstörung von 20 bis 30 kleinen Booten mit "illegalen Passagieren", die von seinen Beamten entdeckt werden.

Trotzdem wird jede Möglichkeit genutzt, den "Südwall" zu überwinden. Beim Fest der Schutzheiligen von Ceuta, der Heiligen Jungfrau von Afrika, schnappte Anfang August die Polizei 600 "sin papeles", Flüchtlinge ohne Papiere. 110 wurden von Bord eines Fährschiffes, mit denen die zum Fest angereisten Schausteller ihre Lastwagen wieder nach Spanien transportieren wollten, geholt. Die Frauen und Männer auf der Flucht waren in den zusammengelegten Schaubuden, den demontierten Auto-Scootern und den Stauräumen der Lastwagen versteckt.