Pablo Beltrán

»Die Guerilla ist nicht allmächtig«

Pablo Beltrán ist Sprecher der Nationalen Befreiungsarmee (ELN), einer Guerilla, die etwa 70 Fronten in ganz Kolumbien unterhält. Im Juli hat sich die ELN unter Schirmherrschaft der deutschen Bischofskonferenz mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Kolumbien im Kloster Himmelspforten bei Mainz getroffen, um über den bewaffneten Konflikt zu sprechen (Jungle World, Nr. 30 und 33/98). Seitdem ist die ELN-Delegation in Europa unterwegs. Daß die Guerilla bei ihrer Rundreise auf die Unterstützung des deutschen Kanzleramts und des Agenten Werner Mauss zählen kann, hat in Deutschland Mißtrauen geweckt. Pablo Beltr‡n erklärt die Verbindungen seiner Organisation zur deutschen Regierung sowie das ELN-Projekt einer gesellschaftlichen Debatte ohne Demobilisierung der Guerilla.

Sie haben jüngst von der Möglichkeit gesprochen, Kolumbien in einen Kantonalstaat zu verwandeln. War es in der Schweiz so schön?

Die Eliten in Kolumbien sind bisher davon ausgegangen, daß Verhandlungen und Gespräche mit der Demobilisierung der Guerilla enden müssen. Das Modell des Kantonalstaats diente dazu, ihnen klar zu machen, daß wir bereit sind zu reden, aber nicht zu verschwinden - weder als politischer Akteur noch als bewaffnete Kraft.

Wie kann man Friedensverhandlungen führen und gleichzeitig auf den revolutionären Umsturz hinarbeiten?

Daß wir mit verschiedenen Sektoren des Staates reden, bedeutet nicht die Preisgabe unserer Ziele. Wir kämpfen für die nationale Befreiung, eine sozialistische Gesellschaft und den Aufbau der Selbstverwaltung. Doch dabei kann es ein Zwischenstadium geben, in dem die Eliten anerkennen, daß wir in vielen Regionen eine neue Staatlichkeit aufgebaut haben. Der Dialog steht zudem noch am Anfang. Es gibt bisher keine Vereinbarungen mit dem Staat.

Der deutsche Agent Werner Mauss, der Ihnen bei der Reise geholfen hat, ist als Polizeiagent bekannt, der in den siebziger Jahren gegen die deutsche Linke vorgegangen ist. Wieso unterhält die ELN Kontakte zu einem Spitzel?

Das geht zurück in die achtziger Jahre, als wir Mannesmann angegriffen haben. Das Unternehmen baute eine Pipeline durch Ostkolumbien. Wir verhafteten einige Techniker, bis es zu einer Vereinbarung kam: Mannesmann baute Sozialeinrichtungen und zahlte uns eine Kriegssteuer.

Die deutsche Regierung entsandte Agenten, darunter auch Mauss, um uns zu infiltrieren. Wir waren in ihren Augen eine terroristische Organisation. Die Agenten berichteten jedoch nach Deutschland, daß wir auch politische Konzepte besäßen. Die Bundesregierung begann, uns als politische Kraft anzuerkennen. Natürlich verfolgt sie dabei Staatsinteressen. Aber ihre Einschätzung über uns ist heute anders als vor 15 Jahren.

Welche Beziehungen unterhalten Sie zu Mauss und der deutschen Regierung?

Es gibt in der Bundesregierung Leute, die über das Ausmaß des Staatsterrorismus in Kolumbien besorgt sind. Die kolumbianische Regierung hat an Legitimität verloren. Das verleiht alternativen oder sogar linksradikalen Kräften wie uns Gewicht als Gesprächspartner.

Sie glauben, daß die Bundesregierung die Legitimität der aufständischen Bewegung in Kolumbien anerkennt?

Ja.

Aber doch nicht bedingungslos?

Über die außenpolitischen Ziele hinaus gibt es wirtschaftliche Interessen. Viele europäische Unternehmen würden gern in Kolumbien investieren, trauen sich aber nicht. Europäische Regierungen und Institutionen könnten in Lateinamerika ein Gegengewicht zu den USA darstellen. Wir müssen um Distanz bemüht sein, wenn wir einen Rest von Souveränität verteidigen wollen.

Glauben Sie nicht, daß Mauss eingesetzt wurde, um sie zu manipulieren?

Das ist möglich. Wir unterhalten weiterhin Verbindungen zur Bundesregierung, und das ermöglicht uns, in Kontakt mit anderen offiziellen Stellen zu kommen. Aber die ELN-Delegation in Europa ist hauptsächlich außerhalb Deutschlands aktiv und behandelt Themen, die mit deutschen Interessen nichts zu tun haben.

Wird Mauss weiterhin eine Rolle im Verhandlungsprozeß spielen?

Die Sicherheitssituation des Ehepaares Mauss ist nach dessen Freilassung nicht geklärt worden. Es gab eine Intrige anderer Geheimdienste gegen die beiden, sie können deshalb nicht nach Kolumbien. Das wird ihre Rolle einschränken.

Es heißt, daß die ELN wirtschaftliche Verbindungen zu Mauss unterhalten hat?

Die beiden waren für die Bundesregierung in Kolumbien unterwegs, um sich um Deutsche zu kümmern, die wir festhielten. In dieser Hinsicht haben sie eine Rolle gespielt ...

... eine wirtschaftliche Rolle?

Natürlich. Wie 1984: Mannesmann hat uns eine Steuer gezahlt und Sozialeinrichtungen gebaut.

Wird die ELN mit Mauss weiterhin Lösegeldzahlungen abwickeln?

Bei den Gesprächen in Mainz haben wir darüber geredet, wie eine andere Finanzierung der ELN aussehen könnte. Alle Seiten wollen, daß wir die Entführungen einstellen. Wir haben geantwortet: Die Entführungen sind ein Problem, das andere ist, wie man die ELN finanziert.

Es wurde davon gesprochen, daß es einen von der EU verwalteten ELN-Fonds geben könnte. Eine Guerilla am Tropf ausländischer Regierungen?

Es gibt viele Angebote, auch von der Interamerikanischen Entwicklungsbank, einer Sektion der Weltbank. Als die Vorschläge unterbreitet worden sind, hieß es: "Wer garantiert, daß die ELN mit diesen Geldern nicht offensive Aktionen durchführt?" Aber es müßte heißen: "Warum sollte die ELN aufhören, eine politisch-militärische Organisation zu sein, die strategische Fortschritte zu erzielen versucht?"

Für uns ist es unverzichtbar, weiter offensiv zu sein. Wir sind aber bereit über eine Form der Steuererhebung zu diskutieren, die ohne Festnahmen von Industriellen und Viehzüchtern auskommt.

Sie haben in Genf ein Abkommen mit kolumbianischen Kongreßabgeordneten unterzeichnet, das den Guerilla-Organisationen eine Präsenz bei Parlamentssitzungen zusichert. Die Revolutionären Bewaffneten Streitkräfte (FARC) haben dies abgelehnt. Eine FARC-Sprecherin sagte: "Wenn der Kongreß mit der Guerilla reden will, soll er in die Guerillagebiete kommen."

Das ist eine akzeptable Position, aber nicht die der ELN. Das Internationale Rote Kreuz hat angeboten, den Transport und die Unterkunft der Guerilla-Sprecher zu garantieren. In El Salvador hat das bereits funktioniert.

Was wollen Sie überhaupt im Kongreß? Die politische Klasse Kolumbiens ist doch am Ende.

Wir wissen, was das für ein Parlament ist. Aber auch dort gibt es Leute, die nicht über Stimmenkauf und Klientelismus gewählt worden sind.

In Genf wollten sie wissen, was wir von der Reform des neuen Präsidenten Pastrana halten. Aber eine politische Reform kann es ohne eine Reform der Armee nicht geben. Die aber müßte das Ende des Paramilitarismus mit sich bringen, und das hängt nicht von Pastrana, sondern von den USA ab.

Wir wollten wissen, ob der Kongreß die Paramilitärs politisch anerkennen will. Einige Abgeordnete waren mit uns der Meinung, daß dies inakzeptabel sei, aber daß man dies nicht öffentlich äußern dürfe.

Die Paramilitärs kommen als Gesprächspartner nicht in Frage?

Wenn wir sie anerkennen würden, sprächen wir auch ihre intellektuellen und wirtschaftlichen Hintermänner frei. Eine Amnestie wäre ihnen sicher. Das ist angesichts der Kriegsverbrechen inakzeptabel.

Sie sagen, daß die USA hinter den Paramilitärs stehen. Aber in den letzten Wochen hat die US-Regierung die Absetzung hoher Offiziere und die Auflösung einer Geheimdienstbrigade gefordert.

Es gibt eine Veränderung in der US-Politik. Die USA haben die Generäle im Staatsterrorismus ausgebildet und jetzt, wo sie an Prestige verloren haben, sagen sie sich von ihnen los.

Aber an ihrer Strategie ändert sich nichts. Das Pentagon geht davon aus, daß die kolumbianische Armee von Paramilitärs unterstützt werden muß.

Wie geht es nun im Verhandlungsprozeß weiter?

Wir werden weiter mit Vertretern verschiedener sozialer Sektoren eine Nationalkonvention vorbereiten, die in einem von der ELN kontrollierten Gebiet stattfinden wird. Dort sollen dann auch diejenigen über soziale und politsche Probleme diskutieren können, die in Mainz gefehlt haben und die bisher keine Stimme hatten.

Wir garantieren dort die Sicherheit, verlangen aber von der Regierung, daß es in diesem Zeitraum keine Armee-Operationen gibt. Dafür bleiben wir in Kontakt mit der Regierung und anderen Teilen des Staates.

Von kolumbianischen Linken wurde am Mainzer Treffen kritisiert, daß der Begriff "Treffen mit der Zivilgesellschaft" der offiziellen Sprachregelung entgegenkommt, die von einer neutralen Gesellschaft ausgeht.

Die intellektuellen Hintermänner der Paramilitärs sind neben denen aus der USA einheimische Unternehmer und Viehzüchter. Aus diesem Grund verwendet die ELN den Begriff "Zivilgesellschaft" nicht. Wir reden von der kolumbianischen Gesellschaft. Neutralität gibt es da nicht. Staat und Guerilla kann man ohnehin nicht gleichsetzen. Wir verüben keine Massaker.

Warum sind die Guerillas in Kolumbien eigentlich noch getrennt? Früher galten die FARC als reformistisch und die ELN als ultraradikal, inzwischen agieren die FARC offensiver als die ELN.

Wir sind verwandt, gehören aber zu verschiedenen Familien. Es ist gut, daß es zwei linke Organisationen gibt. Wenn in den Gebieten, wo beide Organisationen präsent sind, eine ihre Macht mißbraucht, beschwert sich die Bevölkerung bei der anderen. Das führt dann zu einer Diskussion, wirkt als Korrektiv. Die Guerilla ist ja nicht allmächtig.