Schoppen und Wahlen

In Deutschlands südlichstem Bundesstaat Bayern soll am 13. September noch vor der landesweiten Wahl ein Regionalparlament bestimmt werden.

Die Bayern müssen im September gleich zweimal an die Urne. Um sich von ihrer Schwesterpartei CDU abzugrenzen, die das konservative Gedankengut in allen anderen deutschen Bundesstaaten vertritt, und um nicht von der abgewirtschafteten Koalition am Regierungssitz Bonn in Mitleidenschaft gezogen zu werden, hat die CSU-Regierung in der bayerischen Hauptstadt München den Termin für die Wahlen zum Regionalparlament, dem sogenannten Landtag, nicht mit dem der nationalen Parlamentswahlen am 27. September zusammengelegt, sondern zwei Wochen vorgezogen - auf den letzten Sonntag der Sommerferien in dem süddeutschen Bundesstaat.

Das hatte außerdem den Vorteil, daß die heiße Phase des Wahlkampfs in Bayern diesmal mit der heißen Phase des voralpinen Sommers zusammenfiel. Denn Parteiversammlungen und Kundgebungen interessieren in Deutschland ohnehin kaum noch jemanden. Da eröffnete das Sommerwetter schon ganz andere Möglichkeiten für die Parteistrategen. Der Wahlkampf in Bayern - das war in diesem Jahr vor allem eine Open-Air-Veranstaltung.

Am Ammersee vor den Toren Münchens war es besonders schlimm. Denn das seenreiche Gebiet westlich der Regionalhauptstadt, wo die Bürger Münchens gerne ihre Wochenenden beim Bier verbringen, bietet viele Möglichkeiten für Polit-Events unter freiem Himmel. Hier kann man die Bayern beim Fahrradfahren und bei Waldläufen beobachten, die Wohlhabenden fliehen hierher vor der Hektik der Landeshauptstadt in ihre Golfclubs und Yachthäfen. Für die Unterschichten muß eine Dampferfahrt und ein Paar der landestypischen Würste ausreichen. In diesem Ambiente bewegen sich die Vertreter der Regierungspartei Christlich-soziale Union (CSU) wie Fische im Wasser - und die Lokalpresse immer hinterher.

Joschka Fischer, prominenteste Figur der oppositionellen Grünen, der im vergangenen Jahr vor allem durch einen sensationellen Gewichtsverlust und seine Wandlung vom Fettklops zum nimmermüden Marathonmann von sich reden machte, blieb auch hier bei der neuerdings für ihn typischen Fortbewegungsart: Rund um den heiligen Berg des Klosters Andechs - Nationalheiligtum und Wallfahrtsstätte der trinkfreudigen Bayern - zog er seine Runden.

Auch auf dem Wasser kämpfte seine ökologische Partei um jede Stimme - mit einer grünen Armada: Unter der Führung der bayerischen Partei-Chefin Ruth Paulig ging's zum Segeltörn auf den Ammersee, und der Parteiideologie entsprechend waren natürlich auch Solarboote dabei. Das Motto der Veranstaltung - "Grüne vor dem Wind" - war treffend gewählt und versammelte all das, was nach Ansicht von Parteikritikern die Politik der Grünen im Wahljahr 1998 auszeichnet: Inhaltslosigkeit und den Willen zur Macht.

Während die Grünen auf dem See um die Stimmen des bootsbesitzenden Mittelstands kämpften, riß sich am Ufer die CSU unter den Nagel, was in Deutschland einst grünes Monopol war: das Fahrrad. Die "Schwarzen", wie die tiefkatholische Regierungspartei genannt wird, radelten, bis die Schwarte krachte. Michaela Geiger, Vizepräsidentin des Nationalparlaments in Bonn, ebenso wie der CSU-Chef und deutsche Finanzminister Theodor Waigel.

Besonders aktiv war Bayerns Umweltminister Thomas Goppel, in dessen Wahl-Bezirk der Ammersee liegt. Er fuhr nicht nur publikumswirksam mit dem Fahrrad rund um den See, sondern lud auch noch zu einer Dampferfahrt ein - um den versammelten Pressevertretern feierlich zu verkünden, wie sauber das einst arg verschmutzte Gewässer doch inzwischen dank seiner Politik geworden sei. Von der rechtssozialdemokratischen Oppositionspartei SPD war dagegen kaum etwas zu hören oder zu sehen. Die deutschen Sozialdemokraten wissen - trotz des Booms, den ihr Spitzenkandidat Gerhard Schröder in den letzten Monaten erlebte -, daß sie weder bei den Bauern noch bei den Gutbetuchten rund um den Ammersee viele Punkte machen können. Sie haben ihr Wahlbüro lieber in der einstigen Bergarbeitersiedlung und roten Hochburg Peißenberg bezogen. Auf Freiluftveranstaltungen wollten freilich auch die Genossen nicht verzichten: Sie lockten mit Funkrock-Konzert und Flohmarkt.

Die Parteien der extremen Rechten setzten dagegen ganz auf klassischen Wahlkampf. Die Briefkästen der Bayern füllten sich mit Flugblättern und Parteizeitungen der diversen Gruppierungen am rechten Rand; an jeder zweiten Straßenlaterne wurde der Untergang des Vaterlandes prophezeit. Doch auch diesmal wird wohl außer der CSU keine rechte Partei in das bayerische Regionalparlament einziehen.

Das liegt nicht nur daran, daß die bayerische Staatspartei sich in der Ausländer- und Sicherheitspolitik längst sämtliche rechtsextremen Forderungen zu eigen gemacht hat. Die Alt- und Neofaschisten sind darüber hinaus einfach zu zersplittert: Da wären einmal die Mir-san-mir-(Wir sind wir)-Faschisten von der Bayernpartei (BP), die "Sozialleistungen, Arbeitsplätze - zuerst für unser Volk" fordern. Die BP hat ihre Klientel vor allem in der ländlichen Bevölkerung und ist nach ihrem fast vollständigen Untergang in den fünfziger Jahren mittlerweile wieder in den Parlamenten einiger Gemeinden und Landkreise vertreten.

Während die BP den rechten Bauern im Visier hat, richten sich die sogenannten Republikaner - der Name der Partei täuscht, in Wahrheit handelt es sich um eine weitere Fraktion der zersplitterten Faschisten - direkt an den rechten Mob. Auf unzähligen Plakaten zeigen die Republikaner "Flagge für Deutschland" und drohen: "Wir halten, was die CSU verspricht".

Daß die dumpfen Parolen der Republikaner gerade bei Polizisten auf fruchtbaren Boden fallen, ist in Deutschland altbekannt. Neu ist allerdings, daß die braune Partei Wahlkampfhilfe von seiten der Politischen Polizei erhält: So wurde in der Grenzstadt Passau eine 16jährige von der Polizei gezwungen, Republikaner-Plakate zu kleben. Die junge Frau war von einem Plakatiertrupp der Partei verdächtigt worden, Republikaner-Plakate beschädigt zu haben. Die Politische Polizei bot ihr schließlich an, auf strafrechtliche Ermittlungen zu verzichten. Als Buße müsse sie allerdings 100 braune Parolen kleben. Als die 16jährige sich weigerte, übten die Polizisten Druck auf die Eltern aus.

Neben Bayernpartei und Republikanern streiten sich weitere, noch obskurere, aber nicht weniger rechte Gruppierungen um das nationalistisch-rassistische Klientel - etwa die "Automobile Steuerzahlerpartei" und die Nadelstreifen-Nazis vom Bund Freier Bürger (BFB), einer Abspaltung der liberalen Regierungspartei FDP. Der einstige Vorsitzende der bayerischen Regionalorganisation der FDP und nunmehrige Chef des BFB, Manfred Brunner, klapperte in den vergangenen Monaten emsig die Säle und Gaststätten der bayerischen Städte und Dörfer ab. Auch am Ammersee lud der "Spezl" (Männerfreund) des österreichischen Neofaschisten Jörg Haider zum politischen Frühschoppen. Doch in den Dießener Gasthof "Drei Rosen" verirrten sich an einem brütend heißen Sonntagmittag gerade mal ein Dutzend Zuhörer. Brunner kam zu spät und mühte sich anschließend vergeblich, sein Publikum vom Hocker zu reißen.

Sein Lieblingsthema - der Euro - hat sich längst erledigt, und in Sachen Ausländerpolitik schafft auch Brunner es nicht, die CSU rechts zu überholen - da half auch alles Geseiere über "kulturelle Identität", "deutsche Interessen" und die angeblichen Gefahren der multikulturellen Gesellschaft nichts. Die neofaschistische Deutsche Volks Union, die auch in Dänemark für Schlagzeilen sorgte, als sie mit einem Ergebnis von mehr als 13 Prozent in das Regionalparlament des ostdeutschen Bundesstaats Sachsen-Anhalt einzog, hat im Gegensatz zu Brunner aus der ungebrochenen Hegemonie der Christlich-sozialen Union am rechten Rand rechtzeitig die Konsequenzen gezogen. Sie tritt in Bayern erst gar nicht an.

Die CSU braucht sich also vor der rechtsradikalen Konkurrenz nur wenig zu fürchten. Gefahr für die absolute Mehrheit kommt eher aus dem konservativ-bürgerlichen Lager. Denn am 14. September treten erstmals die Freien Wähler (FW) zu den bayerischen Landtagswahlen an. Derzeit ist ihr Abschneiden allerdings schwer vorherzusagen. Auf kommunaler Ebene machen diese losen Vereinigungen der CSU zwar häufig die Führungsrolle streitig - so halten zum Beispiel am Ammersee die unabhängigen Wählervereinigungen zwei von sechs Bürgermeisterposten -, und einige der lokal sehr populären FW-Kandidaten hätten sicherlich das Potential, ein Direktmandat zu erobern.

In den Umfragen lagen die Freien Wähler allerdings bis zuletzt weit unter den zum Einzug in das Regionalparlament erforderlichen fünf Prozent. Sollten es die Freien Wähler dennoch schaffen, ins Parlament im Münchner Maximilianeum-Palais einzuziehen, ist die absolute CSU-Mehrheit ernsthaft gefährdet - aber auch nur dann.

Ansonsten besteht lediglich die Gefahr, daß die CSU zwar ihr Wahlkampfziel verfehlt, "50 Prozent plus X" der Wählerstimmen zu erreichen. Im Parlament wird sie vermutlich aber weiterhin die absolute Mehrheit der Mandate behalten. Das empfänden viele Bayern angesichts der zur Schau getragenen Siegesgewißheit von Ministerpräsident Edmund Stoiber, Parteichef Waigel und Konsorten als zwar peinlich, aber auch nicht weiter tragisch. Die schwarze Hegemonie in dem südlichen Bundesstaat, das Karrieremonopol der Regierungspartei CSU über alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung - von der Justiz bis zum Fernsehen - bliebe einmal mehr unangetastet.