Kelly-Fans im Internet

Die furchtbare Familie

Wer gedacht hatte, daß die Zeiten kreischender Mädchen vorbei sind, bloß weil es für die meisten Medien nicht mehr en vogue ist, Teenie-Nervenzusammenbrüche zu zeigen, der hat noch niemals im Videotext des Senders Viva geblättert. Dort findet sich neben den neuesten Nachrichten aus Musik, Film und Mode auf der Seite 620 die Rubrik "Kelly-Fans", in der die Anhänger der furchtbaren Familie glauben, unter sich zu sein.

Die eigene Sprache, in der beispielsweise RP für Rückporto, Pix für Fotos und Konzi für Konzert steht, ist bei weitem nicht das Schönste, was diese Rubrik zu bieten hat, ebensowenig wie: "Tausche Pix gegen selbstgeknüpfte Bändchen (Arm, Bein, Hals, Fuß)".

Und auf der Kelly-Page kann man nicht nur in nüchternem Annoncen-Deutsch an häuslichen Dramen teilhaben ("Wir, eine Familie aus X., verkaufen vier Eintrittskarten für das Konzert am XX in XXX."). Denn dort beschäftigt man sich mit Problemen, die schon zehn Seiten weiter, wo die Freunde der Backstreet Boys zu Hause sind, niemand mehr versteht.

Zur Lieblingsbeschäftigung der Kelly-Seite-Leser dürfte es gehören, Gerüchte aufzubringen. Das ist relativ leicht, man muß nur irgendeinen Unsinn behaupten, die dann sofort einsetzende Aufregung ist kaum zu toppen. Barby H. hatte sich vor zwei Wochen beispielsweise den Unmut der Kelly-Fans zugezogen, weil sie angeblich das Gerücht aufbrachte, daß Paddy (mutmaßlich der Junge mit dem Schweinsgesicht) Selbstmord begangen habe.

"Wer klärt mich über die bösen Gerüchte auf?" fragte eine verzweifelte 15jährige sofort nach - ohne zu ahnen, daß die Kellys dem Rest der Welt nicht so unbekannt sind, daß eine solche Nachricht nicht am nächsten Tag in allen Zeitungen stehen würde . Sie blieb vorläufig ohne Antwort.

Immerhin galt es jetzt, Barby H. fertigzumachen: "Du solltest es mal mit Psychotherapie versuchen!" Ein bißchen später meldete sich die Gerüchteverursacherin selbst: "Warum tut Ihr mir das an?" fragte sie verzweifelt, beteuerte, das alles nicht so gemeint zu haben und appellierte an ihre Mitfans: "Nicht viele haben die Kraft, für die Kellys zu kämpfen, verliert diese nicht!" Barby hatte wohl Glück, denn kaum 14 Tage später ist sie vergessen.

Jetzt gibt es neuen Grund zur Aufregung: Ein Kelly namens Patrick hat eine Freundin, und darf man diese Nicole wirklich ohrfeigen, "nur weil sie Patricks Freundin ist"? Und blamiert man sich mit so einer Aktion nicht eher? Hat man als Fan überhaupt das Recht, sich "in die Privatangelegenheiten der Kellys" einzumischen, die, davon gehen die Schreiber in dieser Rubrik anscheinend aus, täglich den Viva-Text lesen. Und fällt das dort Veröffentlichte schließlich nicht auf alle Fans zurück? "Was sollen die Kellys von uns denken?" Wo sie doch schon genug Probleme haben.

Anscheinend ist ein bisher nicht bekanntes weiteres Familienmitglied namens Adam aufgetaucht, und die Frage, ob er nun auch qua Familiennamen zum Mitsingen berechtigt sein soll, entzweit die Anhängerinnen so heftig, daß eine entnervte Adam-Befürworterin kürzlich schrieb: "Hört doch bitte mit den anonymen Beschimpfungen auf!", während eine andere, in vollkommener Unkenntnis sowohl der wirtschaftlichen Grundbegriffe als auch der derzeitig geltenden CD-Preise mahnte: "Wir kriegen doch schon ihre Musik geschenkt! Ist das nicht genug?" So dürfte auch die Bitte einer Leserin, kaum Erfolg haben: "Suche Brieffreundschaften. Keine Kreischies, die nerven!"