Sound im Getriebe

Die Figur des Alien als Identifikationsobjekt oder Feindbild in der Populärkultur

"Loving The Alien" ist der Reader zu einem Kongreß, der im November 1997 in der Berliner Volksbühne stattfand und so tat, als seien Funk und Diskurs ein mögliches Paar. Im schlimmsten Fall führte das dazu, daß das Sun Ra Arkestra eine Alien-Entführung spielte und die HörerInnen rumstanden und versuchten, den genetischen Code von Cpt. Kirk zu dechiffrieren.

Obwohl diese Veranstaltung nicht die Willkür-Null-Aussagen-Entertainment-Attitüde besaß, wie dies z.B. bei der kürzlich veranstalteten Biennale zu bewundern war, fiel es schwer, diesen Theaterhintergrund, das akademische Reden und den funky-elektronischen Rhythmus in seiner Eigenheit zu respektieren und das gleichzeitig zu denken. Oder, wie Diedrich Diederichsen in der Einleitung des von ihm herausgegebenen Buches anmerkt: "Darf man akademisch über Pop-Musik, Jazz und verwandte Gegenstände reden, oder sind die dafür viel zu vital?"

Zwei weitere Punkte werden von Diederichsen im Vorwort des Buchs problematisiert, durch die schriftliche Form aber nicht gelöst, sondern eher verstärkt: Das ist zum einen die Frage nach der Praxis, die auf dem Kongreß häufig gestellt wurde und die sich in dieser Miefigkeit einfach auch auf die Aushandlung der Idee von einer Gegenuni beziehen konnte. Weil man hier immer erst mal privat kontextualisiert und im Formalen hängenbleibt, um dann keine Zeit mehr für die Inhalte zu haben. Bevor irgendwas in den öffentlichen Raum, in den gesellschaftlichen Diskurs eindringen kann, muß es über Raster und Filter laufen, die das Wissen dann erst vermittelbar machen.

Dabei ist "Loving The Alien" vielmehr ein mapping von tektonischen, klangweltlichen Zeit-/Raum-Kontinuum-Reisen und meint auch: Geschichte re-written aus einer Position des Afro-Futurismus. Hier wechseln rasende Reisegeschwindigkeiten von P-Funk-Universen, dem Triebwerkgeschnaube des Motherships, mit aquatopischer Trance von D&B und Deep House ab. Das Rauschen der Funkverbindungen ist in "Loving The Alien" manchmal lauter als die Kommunikation selbst.

Sun Ra, dessen Futurismus für mehrere Beiträge des Buchs wichtig ist, hat eine Interpretation von Mobilität, die auf Sounds und nicht auf Rohstoffen aufbaut: Reisen durch Musik. Und eben nicht nur innerhalb eines Hippie-Drogen-Revivals als Sinnes- oder Mind-Reise, bei der man mit dem Leib auf dem Flokati bleibt.

John F. Szwed, Sun Ras Biograph, der in "Loving The Alien" über Sun Ras schwarzen Utopismus und den SaturnReturn schreibt, zitiert dazu ein Gespräch mit dem Musiker, der irgendwelchen Berlinern die Kreuzverhör-Fragen zu seinen Outerspace-Reisen beantwortet: "Sie fingen an, mir Fragen zu stellen. Zum Beispiel, wie ich die Schwarzen von diesem Planeten wegbringen wolle. Was für ein Raumschiff ich verwenden würde? Welche Art von Treibstoff ich benutzen würde? Aus welchem Material die Schiffe gebaut sein würden?

Ich antwortete ihnen: Ich habe kein Benzin verwendet. Ich benutze Sound. Ihr habt auf diesem Planeten noch nicht die Stufe erreicht, wo ihr mit Sound eure Schiffe oder eure Autos fahren lassen oder euer Haus heizen könnt. Eure Wissenschaftler sind noch nicht so weit. Aber es wird geschehen. Ihr werdet eine Kassette nehmen und ins Auto einsetzen, und die Kassette wird das Auto zum Fahren bringen - natürlich mit der richtigen Art von Musik. Und es wird nicht explodieren."

Die Alien-Vorstellung existiert nicht nur auf der fiktiven Ebene, auf der Sun Ra seine Kontakte beschreibt, sondern zieht sich als soziale Erfahrung durch nahezu alle Texte, die sich mit der US-amerikanischen schwarzen Bevölkerung auseinandersetzen: "Sie leben", schreibt Mark Dery in seinem Beitrag über Afro-Futurismus, "in einem SF-Alptraum, in dem unsichtbare, aber nichtsdestoweniger undurchdringliche Kraftfelder der Intoleranz jede ihrer Bewegungen blokkiert."

In der Figur des Alien und der Vorstellung von seiner Mobilität kommt sehr Unterschiedliches zusammen; "Aliens" können sowohl die ungeliebten illegalen Migranten sein; "Aliens" meint aber auch eine selbstgeschaffene Identitätsvorlage: Eine mögliche Aufarbeitung traumatischer kollektiver Erlebnisse, die die Urmuster der Identitätsherstellung der schwarzen US- amerikanische Bevölkerung bilden und zur Beschreibung, zur Erklärung oder als Reaktion zum Alien greifen, um ihre Entfremdung sichtbar zu machen und anzuklagen.

Andererseits dient die Figur des Alien dazu, Außerirdische als Täter zu beschreiben, wie etwa in der Verschwörungsschrift der Nation of Islam zu lesen ist, womit sich Mr. Cultural Studies, Paul Gilroy, aber auch Szwed in den Buchbeiträgen auseinandersetzen.

In Kodwo Eshuns Science Fiction-GenTech-Story wird mit der Alien-Werdung ein Überlebensmythos konstruiert. Eshun beschreibt die Drexciyaner, ein Electronic-Music-Duo aus Detroit, als die Nachkommen von Sklavinnen, die in den Black Atlantic geworfen wurden, weil sie schwanger waren und so für die Sklavenhalter unprofitabel waren. Die Kinder dieser Sklavinnen mutierten zu Aliens, die lernten, unter Wasser zu atmen.

Das gleiche Motiv - die Fähigkeit, unter Wasser zu atmen, als eine Form der menschlichen Weiterentwicklung, ein besonderes Können, das erlaubt, späte Rache für erlittenes Unrecht zu üben - findet sich auch bei Edward Georges "Ghost the Signal", hier in der Figur des Sharkman, der 208jährige Onkel von Dr. Octogon, dem multiplen Zeitreisenden, dem black spirit.

Bei Renée Green, die über die Science Fiction-Romane von Octavia Butler schreibt, taucht die Figur der Annie aus der schwarzen oral history "Candyman" wieder auf. Butlers Vorstellung vom Alien bezieht sich weniger auf die schillernden E.T.-Figuren als auf die Idee eines multiplen Wissens des einzelnen, das durch kollektive Erfahrungen aus der Vergangenheit oder minoritären Realitäten angereichert ist und zu Aufklärungsreisen durch Raum und Zeit zwingt.

Obgleich nahezu alle Texte, auch die von Alien-inspirierten und raumfahrenden Musikern, mit einer Mischung aus nichtkategorisierbarem Alien-Sein und einer Fortschritts- und Modernisierungsideologie beschäftigt sind - es gibt immer einen wesentlichen Unterschied zu dem, was WASPs und anderer dominanter Mainstream als eigene Vervielfältigungspraxis ansteuert: Ein Alien ist kein Cyborg. Und Lee Perry, der Dub-I, der stretchende Voodoo-Music-Man, hat ganz real nur ein Vierspurgerät und kriegt die andern zwanzig aus Outer Space. Oder, genauer, wie bei Tobias Nagl zitiert: "Auf der Maschine standen nur vier Spuren, aber ich konnte noch 20 weitere von dem kosmischen Trupp empfangen."

Im Kontext von Technologie und Fortschrittsästhetik erinnert Gilroy an den unauflöslichen Zusammenhang von Aufklärung und Kolonialismus, aus dem die African Diaspora nicht so einfach durch die Übernahme der Produktionsmittel und Verhältnisse oder der Schaffung einer eigenen Cyborggeneration herauskommt, da genau dieses Gesellschaftskonstrukt nicht übertragbar ist. Man kann sich nicht einfach im Hier und Jetzt selbst klonen und das für eine Übermenschenproduktion halten, wie das für den weißen Mainstream - auch durch Cyborgproduktionen - gilt.

Ganz eng lehnt sich daran - als Just-War-Theorie - die "Candyman"-Geschichte an, die in mehreren Aufsätzen einen Bezugspunkt bildet. Der Candyman kommt immer wieder, nicht nur, um die kollektive Ermordung des schwarzen Mannes und die Dämonisierung seines Begehren zu rächen, sondern vielmehr, um die Erinnerung in den Köpfen zu halten. Und das, so weiß man, bedarf meist radikaler Mittel.

Was sich in den Texten von "Loving The Alien" vor allem widerspiegelt, ist das Dilemma, in dem jene gefangen sind, die sich aufmachen, Geschichte zu rekonstruieren, und wissen, daß die Beschreibung der Referenzsysteme aus einem hegemonialen Diskurs stammt, der so etwas wie die Rekonstruktion von tatsächlichen Begebenheiten nicht gerade einfach macht.

Wie soll man etwas über das vorkoloniale Afrika sagen, wenn die Geschichtsschreibung immer noch der Herrschaftslogik folgt? Ähnliche Probleme kennt man aus der radikal-feministischen Herstory innerhalb der Matriarchatsforschung.

Vielleicht ist das Wichtigste an diesem Buch die Erweiterung von Erkenntniswegen, Erklärungsmustern und Bezugssystemen. Es reicht eben nicht aus und reduziert Verstehen und Erleben auf ein unerträgliches Maß, wenn man die Welt allein mit dem Wertgesetz erklären will.

Diedrich Diederichsen (Hg.): Loving The Alien: Science Fiction, Diaspora, Multikultur. ID Verlag, Berlin 1998, 224 S., DM 36