Anna und Arthur schweigen

Fieberhaft sucht die Bundesanwaltschaft in Aachens linker Szene einen dritten AIZ-Mann. Aber niemand will für die Islamisten in den Knast gehen

"Anna und Arthur", diese beiden Szenetypen kann Ottmar Breidling überhaupt nicht leiden. Breidling ist Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf. Als Vorsitzender leitet er seit November 1997 den Prozeß gegen Michael Steinau und Bernhard Falk. Die beiden 31jährigen sind angeklagt, als Mitglieder der "terroristischen Vereinigung Antiimperialistische Zellen" 1994 und 1995 sechs Sprengstoffanschläge begangen zu haben.

Eigentlich reichen Breidling schon die beiden Angeklagten, die mittlerweile zum Islam konvertiert und seit Februar 1996 inhaftiert sind. Der eine, Michael Steinau, wirkt in sich versunken. Er studiert nur noch den Koran, und nach dem letzten Ramadan war er so geschwächt, daß er nicht mehr an der Verhandlung teilnehmen konnte. Den anderen, Bernhard Falk, hingegen nervt Breidling mit der Forderung, sich "auf die Erörterung juristisch relevanter Sachverhalte zu konzentrieren" und den Prozeß "rasch zu beenden". Ellenlange Elaborate über fundamentaloppositionellen Widerstand und die "ethischen Normen des Islam" mußte sich der Richter von Falk anhören.

Und jetzt auch noch der Ärger mit den szenebekannten "Anna und Arthur", die bei Vernehmungen immer "das Maul halten". Zwar waren die beiden vor zwei Wochen nicht in das Sondergerichtsgebäude in der Düsseldorfer Tannenstraße geladen - aber immer präsent. Vorgeladen waren zu einer zweitägigen Vernehmung Frauen und Männer aus Aachen, die die Staatsschutzbehörden dem Umfeld "terroristischer Gewalttäter" zurechnen. Als der erste Zeuge in Begleitung eines Anwalts die Aussage verweigert, herrscht ihn Breidling an: "Das ist hier keine Anna- und Arthur-Veranstaltung."

Eindruck macht er mit dieser Bemerkung bei den ZeugInnen nicht. Diejenigen, die der Vorladung gefolgt sind, verweigern zu fast allen Fragen die Antwort. Nicht von ungefähr, denn Breidling ist neugierig. "Kennen Sie Mitglieder der AIZ?" will er wissen, um dann noch deutlicher zu werden: "Sind Sie Mitglied der AIZ?"

Das Insistieren auf diesen Fragen macht das ganze Dilemma deutlich, in dem sich der Senatsvorsitzende und seine Richterkollegen seit mehr als hundert Verhandlungstagen befinden. Sie sollen über eine "terroristische Vereinigung" urteilen und kennen die dafür juristisch notwendige Anzahl von drei Mitgliedern nicht. Die Frankfurter Rundschau fragte bereits zu Beginn des Prozesses gegen Falk und Steinau: "Waren die führenden Köpfe schon die ganze AIZ?" Und die Bundesanwaltschaft mußte einräumen, daß es ihr trotz umfangreicher, verdeckter Fahndungsmaßnahmen nicht gelungen sei, ein drittes Mitglied der Vereinigung zu ermitteln.

Bisher hat nur Steinau gestanden, an AIZ-Anschlägen beteiligt gewesen zu sein. Ausgerechnet mit dem Hinweis auf die beiden Schweigefiguren "Anna und Arthur" hatte der ehemalige Physikstudent seine Beichte eingeleitet. Er fühle sich nicht mehr an das "linke Schweigegebot" gebunden, verkündete er im September des vergangenen Jahres, sondern nur noch "Allah verpflichtet". Sein islamischer Mitangeklagter Falk hält sich bezüglich der Anklagepunkte "strikt an das Prinzip der Aussageverweigerung".

Für die Verfolgungsbehörden ist das schweigsame Verhalten derer, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft als Mitglieder verdächtigt oder dem Umfeld zugerechnet werden, besonders ärgerlich. Wo soll denn jetzt der "dritte Mann" herkommen? War die Vernehmung in der vergangenen Woche nur ein besonders geschickter Schachzug, um die wackelige 129a-Anklage doch noch wasserdicht zu machen? Nein, meint BAW-Anklagevertreter Peter Ernst. Er sieht in der Aussageverweigerung der ZeugInnen "ein Eingeständnis, in die verbrecherischen Aktivitäten der AIZ verstrickt gewesen zu sein" - zumindest komme es dem doch "sehr nahe". Das Verhalten der ZeugInnen sei "ein Mosaikstein bei der Beurteilung der Verdachtslage". So macht es für den Bundesanwalt Sinn, vor dem Hintergrund des Aussageverhaltens vor dem 6. Strafsenat des Düsseldorfer Landgerichts erneut gegen mehrere AachenerInnen Ermittlungen wegen der "Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung" einzuleiten.

Seit dem Beginn der Fahndung in Sachen AIZ sind jene Frauen und Männer, die in Aachen zur autonomen, antiimperialistischen oder undogmatischen Linken zählen, im Visier der Behörden. Bernhard Falk lebte Anfang der neunziger Jahre in der Grenzstadt und wurde mehrmals bei linken Aktionen festgenommen. Mit Richtmikrophonen, Rundumobservationen und Hausdurchsuchungen rückte man der Szene auf die Pelle und versuchte, Beweise über mögliche AIZ-AktivistInnen zu sammeln.

V-Mann-Führer bemühten sich, Informanten anzuwerben und Spitzel in die Szene einzuschleusen. "Wir sind regelrecht in die Geschichte reinkonstruiert und -gestrickt worden", urteilt ein Aachener, der namentlich nicht genannt werden möchte.

Trotzdem fanden es viele der observierten AachenerInnen am Anfang selbstverständlich, sich solidarisch zu den beiden Inhaftierten zu verhalten. Schließlich kannte man Bernhard Falk: "Uns eint die Repression, die wir erfahren haben", heißt es knapp. Zu den Positionen der AIZ befragt, schaut man nur in verdrehte Augen, niemand will etwas mit den politischen Inhalten der selbsterklärten RAF-Nachfolger zu tun haben, und mit den islamisch-fundamentalistischen Positionen der beiden Angeklagten schon gar nicht.

"Aber", betont eine Frau, "wir lassen uns nicht vorschreiben, mit wem und über was wir uns auseinandersetzen - schon gar nicht vom Staatsschutz oder einem Gericht." Seit dem Beginn des Düsseldorfer AIZ-Verfahrens beobachten deshalb AachenerInnen den Prozeßverlauf, "um mitzubekommen, was alles registriert wurde und wie wir überwacht wurden". Die ProzeßbeobachterInnnen fühlen sich mittlerweile zwischen Baum und Borke. Der Staatsschutz subsumiert sie unter das "Konstrukt AIZ", und in der linken Szene müssen sich "die AachenerInnen" immer wieder fragen lassen: "Wie haltet ihr es mit der AIZ?"

Die einen drohen mit staatlicher Repression, die anderen mit politischer Isolierung. Von den vernommenen ZeugInnen wurde in den letzten beiden Wochen niemand in Beugehaft genommen. Unverfängliche Fragen wurden beantwortet, alles was konkret die Szene und politische Zusammenhänge betraf, mit Aussageverweigerung quittiert. Nicht ganz so, wie es "Anna und Arthur" gehalten hätten, urteilt eine Prozeßbeobachterin, aber "für die AIZ geht wirklich niemand wegen Aussageverweigerung in den Knast".