Hedonismus statt Reformismus!

Von Lafontaine lernen

Wo Schröder an Bonner Zäunen "Ich will da rein" krakeelt hat, da kam aus Oskar Lafontaines Kehle schon nach wenigen Monaten der verzweifelte Schrei: Ich will da raus! Und während der Machtmensch Schröder ungeniert bekanntgegeben hat, das Regieren mache ihm "Spaß", da hatte der Minister der Finanzen einfach keinen Bock mehr - und seine Geringschätzung von Ordnung, Fleiß, Disziplin und vergleichbaren Tugenden des Parteisoldatentums ein letztes Mal unter Beweis gestellt. Es hat ihn einfach nicht mehr angemacht.

Mit seinem Rücktritt hat der SPD-Chef eine Entscheidung von Niveau getroffen. "Käse", so hat Lafontaine einmal geraten, "schmeckt am besten, wenn man ihn zusammen mit einer schönen Frau auf einer grünen Wiese und einem Glas Wein genießt". Seit vergangenem Donnerstag um 17 Uhr 47 kann der 55jährige die Milchprodukte auspacken.

Verdient hat sich der frischgebackene "Privatmann" den Trip in die Toskana allemal. Mehr noch als Jürgen Trittin ist es Lafontaine gelungen, jegliche Illusion über das rot-grüne Projekt an der Wirklichkeit zu blamieren. Der Finanzminister hat dem Primat der Politikverdrossenheit endlich wieder zu seinem Recht verholfen. Wie kein anderer hat Lafontaine die Machtlosigkeit der politischen Elite vorgeführt und damit bewiesen, daß es sich mit der Theorie des jungen Gerhard Schröder vom staatsmonopolistischen Kapitalismus wie mit einem guten Whisky verhält: je älter, desto besser.

Um Verständnis für seine Entscheidung muß Lafontaine nicht lange werben: Wer dem Tod von der Schippe gesprungen ist, dürfte das Leben zu schätzen wissen. Was aber ist das für ein Leben, in dem man Schröder und seinem Personal jeden zweiten Tag die Hand schütteln muß? Ein Blick auf die Kollegen im Bonner Grusel-Kabinett müßte jeden empathischen Menschen dazu veranlassen, Lafontaine das Flugticket in den Süden zu bezahlen: Der Bundeskanzler, bei dem man trotz seinem Faible für die Cohiba an Zigarren-Sex nicht mal im Traum denken möchte; Scharping, bei dessen Anblick man sogar mit der Bundeswehr Mitleid bekommen kann. Kurz: Beim Anblick der rot-grünen Polit-Kriminellen dürfte sich Lafontaine mit melancholischem Bedauern an seine mutmaßlichen Kontakte ins Saarbrücker Rotlicht-Milieu erinnert haben; und im Vergleich zu Hans Peter Stihl, dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, mag selbst die Messerstecherin Adelheid Streidel noch als angenehme Zeitgenossin erscheinen.

Auch in den Hallen der SPD wird nun wieder die Öde Einzug halten: Für die Partei ist die Demission des "gefährlichsten Mannes Europas" ein herber Verlust. Schließlich hatten die Genossen Lafontaine im November 1995 vermutlich nur deshalb zu ihrem Vorsitzenden gewählt, weil er keiner von ihrem Schlage war, sprich: das sozialdemokratische Grundsatzprogramm der Langeweile auf das Angenehmste mißachtet hatte. Weiteres Verdienst Lafontaines: seine wirtschaftspolitischen Thesen! Mit mehr Geldausgaben sind alle Probleme zu lösen - meine Rede. Und außerdem: Wer hat schon eine Freundin, die auf den Namen "Müllary" hört?

Fazit: Die Fahne muß auf Halbmast gehängt werden. Anders als das Ende von Jost Stollmann ist der Abgang Lafontaines ein Verlust für die Weltöffentlichkeit. Schlimmer als "das Erdbeben in Bonn" (Bild) war nur der Tod Leonid Illjitsch Breschnews, die letzte Single-Auskopplung der Spice Girls oder das Ende des Prager Frühlings. Was für den Rest der Legislaturperiode bevorsteht, dürfte an Langeweile nicht zu überbieten sein.

Für jeden aber, der sich der Schröderisierung der Politik, also der Exekution der Erkenntnis, gegen den Willen der Wirtschaft lasse sich dieses Land nicht regieren, nicht anschließen möchte, bleibt Lafontaines öffentlich aufgeführtes Lehrstück von der Unmöglichkeit des Reformismus ein leuchtendes Vorbild. Statt sich als linkes Feigenblatt für rechte Politik herzugeben, hat Lafontaine den stilvollen Abgang ins Privatleben vorgezogen und sich damit um das Prinzip der Aufklärung verdient gemacht. Für Jürgen Trittin jedenfalls gilt: Von Lafontaine lernen heißt siegen lernen. Nur die Besten sterben jung.