Die Rekreation beginnt

Touristen statt Tornados

Grün sind nicht nur die Uniformen der Polizei in Deutschland und die naiven Kriegsgegner in der Partei gleicher Farbe, sondern mittlerweile - bis auf Eichen und Platanen - auch die Bäume. Der Sommer kündigt sich an, und wer dabei nicht sofort an Biergärten, Bauchfreiheit und Badehose denkt, träumt - solange Arbeitsvertrag und/oder Portemonnaie das überhaupt zulassen - vom Urlaub. Urlaub, das sind jene paar Tage im Jahr, in denen man die Arbeitskraft zu rekreieren hat und in denen man all jene Westeuropäer und -europäerinnen zu Gesicht bekommt, die man schon ein Jahr lang vermißt hat. Jedenfalls, wenn man dort hinfliegt, wo alle hinfliegen, weil da fast immer die Sonne scheint. Zum Beispiel Rhodos.

Wenn man also, wie der Flugkapitän nicht müde wird zu betonen, in einem großen Bogen um Jugoslawien herumgekommen, glücklich gelandet und auf dem Neuen Markt der Inselhauptstadt angekommen ist, fallen sie - noch bevor das Gepäck verstaut, die free public toilet benutzt oder nur einmal zaghaft "Kalimera" gestammelt wurde - sofort unangenehm auf: die dickbäuchigen Herren, die mit einer Selbstverständlichkeit und

-gefälligkeit ihren nackten Oberkörper durch die Einkaufszone einer Provinzhauptstadt schieben, als befänden sie sich auf einem sonnigen Berliner Balkon, ungläubig eine Mai-Demonstration beobachtend. Wobei die Burschen natürlich nichts weiter vorhaben, als morgens um zehn Bier, Butter und Brötchen zum Frühstück zu erstehen.

Also fragt sich der geneigte Betrachter der Szenerie: Würden sich die Herren, angenehme Temperaturen vorausgesetzt, ähnlich aufführen, befänden sie sich nicht in einer Club-Med-Touristenhochburg, sondern in Glasgow oder Göteborg, Gelsenkirchen oder Groningen, Gdansk oder Genua? Selbstverständlich würden sie, müßten sie zur selben Zeit nicht wochentags zur Arbeit oder zum gleichnamigen Amt, samstags zum Auswärtsspiel oder zur Autowasch-Anlage und sonntags zur Kirche oder zur Schwiegermutter.

So können sich denn ihre Frauen nur im Urlaub - eben die schönste Zeit des Jahres - öffentlich an die entblößten behaarten Brüste ihrer Männer schmiegen, wenn sie nicht gerade an einem der zahlreichen Plunderläden um billigere Mitbringsel feilschen, ihren Teenie-Söhnen gefälschte Markenklamotten erstehen oder ihren Vorschultöchtern erklären müßten, warum der liebe Onkel immer nur ausländisch spricht.

Hic Rhodus, hic salta! Natürlich gibt es auch andere Urlaubssüchtige, solche, die die Bettenburgen fliehen und über deren Bewohner und Bewohnerinnen lästern. Als da wären die Lehrer und Sozialarbeiterinnen, die mit ihren Mietwagen von einer schicken abgelegenen Pension zur nächsten kurven; da wären die Hippen und die Hippies, die umsonst am Strand nächtigen, in die Büsche kacken und ins Meer pinkeln - alles voll öko, ey! Ökonomisch sinnvoll für die in den Penntüten.

Daß aber die, die sich im abendlichen Tavernenschwatz wegen des Pauschaltourismus um die vermeintliche dörfliche Idylle im besonderen und die Umwelt im allgemeinen sorgen, ziemlich von Neckermann, Fischer Reisen etc. profitieren - das will niemand wissen. Dennoch braucht niemand Marx zu lesen oder Betriebswirtschaft zu studieren, um zu wissen, daß es ohne Bettenburgen keine Charterflüge und ohne Charterflüge keine billigen Last-Minute-Angebote gäbe. Aber so ist das, wenn man sich über Touristen statt Tornados aufregt.