Nie mehr Besserwissen

Siebziger, Achtziger, Neunziger: Schlauer Humor für das Jahr 2000

Es war einmal eine schöne Zeit, in der ging alles bergauf. Die Sonne lächelte mild auf das deutsche Land herab, eine Mauer teilte es zu beider Seiten Freude in jeweils einen bösen und einen guten Teil und in der westlichen Hälfte herrschte eitel Reichtum. Dann fiel die Mauer, die Neunziger kamen, und gute Schuhe machten die Menschen nicht länger mehr zu dem, was sie sein wollten. Die achtziger Jahre waren also tot. Und mit ihnen war die ironisch gebrochene Anverwandlung gestorben, die Trash-Methode. Denn bereits gegen Ende der Achtziger hatte sich abgezeichnet, daß das, was Anfang der Achtziger noch als Subversion firmiert hatte und womit man eine Menge Leute gegen sich aufbringen konnte, längst Teil des Mainstreams geworden war. Jede und jeder wußte mit einemmal, daß etwas "so schlecht ist - das ist schon wieder geil".

Gerade das aber nahm der, rein aus einem ästhetizistischen Überlegenheitsgefühl heraus entstandenen Provokationsform ihren Reiz. Einerseits trennte sie nicht mehr die Eingeweihten von den Uneingeweihten - denn jeder war jetzt irgendwie eingeweiht -, andererseits fühlte sich dementsprechend auch niemand mehr provoziert. Schwierige Zeiten also, wenn man aus einer Empörung heraus Musik machen wollte, ohne sich dabei selbst im Weg zu stehen.Die Schlaueren unter den Schlauen wandten sich daher wichtigeren Dingen zu, den anderen bleiben immer noch Harald Schmidt und Stefan Raab.

Angesichts dieses Umstandes ist es heute, wo sich sogar die Neunziger ihrem Ende zuneigen, ziemlich ungünstig, wenn man King Rocko Schamoni heißt. Beziehungsweise sich so lange so genannt hat, daß der Name jetzt tatsächlich untrennbar mit der Person verbunden ist. Die goldene Zitrone Schorsch Kamerun hatte ein ähnliches Problem, aber er hat es gelöst, indem er sich trotzig zu seinem Namen und Markennamen bekennt und dann doch gleichzeitig die Erwartungshaltung von Trash-Fans nicht im geringsten erfüllt.

Um Rocko Schamoni, der ein verdienter Held aus den Achtzigern ist, steht es leider schlimmer. Denn sein Album "Showtime" zeigt, daß Schamoni noch immer die alten Feinde hat: Hausbesetzer und Kapitalisten - kurz: alle Unlockeren. Noch immer wendet sich Schamoni gegen diese, sei es, daß er sich im Booklet als Werbeträger feilbietet und auf dem zugehörigen Foto von bekannten Markenlabels aus (vermutlich) Schokolade übersät ist. Sei es, daß er auf die Verspießertheit in den "eigenen" Reihen hinweist, indem er ein klassisches linkes Hausplenum vorführt, das beschließt, man solle versuchen, die Besitzenden aus ihren Häusern herauszukuscheln.

Was Schamoni dagegen anzubieten hat, ist die coole, gepflegte Lounge, in der man sich zurücklehnt. Was nicht heißt, daß Rocko Schamoni seinen Frieden mit dem System gemacht hätte. Aber er hat sich in seiner Methode eingerichtet, und als Ofenhocker weiß er nun nicht mehr, was draußen abgeht. Denn es gibt keine zwei mal sieben besetzten Häuser mehr, und auch das Wissen um die Lounge ist nicht wirklich neu. Im Gegenteil, dort sitzt zur Zeit die Neue Mitte. Bei der rennt Schamoni offene Türen ein.

Und was die Texte vorführen, versucht die Musik zu imitieren. Frauenstimmen machen "Schuwapp" und der Bass macht dann "Wuppdich" dazu. Heute klingt sowas nach einem in die Neunziger verlängerten Mißverständnis der Siebziger. Das kann immer noch Spaß machen, nur ist man danach nicht so schlau, wie man sich fühlt. Beim Immer-so-Weitermachen ist Schamoni zu einem Retro-Phänomen geworden. Die Platte ist nur gut, wenn man sie - mit rückwärtsgewandtem Hörvermögen gewissermaßen - als Dokument aus den Mittachtzigern betrachtet.

Die "Showtime" beigefügte zweite CD mit Remixen zeigt, woran es Schamoni mangelt: an dem Wissen um die elektronische Musik und die Notwendigkeit, sich in ihr wieder wie ein Punk zu verhalten. Oder ihm fehlt der Wille, das zur Kenntnis zu nehmen.

Die Nachbearbeitung des Songs "Die neue Generation" durch Karate Timmendorf macht aus dem mäßig lustigen Agit-Rock-Spaß-Original Schamonis einen schönen Schabernack gegen Jung-Hip-Chart-Hopper ˆ la Die 3. Generation. Indem hier die Abfolge aus vermeintlich hartem Reim und weichem Refrain karikiert wird, entwickelt Schamonis eher harmloses Stück plötzlich eine Bedeutung. Gerade durch die in die Gegenwart zielende Parodie wird das erreicht, was dem Schmunzelstück des Originals fehlt. Auch weil Karate Timmendorf diesen HipHop kennen und können. Schamoni dagegen schändet einfach nur Leichen.

Eine völlig andere Methode, kurz vor dem Jahrtausendwechsel schlauen Humor zu beweisen, findet man auf der Platte "Maxi German Rave Blast Hits 3" der Combo Bodenständig 2000. Was dort zunächst wie eine Helge-Schneider-Variante klingt, ist jedoch bei genauerer Betrachtung alles andere als selige Kartoffelsalaterei. Bereits die Musik, eine wilde, aber kaum rückwärtsorientierte Atari-Dudel-Orgie geht brutal an die Nerven. Gleichfalls die Texte: "Wann werdet ihr endlich begreifen / gute Musik macht man nicht nur aus Schleifen" wird als Refrain gesungen, durch den Computer geschickt und selbst in die Runde gejagt. Im gleichen Stück geht es zudem noch um den dümmlichen Aberglauben, ein jeder Musikproduzent sei gleichzeitig DJ oder trage Baseballkappen.

Ein anderes Stück berichtet todernst von dem Wunsch, eine Computer-Schnittstelle zu werden. Die ganze Platte dreht sich um das Versagen des Menschen angesichts der Maschine. Für Techniker eine normale Angelegenheit, für die meisten Hörer jedoch eine erschreckende Botschaft. Durch die Musik und die vorgebliche Albernheit ihrer Texte, erklären sich Bodenständig 2000 selbst zu Spinnern. Spinnern, zu denen ihr Publikum ebenfalls werden muß, da es niemanden hat, der stellvertretend für sie blöd ist. Es hat keine Bühnenshow gesehen, sondern eine Platte gehört.

Genausowenig in die Gartenzwerggalerie der modernen Geschmäcklers passen die Berliner No Underground. Obwohl sie mit ihren allmittwöchlichen Live-Auftritten in dem Club Maria am Ostbahnhof durchaus eine Menge Leute mobilisieren können, fand sich kein Berliner In-Label, das ihre Platte herausbringen wollte. Jetzt, nach einem guten Jahr, ist "Free Transform" endlich auf einem eher abseits der Aufmerksamkeit agierenden Label erschienen.

No Underground bedienen sich zunächst einer der Schamonis durchaus ähnlichen Methode: Sie passen sich diversen Stilen an, um sie dann aber an der einen Stelle zu sehr zu verzerren und an einer anderen den Baß zu tief herunterzuziehen. Heraus kommt ein dynamisch verstöckelter Elektro-Soul-Punk-Bumms, in der Art des trashigen knallbunten und perückenlastigen Covers. Aber mit den Texten zusammengelesen bedeutet das mehr: Das Stück "Shotgun man" etwa faßt alle Rock-Revolution-Lyrik zusammen. Der gesamte Text lautet: "Hey misterbaby / shotgun man / You got revolution / in your hands". So knapp konnten Overall-Pop-Revolutionäre ihre leere Botschaft noch nie zusammenfassen.

Die andere Stücke sind von der gleichen ironischen Macht. Eindeutige Aussagen werden verweigert: Einige der Stücke, die unter dem Begriff "Politics" subsumiert sind, sind Instrumentals. No Underground geben keine Auswegformel, sondern stellen sich der Ratlosigkeit, wie man sich nach dem Ende des schöneren Besserwissens verhalten kann, ohne häßlich und dumm zu werden.

Vor allem die Tatsache, daß weder No Underground noch Bodenständig 2000 auf eine augenzwinkernde Fraternisierung mit ihrem Publikum zählen, entläßt ihre Platten aus dem Trash-Universum. In den Neunzigern, in denen das Konkurrenzdenken gang und gäbe ist, ist für Besseraussehende, -angezogene und -wisser der Raum eng. Sie sind jetzt so viele. Sich da konsequent und ohne Rücksicht auf die eigene Coolness verweigern, ist schon mal ein Anfang.

Rocko Schamoni: "Showtime". Trikont / Indigo. No Underground: "Free Transform". Nois-O-Lution / EFA. Bodenständig 2000: "Maxi German Rave Blast Hits 3". Rephlex / EFA