Große alte Männer

Tränen und Narben

Musik handelt von Gefühl. So schwer das manchmal ist, sich damit anzufreunden - über all den Fragen, was das denn jetzt zu bedeuten haben könnte, was das überhaupt soll und wo das hinwill - zuletzt geht es um Gefühl. Authentizität. Das volle Programm. Hören und weinen.

Terry Callier macht sowas. Wo er die Stimme erhebt, zückt das Publikum die Taschentücher und seufzt Sturzbäche in den Stoff. Schon Mitte der Sechziger war das so, als er für das Jazz-Label Prestige eine Reihe von Stücken aufnahm, die aber, weil Callier mitsamt den Masterbändern in Richtung Süden verschwand und nach Mexiko ging, erst 1968 unter dem Titel "The New Folk Sound Of Terry Callier" erschienen. Doch obwohl seine Mischung aus Soul und Folk eigentlich einen der Zeitnerven traf, blieb Callier nur ein lokale Chicagoer Größe. Dort trat er regelmäßig auf, schrieb Stücke für alle möglichen anderen Gruppen, schaffte es selbst aber nie, größer herauszukommen. So wurde er Computerprogrammierer und sang nur noch für seine Familie.

Seit einigen Jahren zeigt er sich jedoch wieder, hat eine neue Platte aufgenommen und singt davon, daß im Leben viele Sachen unsicher sind, wie etwa das Wetter und die Jahreszeiten, und daß einem eigentlich nichts übrig bleibt, als sich an den kleinen Dingen zu freuen, wie an Rosen auf dem Wasser oder einer Frau, die für einen tanzt, oder Regentropfen im Sonnenschein. Das alles dargeboten als eine Mischung aus Soul, Folk und Jazz, nur er, seine Gitarre und eine sparsame Instrumentierung drumherum. Und alles ist garantiert kitschfreie Zone. Nur schön und wahr und traurig.

"Sugar, life is hard / out on Sunset Boulevard" - das glaubt man nur jemanden, der dort schon vor 25 Jahren Staub geschluckt und in irgendwelchen Pinten geklampft und gesungen hat. Oder "Truth and doubt go hand in hand / in our society", dafür muß man schon das eine oder andere Mal über den Tisch gezogen worden sein, um dann, im Lichte des zeitlichen Abstands, über die Narben zu streicheln.

Davon dürfte auch Louie Austen einige haben: und das nicht nur, weil er auch mit 53 Jahren noch regelmäßig in die Boxhalle geht, trainiert und sich haut. Eigentlich genießt er aber den Ruf des Frank Sinatra von Wien. Als er sechs Jahre alt war, so geht das Gerücht, hörte er einen Schlagersänger, sah die tollen Frauen um ihn herum und beschloß: So will ich auch werden. Mit Anfang Zwanzig verließ er Wien für die Vereinigten Staaten, um es dort als Crooner zu versuchen. Mittlerweile verdient er sein Geld damit, in Wiener Bars und Hotels zu singen - vor allem in der Bar des Mariott. Er beherrscht mehrere Hundert der amerikanischen Standards und hat tatsächlich eine Stimme wie Sinatra.

Der Wiener Technoproduzent Mario Neugebauer, selbst ein ausgewiesenes Rauhbein, lernte Austen in der Boxhalle kennen. Doch so überzeugend die "I'm a drinker, I'm a pretender"-Rat Pack-Phrasen aus der Plüschecke gestolpert kommen und ihre gelockerte Krawatte zeigen, und so gut die Stimme in einigen Stücken mit und gegen Neugebauers Holperbeats harmoniert, in den meisten Stücken schüttet die Elektronik Austens wunderschöne Stimme leider mit Sound zu.

Terry Callier: "Lifetime". Blue Thumb / Universal.
Louie Austen: "ConseQuences". Cheap Records / neuton