Von Stadtschweinen und Visakarten

Das Sparkassen-Magazin Berliner Akzente widmet sich den wichtigen Dingen des Lebens: Badeseen und Kreuzworträtseln

Warum Banken und Sparkassen annehmen, eine ihrer Hauptaufgaben sei die Unterhaltung der Kundschaft, ist völlig unklar. Dennoch leistet sich mittlerweile fast jedes Geldinstitut eine eigene Hochglanzzeitschrift, die dort ausliegt, wo früher schlecht aufgemachte, aber höchst informative Broschüren wie "Das Börsen-ABC", "Der Immobilienberater" oder "Insolvenzrecht, leicht gemacht" angeboten wurden.

Bei der Berliner Sparkasse glaubt man sogar, daß der Kunde schon im Vorraum beim Warten auf den Ausdruck des Kontoauszugs tödlich gelangweilt werde, daß er einen sofortigen Bankenwechsel in Betracht ziehen könnte, falls sich ihm nicht die Möglichkeit bietet, aus mindestens drei Zeitschriftenhaltern jeweils ein Exemplar der Berliner Akzente herauszuziehen.

Daß "das Kundenmagazin der Berliner Sparkassen" (Untertitel) für Abwechslung sorgt, ist allerdings unwahrscheinlich. Selbstverständlich möchte man im Journal auf keinen Fall irgend etwas abdrucken, wovon der Kunde schlechte Laune bekommen könnte. Denn dies ist die Berliner Akzente-Welt, in der Börsencrashs, Veruntreuung von Kundengeldern oder bankrott gegangene Investment-Fonds einfach nicht existieren. Auch Bankräuber-Portraits wird man hier vergeblich suchen, obwohl sich dafür dieses Medium als nahezu ideal anböte.

Aber nicht alles ist böse, was sich außerhalb der mittlerweile auch in ruhigen Gegenden demonstrativ mit Wachschutz-Senioren behüteten Berliner Sparkassen-Filialen befindet, und diese Dinge zu entdecken, hat sich Berliner Akzente auf die Seiten geschrieben. Schon beim Aufschlagen offenbart sich ein raffiniertes Konzept: Die Umschlagseiten ergeben ein großes Sparkassen-Poster, das leicht herauszulösen ist und zu Hause aufgehängt werden kann. Und auf Seite drei tobt der Frohsinn: zwei ausgelassen wasserspritzende Frauen in Badebekleidung. Sie sollen Appetit auf einen Artikel über das Dahme-Seegebiet machen. Dort ist es wunderschön, mit "artenreicher Flora und Fauna".

Den Eindruck, ihre Kunden mit solchen Tips zum Jobschwänzen verführen zu wollen, räumt Chefredakteurin Anette Keil jedoch schon im Editorial aus: "Sommerwetter am Wochenende und keine Idee, wo's hingehen soll?" fragt sie und betont subtil, daß das Dahme-Gebiet "die Alternative für alle gestreßten Großstädter" sei - für Menschen, die in der Woche lieber baden gehen, als Überziehungszinsen abzuarbeiten, wird das Magazin auf keinen Fall gemacht. Und auch nicht für diejenigen, die in irgendeiner fünften Etage einer Mietskaserne wohnen.

Im Beratungsteil befaßt man sich jedenfalls nicht mit den dort auftretenden Schwierigkeiten, sondern u.a. mit "Stadtschweinen", einem sehr ernsten Problem. "Daß man am Morgen den Kopf aus der Tür hinausstreckt und einem Wildschwein in die Augen blickt, das kommt in Stadtrandgebieten immer häufiger vor", und das ist eigentlich auch ein Skandal, der in den Medien sträflich vernachlässigt wird. Aber die Berliner Akzente kümmern sich aufopferungsvoll um das die Terrassen vollscheißende Kleinwild.

Ein Fünf-Punkte-Katalog erklärt

das Wichtigste "im Umgang mit Wildschweinen", die zwar durch Lärm vertrieben, aber auch mit einfachen baulichen Maßnahmen abgeschreckt werden können: "Empfehlung: Maschendraht mit einer Maschenweite von 50 Millimetern und einer Drahtstärke von 2,8 Millimetern, 1,50 Meter Zaunhöhe - mindestens 30 Zentimeter in die Erde eingelassen und nach außen umlegen."

Dem Kunden Dinge beizubringen, ist ein großes Anliegen des Magazins. Und wenn man damit auch noch für eigene Dienstleistungen werben kann, dann wird schon mal eine ganze Seite für das Verkünden des eher simplen Umstands, daß man mit der Visa-Karte nun auch im Ausland telefonieren kann, freigeräumt. Denn obwohl sie in gehobenen Lagen zu wohnen scheint, ist die Sparkassen-Kundschaft ein bißchen schwer von Begriff. Deswegen wird das Karten-Thema, in einen lockeren Text verpackt, zu einem Programm mit mehreren Lernschritten. Am Anfang trifft der Ich-Erzähler Felix auf die freudestrahlende Bine. Die hat nämlich etwas herausgefunden: "Wenn wir im August nach Italien fahren, dann benötige ich kein Kleingeld mehr fürs Telefon!" Felix staunt: "Ach, nehmen die Apparate jetzt auch Scheine?" Nein, erklärt ihm Bine, "meine Visa-Karte von der Berliner Sparkasse!" Das verwundert Felix, denn "eine Visa-Karte ist doch keine Telefonkarte!" Und so geht es weiter, bis der dumme Felix endlich kapiert hat und Bine einen Kuß gibt: "Du bist wunderbar!"

Es folgt der nächste Kurs, diesmal ein zweiseitiger Einführungslehrgang im Geldabheben. Die Step-by-step-Instruktionen sollen den Sparkassenkunden dazu befähigen, auch nach Geschäftsschluß an Bargeld zu kommen. Und nicht nur das: "Über 640 Kontoauszugdrucker der Berliner Sparkasse informieren über den aktuellen Stand der Dinge." Und das ist ganz einfach: "Einfach Karte in den Schlitz stecken und schon wird der Auszug gedruckt."

Das begeistert die Macher von Akzente: "Besonders erfreulich ist, daß die Nutzung der Geräte für Kunden der Berliner Sparkasse kostenfrei ist" - womit der Geldautomat eindeutig einen Vorteil gegenüber Flipper- und Kickerautomaten hat. Wer jetzt immer noch nicht kapiert hat, wie's geht, hat die Möglichkeit, sich diese wie auch andere Instruktionen per Fax-Abruf nach Hause schicken zu lassen.

Auf Texte über die Besonderheiten Berlins folgen Texte über die Besonderheiten der Stadtsparkasse. Dann wird es wieder ernst, denn nun ist Grunderwerb angesagt. Ein kleiner Vordruck soll es dem potentiellen Immobilienkäufer leicht machen, dem Wildschweinterror am Stadtrand zu entkommen. Eine Seite weiter kann man sich schon mal angucken, wo: In Mariendorf lockt ein weißer Flachbau aus dem Jahr 1954 mit Granitboden, in Tegel eine Doppelhaushälfte mit Wannenbad, in Mahlsdorf ein Baugrundstück mit Abrißlaube. Und für den, dem das alles nicht gefällt, gibt es auch noch Eigentumswohnungen in Marbella, in einem deutlich als Modell zu erkennenden Terrassenbau.

Am Schluß gibt es natürlich auch ein Kreuzworträtsel. Und hier haben die Zehlendorfer die Nase vorn. Gleich zwei schafften die richtige Lösung - "SB-Service" - und damit den Gewinn von zwei Eintrittskarten für das Finale der German Open im Tennis. Woher die Gewinner der Kreativpreise, Wolfgang Kutta, der ein Gedicht einsandte, und Marlene Mex, die eine "selbstgestaltete Lösungskarte" schickte, stammen, wird leider nicht verraten.

Das Rätsel des Juli-Hefts, für dessen Lösung Eintrittskarten für Die Stachelschweine winken - "Seit 50 Jahren strapaziert das literarische Kabarett Die Stachelschweine die Lachmuskeln seines Publikums" -, ist ziemlich vertrackt. Denn Akzente will nicht nur "Gattung der Birkengewächse" wissen, sondern auch "mit großem Fleiß und Eifer Arbeitende" und "weiblicher Mischling", Worte also, die außerhalb von Zehlendorf niemand kennen dürfte.

In der nächsten Ausgabe der Akzente werden sich dann wieder interessante Themen finden. "Die Geschichte von Wilmersdorf" etwa, "Bad Saarow-Pieskow", "Mehr Flexibilität beim Kapitalsparen" und - eine große Geschichte über das Berliner Kabarett Die Stachelschweine. Als Sparkassenkunde muß man eben hart im Nehmen sein. Aber der Klientel anderer Kassen geht es ja auch nicht viel besser. Zum einen geben praktisch alle Geldinstitute eigene Gute-Laune-Zeitschriften heraus, und zum anderen ist ja auch noch gar nicht raus, ob Banken, die sich nicht mal ein eigenes Kundenmagazin leisten können, überhaupt zu wirtschaften in der Lage sind.