Ein gutes Gefühl

Asienpfanne V: Die philippinische Ökonomie hat den Asien-Crash relativ gut verdaut. Und die Slums wachsen weiter

Auf dem Papier ist sie eine westeuropäische Gemeinschaftsinitiative, real eher ein deutscher Vorposten: die European Chamber of Commerce of the Philippines. Der Geschäftsführer der Kammer heißt Henry Schumacher, ein Deutscher. Und "deswegen ist die Handelskammer in Manila mehr oder weniger unsere Vertretung", heißt es bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHT) erfreut - auch wenn die anderen EU-Staaten das gar nicht so gern sehen.

Die Niederlande hatten 1998 nach Angaben der Kammer beispielsweise ein größeres Handelsvolumen mit den Philippinen, sie waren im vergangenen Jahr nach den USA und Japan wichtigstes Exportland des südostasiatischen Inselstaates. Und auch die Warenausfuhr nach Großbritannien war fast doppelt so umfangreich wie nach Deutschland. Aber Schumanns Geschäftsführerposten macht sich bezahlt: Bei den Importen der Philippinen sind deutsche Firmen europäischer Spitzenreiter. Dennoch liegen die Deutschen hinter den USA, Japan, Südkorea, Singapur und anderen asiatischen Staaten. Die DIHT weiß auch, woran das liegt: weil "sich so wenige deutsche Unternehmen um die Geschäftsmöglichkeiten in den Philippinen kümmern, die nach wie vor bestehen".

Dabei gilt das Land bei den deutschen Wirtschaftsexperten geradezu als Musterknabe: Vor mehr als zwei Jahren noch versuchte die philippinische Zentralbank vergeblich, mit Stützungskäufen den - eigentlich seit 1992 allein marktbestimmten - Kurs des Peso stabil zu halten, gab diesen Versuch nach elf Tagen aber auf; und die Währung verlor im Zuge des asiatischen Börsencrashs etwa zwei Fünftel an Wert. Derzeit aber ist die DIHT optimistisch: "Die Philippinen haben die Asienkrise besser als die Nachbarn überstanden."

Der allgemeine Aufwärtstrend, den Wirtschaftsberater und die Research-Abteilungen der großen Banken den Philippinen bescheinigen, gilt aber längst nicht für alle Branchen. Die Autoindustrie etwa hat auf den Inseln große Absatzprobleme. Den meisten Leuten fehlt schlicht das Geld. Von Januar bis zum August dieses Jahres sind die Verkaufszahlen um ein Drittel gesunken.

Kein Wunder. Denn durch den - von dem 1986 gestürzten Diktator Ferdinand Marcos eingeleiteten - Modernisierungskurs hat die Bevölkerung auf den Philippinen einfach andere Sorgen: Am Rande der Hauptstadt Manila sind große Slums entstanden, die Lebenshaltungskosten stiegen in diesem Jahr bereits um rund acht Prozent - bei gleichbleibenden Löhnen und einer wachsenden Zahl Arbeitsloser (derzeit elf Prozent der Erwerbsbevölkerung), für die es auf den philippinischen Inseln ebensowenig Absicherung gibt wie in anderen Tigerstaaten.

Der seit dem vergangenen Jahr amtierende Präsident Joseph Estrada gibt sich als "Freund der Armen", handelt aber bei der Verwaltung der Krise autoritär. Streiks von Hafenarbeitern im Mai dieses Jahres wurden von der Regierung als "illegal" bezeichnet, und flugs wurden Aufstandsbekämpfungseinheiten mobilisiert. Die von den Gewerkschaften geforderte Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes von derzeit knapp 200 Pesos (das sind etwas mehr als fünf Euro) lehnte er rigide ab. Und er versucht, die Presse des Landes mundtot zu machen. Die Tageszeitung Manila Times verklagte er nach der Veröffentlichung eines regierungskritischen Textes auf Schadensersatz in Millionenhöhe und erreichte damit die Einstellung des Blattes. Gegen den Philippine Daily Inquirer läuft ein von Estrada initiierter Anzeigenboykott.

Besonders stolz präsentierte der populistische Staatschef im Februar gar die erste Hinrichtung seit der Marcos-Diktatur: Es sei "ein gutes Gefühl", die Vollstreckung eines Todesurteils anzuordnen, sagte Estrada der Presse und ließ es sich nicht nehmen, die Tötung eines der Vergewaltigung verurteilten Mannes für sein Image als politischer Saubermann auszuschlachten.

Mit den islamischen Rebellen im Süden der Inselrepublik hat Estrada sich zwar auf eine gemeinsame Erklärung zum beiderseitigen Friedenswillen geeinigt, aber Kritik an der Regierung des autoritären Populismus wächst dennoch. Zum Jahrestag der Verhängung des Ausnahmezustandes durch Marcos am 21. September 1972 demonstrierten am Dienstag vergangener Woche landesweit über 100 000 Menschen gegen die Politik Estradas. Sie sehen in dessen Versuch, die Machtposition des Präsidenten durch eine Verfassungsänderung auszubauen, den Beginn einer neuen Diktatur.

Die wirtschaftlichen Aussichten des Landes beeinträchtigt das freilich nicht. Die Außenstände bei ausländischen Schuldnern sind im Vergleich zu anderen südostasiatischen Ländern eher gering: Mit rund 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sind sie etwa nur halb so hoch wie etwa in Thailand, Singapur oder Malaysia. Und um den mit weniger als zwölf Prozent der Gesamtverbindlichkeiten relativ niedrigen Anteil der sogenannten faulen Kredite dürfte so manches Nachbarland die Philippinen beneiden.

Schon früher hatte das Land, dessen über 7 000 Inseln zusammen eine etwas kleinere Fläche einnehmen als Deutschland, in Asien Modellcharakter. Die USA - sie hatten 1898 die frühere spanische Kolonie übernommen - sicherten 1946 bei der Entlassung des Landes in die Unabhängigkeit dem ausländischen, insbesondere US-amerikanischen, Kapital die Möglichkeit zu Investitionen auf den Inseln, wodurch sich ein reger transpazifischer Handel entwickelte - basierend auf dem Export von Elektronikprodukten "made in the Philippines", die im vergangenen Jahr immerhin mehr als die Hälfte der Exporteinnahmen ausmachten.

Völlig zufrieden sind aber auch die ausländischen Investoren nicht mit der Politik Estradas. Der Abbau protektionistischer Schranken, den der Präsident zur Jahreswende öffentlich als "Fortschritt für die Armen und die Wirtschaft" verkaufte, zieht zwar viele Unternehmen an: Shell ist bereits das größte Mineralölunternehmen im Land, der französische Mischkonzern Vivendi, der deutsche Waggonbauer AdTranz, die spanische Baufirma Union Fenosa und der britische Energiegigant National Power haben größere Investitionen anvisiert. Es bleibt die Befürchtung, der populistische Estrada könnte sich als Unsicherheitsfaktor erweisen, etwa durch die Durchsetzung neuer protektionistischer Maßnahmen. Und Experten der Deutschen Bank kritisieren das hohe Haushaltsdefizit.

Zur vom Internationalen Währungsfonds geforderten Reduzierung des Haushaltsdefizits, über die Vertreter des Fonds und der Regierung in dieser Woche beraten sollen, hat er eine ganz besondere Idee: Das bei Schweizer Banken deponierte Vermögen des Ex-Diktators Marcos (ca. 12,7 Milliarden Euro) solle zwischen dessen Witwe Imelda und der Regierung geteilt werden. Verdient hätte er's: Der heutige Präsident gehörte zu den cronies seines Vorgängers, die an dessen brachialer Modernisierungspolitik nicht schlecht verdienten.

Und mit Imelda Marcos verbindet Estrada noch etwas anderes: Beide sorgen sich rührend um die verarmte Bevölkerung. Als die Diktatorenwitwe im Sommer mit einer zweitägigen Riesenparty ihren siebzigsten Geburtstag feierte, verteilte sie an einige Schaulustige kleine Säcke mit Reis. Sie trugen die Aufschrift: "Mit Liebe von Imelda".