Weight Watching Vladimir

Die slowakische Regierung ist in der Krise. Vladimir Meciar freut sich schon auf eine Machtübernahme

Gerade als sich Johannes Rau gemeinsam mit seinem slowakischen Amtskollegen Rudolf Schuster im Präsidentenpalast zu Bratislava slowakische Köstlichkeiten probierte, saß einer zu Hause und durfte nicht mitessen: Ex-Premierminister Vladimir Meciar wurde zum Staatsbankett Mitte September nicht eingeladen.

Statt dessen nutzte er den Besuch Raus zu einem seiner vielen PR-Einfälle: Der ohnehin von leichtem Übergewicht geplagte jetzige Oppositionschef kündigte an, in einen Hungerstreik zu treten. Er fühle sich persönlich von der neuen Regierung verfolgt und seine Mitstreiter der Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS) würden die harte Hand des Staatsapparates fühlen: "Die Polizei agiert als höriger Erfüllungsgehilfe der Regierung", jammerte Meciar.

Ein Mittel gegen die Verfolgung hatte Meciar auch schon parat: "passiven Widerstand". Nicht von ihm selbst, sondern von der Bevölkerung. Die Bürger, erklärte Meciar, dürften nicht darauf hoffen, daß ihre Lebensbedingungen sich durch "Spekulationen im Parlament" verändern würden. Proteste, Petitionen, Versammlungen sowie Streiks seien die Mittel, mit denen man sich gegen die Regierung wenden müsse. Die HZDS werde die Proteste dann organisatorisch ordnen. Der Hungerstreik sei sein persönlicher Beitrag zum Protest.

Doch der Mann wird sich schonen müssen. Schließlich plant er eine Stärkung des eigenen politischen Gewichtes. Für Oktober nämlich erwartet der vor ziemlich genau einem Jahr abgewählte Ex-Premier Neuwahlen. Die Umfragen der letzten Wochen bestätigen zumindest die Sehnsucht der Slowaken nach einem politischen Wechsel: 30 Prozent würden derzeit die HZDS Wladimir Meciars wählen, die in der Regierungskoalition tonangebende Slowakische Demokratische Koalition (SDK) würde nur auf 13 Prozent kommen.

Die Spekulationen des Hungerkünstlers Meciar auf Neuwahlen sind nicht einmal so absurd. Der Ex-Premier setzt auf die Zerstrittenheit innerhalb der Koalition und könnte recht damit haben. Besonders innerhalb der SDK, einem Bündnis aus fünf recht unterschiedlichen Parteien, werden die Fliehkräfte stärker. Zwischen Premier Mikulas Dzurinda und dem Chef der in der SDK aufgegangenen Christlich-Demokratischen Bewegung (KDH), Jan Carnogursky, hat sich in letzter Zeit ein Kräftemessen um die Vorherrschaft in dem Parteienbündnis entwickelt.

Carnogursky kündigte an, die KDH werde die nächsten Wahlen im Jahr 2002 wieder als eigenständige Partei bestreiten. Im Gegenzug erklärte Dzurinda, er werde wieder der KDH beitreten. Der Hintergrund der Rückkehr Dzurindas: Er möchte Carnogursky ausbremsen und damit die SDK als mehr oder minder homogenes Bündnis retten. Eine Strategie allerdings, die wegen der Emanzipationsversuche der anderen vier SDK-Gründungsparteien nur punktuell wirksam sein könnte: Inzwischen sprechen sich die Vertreter aller in der SDK vertretenen Gruppen dafür aus, aus der Partei SDK ein lockeres Bündnis zu machen.

Einen Einblick in die chaotischen Zustände gibt der Abgeordnete der Demokratischen Union (DU), Jan Budaj: "Die Fraktion der SDK funktioniert schon jetzt nicht mehr wirklich. Die Abgeordneten benehmen sich nicht, als würden sie alle zu einer Partei gehören. Jeder versucht, den Einfluß seiner eigenen Gruppierung zu vergrößern." Ähnlich sieht es auch ein Kommentator von SME, einer der größten Tageszeitungen der Slowakei: "Ich denke, die SDK ist am Ende."

Eine Degradierung der Partei zur Fünf-Parteien-Koalition aber könnte die anderen Mitglieder der Regierungskoalition in Bratislava erzürnen: Der stellvertretende Vorsitzende der koalierenden Demokratischen Linken (SDL), Peter Weiss, warnt: "Wir werden nicht zulassen, daß die SDK sich wieder aufsplittert. Die einzelnen Gruppierungen sollten sich darüber klar sein, daß es eine höhere Verantwortung gibt als die für die eigene Gruppierung: das Funktionieren der slowakischen Regierung."

Ein frommer Wunsch von Weiss, aber im derzeitigen Stadium möglicherweise vergebens: Erst vor knapp zwei Wochen wurde die Koalition von einem argen Krach gepeinigt. Während die in der SDK befindliche DU forderte, bei der anstehenden großen Privatisierung auch alle strategisch wichtigen Staatsbetriebe für ausländische Investoren unbeschränkt freizugeben, stemmte sich die SDL dagegen. Eine Kompromißlösung hielt gerade mal zwei Tage.

Auch die linksliberale Partei der bürgerlichen Einheit von Staatspräsident Rudolf Schuster scheint das Gemetzel auf den Regierungsbänken satt zu haben: "Ich bin sehr unzufrieden mit dem Status der Koalition. Wir müssen hart arbeiten, um die Unterstützung der Wähler nicht zu verlieren", meint etwa der stellvertretende Premierminister Pavol Hamzik.

Diese Unterstützung der Wähler ist aber größtenteils schon dahin. Schließlich ist die Arbeit des Staatssanierers nach einer für die Slowakei ruinösen Meciar-Ära eine undankbare Aufgabe. Das erhoffte Wirtschaftswachstum ist wegen der umfassenden Sparmaßnahmen der Regierung Dzurinda vorerst ausgeblieben, die Arbeitslosigkeit hingegen ist binnen eines Jahres von knapp 14 Prozent auf 18 Prozent gestiegen. Und so werden zunehmend wieder Stimmen laut, die sich die Abgewählten wieder an die Macht wünschen.

Da nützt es der neuen Regierung auch wenig, wenn sie außenpolitisch einen Erfolg nach dem anderen einfährt. US-Präsident William Clinton hatte dem slowakischen Premier Dzurinda Mitte September in Washington versichert, die Slowakei sei eines der nächsten Länder, das der Nato beitreten könne.

Und auch das schier endlose Warten auf die EU könnte jetzt beendet sein. Am 13. Oktober werden die Slowakei und die EU in Helsinki noch einmal verhandeln, im Dezember schließlich könnte das Land in die Gruppe der ersten Beitrittskandidaten aufrücken, versicherte vergangene Woche ein Sprecher des Europarates.

Gelobt wurden vom Europarat insbesondere Fortschritte bei der Unabhängigkeit der Gerichte, der Umsetzung von Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs, bei der Pressefreiheit und beim Ausbau der kommunalen Selbstverwaltung. Das Monitoring-Verfahren, eine Art intensiver Beobachtung eines potentiellen EU-Beitrittskandidaten, sei bei der Slowakei nun abgeschlossen, hieß es aus Brüssel. Der EU-Botschafter in Bratislava, Wilhelm Rochel, versicherte denn auch umgehend: "Die Slowakei ist das natürliche nächste EU-Mitglied."

Lediglich eine winzige Sache könnte den Beitritt noch wesentlich verzögern: Kurz nach den Wahlen im September 1998 hatte Premier Dzurinda versprochen, das als unsicher geltende Atomkraftwerk von Bohunice schon im Jahr 2000 zu schließen, jetzt aber soll der Reaktor sowjetischen Typs noch bis zum Jahr 2006 weiterlaufen.

Das traditionell Kernenergie-feindliche Österreich hat schon seinen Widerstand dagegen angekündigt. Die österreichische Staatssekretärin im Außenministerium, Benita Ferrero-Waldner, ließ mit der Drohung aufhorchen, sie könne sich einen Beitritt der Slowakei zur EU nicht vorstellen, solange Bohunice nicht vom Netz genommen werde.

Der wirkliche Gau aber droht ohnehin nicht von Bohunice, sondern mit der Zerstrittenheit der Koalition und der abermaligen Machtübernahme durch Vladimir Meciar. So sitzt beim nächsten Rau-Besuch vielleicht schon Mikulas Dzurinda zu Hause vor dem Fernseher und darf nicht am opulenten Mahl im Präsidentenpalast von Bratislava teilnehmen.