Der Geist von Bangkok

Die Unctad-X-Konferenz stand ganz im Zeichen der gescheiterten WTO-Verhandlungen von Seattle.

Das Ergebnis des Treffens in Bangkok war mager: eine Absichtserklärung. Aber nach der gescheiterten WTO-Konferenz

in Seattle Anfang Dezember wurde schon das von manchen Teilnehmern als Erfolg gewertet. Am vergangenen Samstag ging die zehnte UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) mit der Verabschiedung eines 52seitigen Aktionsplanes und der Bangkok Declaration zu Ende. Unctad-Generalsekretär Rubens Ricupero beschwor zum wiederholten Male den »Geist von Bangkok« und bezeichnete die Konferenz als einen wichtigen Schritt für zukünftige transparente und offene Verhandlungen im Handelsbereich.

Supachai Panitchpakdi, der thailändische Gastgeber und designierte neue WTO-Generaldirektor, sprach gar von einem »Heilungsprozess« nach Seattle. Trotz dieser positiven Bilanz liege eine Neuauflage von Seattle in weiter Ferne - so sah es auch WTO-Generalsekretär Mike Moore in seiner Pressekonferenz am Rande des Treffens -, zu groß seien noch die Differenzen bei einigen Kernthemen. 190 Staaten gehören der Unctad an, die als wichtiges Forum eines Dialogs zwischen Industrie- und Entwicklungsländern gilt. Einfluss auf die Regeln des internationalen Handels hat die Organisation aber nicht; die werden von der Welthandelsorganisation (WTO) festgelegt.

Die Streitpunkte in Bangkok waren die alten. Wie in Seattle wehrten sich viele Entwicklungsländer mit Nachdruck gegen die Verknüpfung von Handelsfragen mit Arbeits- und Sozialstandards. Martin Khor vom Third World Network warnte, dass die Industrieländer solche Vereinbarungen benutzen könnten, um protektionistische Maßnahmen zu ergreifen.

Strittig war auch, ob der Zugang für die Produkte der ärmsten Entwicklungsländer - den so genannten Least Developed Countries (LDC) - zu den Märkten des Nordens erleichtert werden solle. Wie schon in Seattle verweigerten sich die meisten EU-Länder einer Öffnung ihrer Märkte. Der EU-Kommissar für Entwicklungshilfe, Poul Nielson, lehnte Kritik an der EU-Position mit der Begründung ab, dass die Europäer sich nicht hinter den USA und Japan verstecken müssten - eine schwache Ausrede für die protektionistische Agrarpolitik der EU.

Generell sind die Formulierungen im verabschiedeten Aktionsplan, der die Aufgaben der UN-Organisation für die nächsten vier Jahre definiert, sehr vage gehalten. Rubens Ricupero ließ aber keine Zweifel aufkommen, dass er vorhat, den Plan progressiv auszulegen. In seiner provokativen Abschlussrede im Plenum verortete er die Aufgabe der Unctad nicht mehr in der reinen Konsensbildung zwischen den Mitgliedsländern, sondern in »policy advocacy« für die Interessen der Entwicklungsländer. Das dürfte in den Industriestaaten, insbesondere den USA, nicht auf Begeisterung stoßen.

Eher schon bei denen, die protestierten. Zwischen 500 und 2 000 DemonstrantInnen - arbeitslose Industriearbeiter, landlose Bauern und Slumbewohner - waren es, die täglich bei glühender Mittagshitze vor dem Konferenzzentrum gegen die Politik der WTO, des IWF und der Weltbank demonstrierten. Die Proteste waren von der thailändischen Basisbewegung, der »Versammlung der Armen« und 16 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) organisiert worden. Um Widerstand wie in Seattle im Keim zu ersticken, setzte die thailändische Regierung 7 000 Polizisten ein. Eine üppige Anzahl, war doch neben der öffentlichen Verbrennung von Bildern der Chefs von Weltbank, IWF und WTO eine Sahnetorte im Gesicht des IWF-Chefs die radikalste Protestmaßnahme gewesen.

Bereits im Vorfeld der Konferenz hatte die thailändische Polizei Razzien und Straßenkontrollen durchgeführt. Zudem wurden Büros thailändischer NGOs durchsucht, die sich für die Befreiung Myanmars von der dort herrschenden Militärjunta einsetzen. 3 000 Menschen, darunter viele aus Myanmar, wurden zeitweilig unter haarsträubenden Bedingungen inhaftiert, um die Straßen Bangkoks von potenziellen Unruhestiftern zu säubern. Die armseligen Behausungen gegenüber dem modernen Tagungszentrum, in denen 700 Menschen wohnen, wurden vorsorglich hinter großen grünen Wänden und Blumenkörben versteckt.

Mit dem Rückenwind von Seattle war die internationale NGO-Szene mit ca. 100 Aktivisten verstärkt vertreten. In den Tagen vor Beginn der Konferenz hatten diese gemeinsam mit den thailändischen NGOs und Basisbewegungen einen Forderungskatalog für Unctad-X aufgestellt. Eine Kernforderung war u.a., Verhandlungen über landwirtschaftliche Themen aus dem WTO-Zuständigkeitsbereich herauszunehmen.

Aber selbstkritisch stellten einige NGO-Vertreter fest, dass sie schlecht vorbereitet nach Bangkok gekommen waren. Vom Ausgang der WTO-Konferenz überrascht, fehlte vielen Aktivisten eine klare Strategie, um den bei der letzten Unctad-Konferenz vor vier Jahren erkämpften Spielraum effektiv zu nutzen. Dafür durften die NGOs das Wort ergreifen - erstmals auch im Plenum. Nicht einmal die Forderung des philippinischen Soziologieprofessors und Direktors von Focus on the Global South, Walden Bello, nach Stärkung der Unctad gegenüber der WTO war unumstritten. Sie wurde von vielen NGO-Vertretern als unrealistisch abgelehnt.

Die meisten OECD-Länder hatten keine hochkarätigen Delegationen nach Thailand geschickt. Die US-Delegation wurde beispielsweise von Harriett Babbit, einer Verwaltungsbeamtin aus dem Büro für Internationale Entwicklung, angeführt - ein klares Signal der Geringschätzung der USA für die oft als Sprachrohr des Südens bezeichnete UN-Organisation.

Aber auch die rot-grüne Bundesregierung blieb der Linie der Vorgängerregierung treu und schickte lediglich die beiden parlamentarischen Staatssekretäre Siegmar Mosdorf (Bundeswirtschaftsministerium) und Uschi Eid (BMZ) für jeweils knapp zwei Tage nach Bangkok. Dennoch konnte aufmerksamen Beobachtern nicht entgehen, dass fast alle EU-Länder nach dem Scheitern der WTO-Konferenz von Seattle ihre Delegationen aufgestockt hatten, um »behutsam« für das Ziel einer umfassenden neuen Verhandlungsrunde zu werben - so ein Mitglied der deutschen Delegation. Staatssekretär Mosdorf plädierte sogar für die Aufnahme neuer Verhandlungen über ein multilaterales Investitionsabkommen (MAI) und empfahl den Entwicklungsländern den ungehinderten Kapitalverkehr als wichtiges Instrument der Standortwerbung.