A Hetz auf dem Heldenplatz

Die Großdemonstration gegen die schwarz-blaue Koalitionsregierung in Wien war zumindest zahlenmäßig der bisherige Höhepunkt der neuen Protestbewegung.

Eine Viertelmillion Menschen ging in Wien vergangenen Samstag gegen die schwarz-blaue Regierung auf die Straße. Kanzler Schüssel ist's freilich wurscht - sein größter Feind scheint ohnehin die EU zu sein. Und Haider wäre nicht Jörg, hätte er nicht auch für die groß angekündigte Demonstration gegen Schwarz-Blau eine Erklärung auf Lager gehabt. Erbost ließ er verlauten, minderjährige Lehrlinge seien von der Gewerkschaft »gekauft« worden, um an der Demonstration teilzunehmen.

Viel Aufmerksamkeit konnten ihm die Organisatoren der Kundgebung allerdings nicht widmen, beschäftigt waren sie nicht nur mit der Koordination der Menschenmengen, sondern vor allem mit deren Unberechenbarkeit. Obwohl Wien schon ähnlich große Veranstaltungen erlebt hat, lief es diesmal ein wenig anders ab. Denn mit dem Bekanntwerden der FPÖVP-Regierung formierte sich eine Art Widerstandsbewegung, wie sie das träge, verschlafene Österreich bisher nicht kannte.

Keiner wusste so recht, wer die Bewegung war, wer sie anführte, was sie dachte. Selbst ein Aktivist der ersten Stunde, Kurt Lanzerstorfer, ist sich des Gründungsdatums nicht ganz sicher: »Chaostheoretisch betrachtet, war sicherlich die zufällige zeitliche Parallelität der Besetzung der ÖVP-Zentrale am 1. Februar durch eine Aktion von 40 Einzelpersonen und die tags darauf angemeldete SOS-Mitmensch-Demo ausschlaggebend.«

Wie sich diese neue Bewegung zusammensetzt, kann auch Lanzerstorfer nur ungefähr abschätzen: »Es dürften etwa 20 trotzkistische, kommunistische, grüne und sozialdemokratische Gruppierungen sein, aber auch viele Schüler und Studenten.« Mit den großen Demo-Organisatoren wie SOS-Mitmensch oder der Demokratischen Offensive haben diese Leute nichts am Hut. Politisch vereinnahmen lässt sich die Bewegung nicht: »So ein loses und breites Bündnis schränkt die Spontaneität von Demonstrationen ja nicht ein«, erklärt Lanzerstorfer. Im Gegenteil: »Es ist vielmehr die Basis für deren Entfaltung.«

Neu sind auch die Kommunikationstechniken, die binnen weniger Stunden problemlos mehrere Tausend Menschen mobilisieren können. Neben der Short-Message-Variante, die über Handys läuft, steht vor allem eine Internet-Homepage als Symbol für unorganisierten Widerstand: www.gegenschwarzblau.net. Auch diese Web-Site enstand so, wie ihre Bewegung - zufällig. Lanzerstorfer: »Ich war am Dach der ÖVP-Zentrale, da rief mich ein Freund an und fragte, ob er so etwas einrichten solle. Warum nicht, habe ich gemeint. Das war auch am 1. Februar.« Seitdem dient www.gegenschwarzblau.net als Hauptinformationsquelle für Aktivisten und Interessierte - die Anzahl der Hits ist längst sechsstellig.

Die Ansammlung von Menschen am Heldenplatz vergangenen Samstag beeindruckt den Aktivisten Lanzerstorfer nur wenig: »Die Demo war ein Pro-EU-Spektakel mit vielen prominenten Rednern und wenig Platz für Einzelne, sich zu entfalten.« Dass so viele Leute gegen die neue Regierung auf die Straße gehen, freue ihn zwar, doch: »Ein inhaltlicher Höhepunkt der Protestbewegung war dieser Tag sicherlich nicht.«

Am Wiener Heldenplatz, wo Adolf Hitler im März 1938 den Eintritt seiner Heimat in das Deutsche Reich meldete, roch es zu Beginn wieder ganz nach der Pop-Konzert-Idylle vergangener Großdemonstrationen. Auf der Bühne wurde gedichtet, was das Zeug hielt, man war »stolz« auf das »wahre Österreich« und das Publikum schwenkte dazu Fackeln und trällerte mit Plastikpfeifchen - es gutmenschelte, dass sich die Balken bogen.

Vor allem der aus der Fernsehserie »Der Bergdoktor« berüchtigte Harald Krassnitzer erwies sich auf dem Heldenplatz als flammender Redner und sorgte für nahezu ekstatische Begeisterung: »Wacht endlich auf!« beschwor er die im Wachkoma befindliche SPÖ, und: »Verabschiedet euch von euren Machterhaltungssystemen - und euren Golfschlägern!«

Krassnitzer machte damit immerhin auf ein Problem aufmerksam, das ansonsten auf der Demonstration kein Thema war: Sollte nämlich der Wunsch derer, die sich nach baldigen Neuwahlen sehnen, in Erfüllung gehen, droht der Alpenrepublik unter Umständen auch ein zweites blaues Auge. Denn die SPÖ ist als Oppositionspartei de facto noch nicht existent, die ÖVP laut Umfragen bis auf 20 Prozent gefallen und die Grünen zwar um vieles stärker, aber nicht stark genug, um ein wirklicher Machtfaktor zu sein. Es bedarf keiner mathematischen Höchstleistung, um sich vorzustellen, dass die Haider-FPÖ dann weit oberhalb der 30-Prozent-Marke landen würde und sich der Bärentaler endgültig in der Regierung etablieren könnte.

Bundeskanzler Schüssel sieht das natürlich anders. Er meint, ewig werde diese Demonstriererei ja nicht anhalten. Menschenfreund, wie er nun mal einer ist, gestand er es den »Altlinken, der 68er-Generation und den Internet-Freaks« allerdings zu, sich noch einmal »richtig auszutoben«. Dann müsse wieder Schluss sein. Schließlich wolle man, so Schüssel, endlich durchstarten und allen beweisen, wie tüchtig eine österreichische Regierung sein kann, wenn man sie nur einmal machen ließe.

In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung ging Schüssel sogar noch einen Schritt weiter. Er habe ein Gutachten, das ihm bestätige, was er schon seit längerem vermutet habe: Die EU-Sanktionen gegen sein Vaterland Österreich stünden auch rechtlich im Widerspruch zum Geist der Unionsverträge. Hinter all dem steckt, davon ist die ÖVP mittlerweile ebenso überzeugt wie die FPÖ, eine weltweite linke Verschwörung. Auch der neue Vorsitzende der SPÖ, Alfred Gusenbauer, soll dazugehören. Der Senkrechtstarter sah sich schon in den ersten Stunden in seinem neuen Tätigkeitsbereich mit einschlägigen Vorwürfen konfrontiert.

Der Schriftsteller Doron Rabinovici, der in seiner Rede von einer Koalition zwischen »Machtgier und Rassismus« sprach, kündigte weitere Proteste gegen Schwarz-Blau an: »Von nun an wird jeden Donnerstagabend eine Demonstration auf dem Ballhausplatz stattfinden. Der heutige Tag ist kein Finale, sondern eine Zwischenbilanz. Unser Protest geht weiter.«