Missing in Action

1973 wurde der US-Linke Charles Horman von Pinochets Schergen ermordet. Neue Dokumente belegen eine Beteiligung der CIA.

Manche Toten lassen ihre Mörder nicht zur Ruhe kommen. Charles Horman ist einer von ihnen. Um die Aufklärung der genauen Begleitumstände seines Todes vor mehr als 26 Jahren wird weiterhin gestritten. Dokumente, die die Clinton-Administration im vergangenen Herbst freigegeben hatten, legen nahe, dass Pinochets Putschisten den US-Staatsbürger 1973 mit Wissen der CIA umbrachten. Ein Teil dieser Dokumente war schon 1980 deklassifiziert, heikle, insbesondere Horman betreffende Stellen waren jedoch geschwärzt worden. In der vorvergangenen Woche hat die New York Times die Affäre in einem langen Hintergrundartikel erneut aufgegriffen.

Der Zeitpunkt dieser Veröffentlichung ist günstig: In diesem Frühjahr sollen der Öffentlichkeit weitere brisante, bislang geheim gehaltene Papiere zugänglich gemacht werden, die Aufschluss über die Rolle der USA beim Militärputsch Pinochets geben. »Die Welt hat das Recht zu wissen, was damals passiert ist«, hatte US-Präsident William Clinton am 8. Oktober 1999 nach dem in Großbritannien gefällten Auslieferungsurteil gegen den chilenischen Ex-Diktator Pinochet erklärt.

Im Februar 1999 hatte der Präsident auf Druck nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen das so genannte Chile Declassification Project angekündigt. Clinton versprach, dass das US-Außenministerium und die Geheimdienste Dokumente über die Hintergründe des Putsches in Chile sammeln und freigeben würden. Ende Juni 1999 wurde vom State Department die Sperrung der ersten 5 800 Dokumente aufgehoben, Anfang Oktober 1999 die von weiteren 1 100 Akten.

Die bisher veröffentlichten Dokumente beweisen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch eindeutig, dass sowohl das US-Außenministerium unter Henry Kissinger als auch die CIA während und nach dem Umsturz in Chile genauestens über Pinochets terroristische Repressionspolitik gegen Oppositionelle informiert waren.

Lateinamerika-Experten wie Peter Kornbluh vom regierungsunabhängigen Washingtoner National Security Archiv kritisieren, dass sich bislang nur das State Department an die Anweisung des Präsidenten gehalten habe. »Die Sicherheitsfanatiker in der Nationalen Sicherheits-Bürokratie blockieren die Freigabe aller Dokumente, die das volle Ausmaß der amerikanischen Rolle beim Militärputsch in Chile erkennen lassen«, schrieb Kornbluh in der Washington Post. Schon bei der Freigabe der ersten Akten im Juni hätten Hunderte wichtiger Papiere gefehlt.

Im Gegensatz zu Tausenden anonym gebliebener Opfer wurde Charles Hormans Name weltbekannt. Zu verdanken ist dies dem mit einem Oscar ausgezeichneten Film »Missing« (1982) von Constantin Costa-Gavras. Er erzählt die Geschichte von Hormans Vater, der sich zusammen mit seiner Schwiegertochter Joyce in Chile auf die Suche nach dem während des Pinochet-Putsches verschwundenen Sohn macht. Der Film beruhte auf dem Buch »The Execution of Charles Horman. An American Sacrifice« des Anwalts Thomas Hauser.

Horman, ein junger Journalist und Filmemacher aus New York, wurde von Pinochets Schergen am 20. September 1973 im Nationalstadion der chilenischen Hauptstadt Santiago erschossen. Er war Anfang der siebziger Jahre aus Sympathie für Salvador Allendes sozialistisches Experiment nach Chile gegangen und hatte in Santiago mit dem ebenfalls von den Putschisten ermordeten Frank Teruggi an einem Newsletter mitgearbeitet, in dem kritische Beiträge zur US-Politik in Chile veröffentlicht wurden.

Thomas hatte für sein vier Jahre zuvor erschienenes Buch sorgfältig recherchiert, Namen genannt und die enge, immer wieder abgestrittene Zusammenarbeit zwischen CIA und chilenischem Geheimdienst belegt. Er präsentierte obendrein einen Zeugen: Raphael González, einen chilenischen Geheimdienstagenten, der bei der letzten Vernehmung von Charles Horman als Übersetzer herangezogen worden war. González hörte den Hinrichtungsbefehl und machte unter den Anwesenden bei der Vernehmung einen US-Amerikaner aus.

Während das Buch 1978 jedoch ohne Resonanz blieb, sah sich das das State Department nach Costa-Gavras' Film zu einer Stellungnahme gezwungen, die aber offensichtlich nur dazu diente, die wahren Vorgänge um die Ermordung Hormans und Teruggis zu verschleiern.

Erst mit der Verhaftung Pinochets im Oktober 1998 in London kam wieder Bewegung in den Fall. Im Oktober 1999 wurde Hormans Witwe Joyce eine Kopie eines Schreibens des State Department an Harry Shlaudeman, Staatssekretär für inneramerikanische Beziehungen in der Regierung Ford, ausgehändigt. In dem Brief, datiert vom 25. August 1976, heißt es wörtlich: »Es gibt Indizien, die nahe legen, dass US-Geheimdienste bei Hormans Tod eine unglückliche Rolle gespielt haben könnten. Im günstigsten Fall beschränkt sich diese Rolle auf die Überbringung oder Bestätigung von Informationen, die geholfen haben, die chilenische Regierung zu motivieren, ihn zu ermorden. Im schlimmsten Fall war den Geheimdiensten klar, dass die chilenische Regierung Horman für eine Bedrohung hielt, ohne dass von amerikanischer Seite etwas gegen das vorhersehbare Resultat der chilenischen Paranoia unternommen wurde.«

Ein einziges Dokument sei für einen mit Sicherheit aufwendigen zweiten Prozess gegen die US-Regierung zu wenig, meinte Joyce Horman bei einem Gespräch in ihrer Wohnung in der New Yorker Upper East Side. Sie hatte bereits 1978 gegen Außenminister Henry Kissinger geklagt, die Klage jedoch wieder zurückgezogen, als deutlich wurde, dass sie ohne schriftliche Beweismittel keine Chance haben würde.

Hoffnungen setzt Joyce Horman heute auf Außenministerin Madeleine Albright. Am 2. November letzten Jahres hat Horman einen Brief an Albright geschrieben, in dem sie die Ministerin dazu auffordert, ihrer Familie kraft des seit 1998 geltenden Geheimdienstgesetzes die zurückgehaltenen Dokumente zukommen zu lassen. In dem Jungle World vorliegenden Papier heißt es: »Bislang hat die CIA kein einziges Dokument veröffentlicht. Auch die National Security Agency hat eine Akte über den Fall Horman, aber daraus wurden keine NSA-Unterlagen freigegeben.«

Ein Sprecher der CIA bestritt nach Angaben der New York Times vom 13. Februar eine Verwicklung des Geheimdienstes in den Fall Horman und kündigte an, man werde das bei einer Veröffentlichung neuer Dokumente im Frühjahr belegen können.