Nicht ohne ihren Schleier

Aus den iranischen Parlamentswahlen sind die Unterstützer von Präsident Khatami gestärkt hervorgegangen. Ob die von ihnen versprochenen Reformen auch bei den Frauen im Iran ankommen, bezweifeln viele.

Können Sie sich vorstellen, wie albern es ist, mit 72 Jahren noch als Prostituierte beschimpft zu werden?« Simin Behbahani lacht, aber es klingt etwas gequält. In der Wohnung der Lyrikerin in einem Hochhausblock im Herzen Teherans hängt ein wunderschönes Bild. Es zeigt die junge Simin Behbahani mit einem rosa Tüllschleier, aus dem ein glückliches Gesicht mit verträumten Augen lacht. Der Schleier war damals nur eine Pose, wie eine Phantasie von Scheherezade sah sie darin aus. Mit der Wesirstochter aus »Tausend und einer Nacht« wurde die Lyrikerin, die im vergangenen Jahr den Carl-von-Ossietzky-Preis verliehen bekam, in ihrem Leben oft verglichen.

Seit langem ist der Schleier jedoch kein Accessoire mehr, sondern bittere Pflicht. Sobald Behbahani die eigenen vier Wände verlässt, muss sie ihn überstreifen - und aus rosa Tüll sollte der Schleier auch nicht gerade sein. Ihre romantische Poesie gilt den Hütern von Ordnung und Moral im Mullah-Staat als Pornografie. Nur eines ihrer Bücher konnte bislang unzensiert im Iran erscheinen, sie schreibt das dem Reformkurs von Präsident Mohammad Khatami zu.

Zum ersten Mal seit der islamischen Revolution 1979 ist sie am vergangenen Sonntag wieder wählen gegangen. Der Erfolg des Khatami-Lagers freut sie: Kamen die Anhänger einer gemäßigten Liberalisierung nach ersten Auszählungen doch auf 70 Prozent der Stimmen. Nicht, dass sie die Auffassungen Khatamis völlig teilen würde - schließlich ist auch er ein islamischer Geistlicher. Aber sie zieht das kleinere Übel vor.

Wie viele intellektuelle Iraner sieht die Poetin zum ersten Mal seit der Revolution einen Hoffnungsschimmer. »Wissen Sie, der Iran kann keine Revolution mehr verkraften, der lange Krieg hat die Leute mürbe gemacht, unsere Wirtschaft liegt am Boden. Es muss ein langsamer Transformationsprozess einsetzen, und Khatami scheint gewillt, das zu versuchen.« Als Vorsitzende des iranischen Schriftstellerverbandes hat sie mehr als einmal um ihr Leben gebangt, vor allem nach der Mordserie an Intellektuellen in den vergangenen Jahren, die dem iranischen Geheimdienst zugeschrieben wird.

Kritischer sind da die jugendlichen Anhänger des Khatami-Blocks. »Wir lieben dich, Khatami«, singen die Jugendlichen in einem Kulturzentrum im Norden Teherans im Chor. Adressat ist nicht der Präsident, sondern sein jüngerer Bruder Mohammad Reza Khatami. Der vierzigjährige Arzt ist der erklärte Star, obwohl er eher bescheiden auftritt.

Khatami ist schon seit langem in der Politik, er gehörte mit zu den Studenten, die 1979 die Besetzung der amerikanischen Botschaft und die Geiselnahme organisierten, hatte mehrere Ämter im Staatsapparat, war Berater des Gesundheitsministeriums und Berater seines Bruders. Im Parlament wird er eine der wichtigsten Stimmen des Pro-Khatami-Blocks sein.

Ob sie ihre Versprechungen diesmal denn auch in die Tat umzusetzen gedächten, fragt ein Student aus dem Publikum und spielt auf die zäh verlaufenden Reformen des Präsidenten an, der sich in den vergangenen drei Jahren seiner Amtszeit immer wieder vom mehrheitlich konservativen Parlament gängeln lassen musste - und dessen Gesetzentwürfe reihenweise abgelehnt wurden. Zwei Innenminister wurden durch ein Misstrauensvotum der alten Madschlis abgesetzt. Der populäre Bügermeister von Teheran, wichtiger Teil des Khatami-Blocks, landete sogar für einige Monate im Gefängnis und verlor sein Amt.

Eine Studentin erzählt nach der Ansprache Reza Khatamis, dass sie die Willkürherrschaft der alten bärtigen Männer satt sei. Auffällig ist trotzdem, dass viele der Mädchen hier schwarze Schleier tragen. Doch das liegt vor allem daran, dass die an vielen Hochschulen immer noch Pflicht sind.

Die Parlamentsanwärterin Jamileh Khadiwa, eine der populärsten Frauen aus dem Khatami-Block, empfängt im Tschador; an der Wand ihres Wahllokales hängt ein Konterfei Khomeinis und seines Nachfolgers, des jetzigen religiösen Führers, Ayatollah Chamenei. Khadiwa ist dagegen, dass das Blutgeld für die Tötung einer Frau um ein Vielfaches geringer ist als für die eines Mannes. Das einseitige Scheidungsrecht der Männer findet sie auch nicht gut. Trotzdem erzählt sie das Märchen eines perfekt organisierten Tagesablaufs einer islamistischen Karrierrefrau.

Khadiwa kommt aus einer reichen Bazari-Familie, dem traditionellen Geldadel Teherans. Die promovierte Politikwissenschaftlerin berät den Präsidenten in Frauenfragen und Medienpolitik. Sie ist vor allem gegen die willkürliche Strafverfolgung von Schriftstellern und Journalisten. Es müsse ein überschaubares Strafverfahren geben. Die Idee, dass Menschen überhaupt nicht für ihre Ansichten strafrechtlich verfolgt werden sollten, teilt sie jedoch nicht, schließlich sei der Iran ein islamisches Land.

Auch Ebrahim Yazdi, Vorsitzender der von den Wahlen ausgeschlossenen Freiheitsbewegung, hat ein ambivalentes Verhältnissen zu den unüberschaubaren Regeln und Gesetzen im Iran. Seine Freiheitsbewegung unterstützt Präsident Khatami. Der inzwischen verstorbene Vorsitzende, Mehdi Basargan, war der erste Premierminister der islamischen Republik gewesen, Politiker der Freiheitsbewegung hatten vor der Revolution die Gespräche mit dem Ayathollah Khomeini in Paris aufgenommen.

Das waren noch Zeiten. Damals verkündete Khomeini, die Frauen hätten nicht um ihre Freiheiten zu fürchten. Die Freiheitsbewegung fiel in Ungnade, als Basargan sich von der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran 1979 distanzierte und von seinem Amt als Premier zurücktrat. Ihr Vorsitzender Yazdi unterstützt den islamischen Staat - nur die Macht der Geistlichkeit müsse begrenzt werden. Auch vor Yazdi sitzt man als Frau brav mit Kopftuch und Mantel auf gediegenem Mobilar und fragt sich, wie denn der Herr während seiner langen Amerika-Aufenthalte die Präsenz geballter unverschleierter Weiblichkeit ertragen haben mag. Freiheit bezieht sich für diese Bewegung vor allem auf die Freiheit des Marktes, ansonsten will man eine Begegnung mit dem Westen ohne Assimilationserscheinungen.

Shirin schaut mich traurig an. Sie war zur Zeit der Revolution 25 Jahre alt und studierte; ein Kopftuch trug sie damals nicht. Auch sie war in revolutionärer Hochstimmung gewesen, hatte den Sturz des Schahs bejubelt. Doch nach zwei Jahren hätte es angefangen: Erst hätten sie in den staatlichen Einrichtungen Schleier tragen müssen, bald überall. Ihr Mann bemitleidet sie wegen der Verschleierung, gleichzeitig jedoch überfürsorglich, als habe er etwas gutzumachen, will ihr Gänge zu Behörden nicht zumuten, damit sie dort nicht im Tschador auftauchen muss.

Umgekehrt ist sie für familiäre Angelegenheiten inzwischen allein zuständig. Ungewollt hat sich die klassische Rollenverteilung eingeschlichen. Als ihr Vater krank wurde, hat Shirin vor ein paar Wochen ihre Arbeit aufgegeben, um ihn zu pflegen. Sie weiß noch nicht, wie sie eine neue finden kann und ob sie das überhaupt noch will. »Die jungen Mädchen, die mit dem Schleierzwang aufgewachsen sind, tragen es leichter«, meint sie, »ich habe mich in den Jahren verändert, es fällt mir immer noch schwer, dieses Kopftuch zu tragen. Es ist wie eine Last auf meinem Kopf, die mich gebückt gehen lässt.»

Ich treffe zwei junge Frauen auf einer luxuriösen Reitanlage im Norden Teherans. Die beiden Mädchen, 18 und 19 Jahre alt, unterscheiden sich im Outfit kaum von Frauen in anderen Ländern. Unter dem Helm fällt das Kopftuch kaum auf, ansonsten trägt man Reithosen und ein weites Hemd. Auf Geschlechtertrennung wird auf nicht geachtet, nur die Reitlehrerin läuft in wallenden schwarzen Gewändern herum. Ihre Freizeit verbringen die Mädchen fast ausschließlich hier. Wer könnte es ihnen verdenken, ein kleiner Garten Eden weit ab vom Schuss, Khomeini hängt nur als Bild in der Teestube - leicht zu übersehen.

Man kann sich zur Zeit in Teheran kaum vorstellen, dass es im vergangenen Sommer nach der Schließung der Khatami-nahen Zeitung Salam an den Universitäten zu Massenprotesten gekommen ist. Aber das liegt einfach daran, dass die meisten Iraner Khatami einfach glauben wollen. Khatami wird in Zukunft unter noch stärkerem Druck stehen, die klerikale Knebelung durch das politische System im Iran zu beenden.