Truppenabzug und israelische Innenpolitik

Baraks Alleingang

Kein Zweifel, dass Ehud Barak mit dem rasanten Rückzug aus der »Sicherheitszone« im Südlibanon mit seiner politischen Karriere Vabanque gespielt hat. Der Rückzug war weder von einem Kabinettsbeschluss gedeckt, noch vollzog er sich im Einvernehmen mit der israelischen Armeeführung. Allein Barak zeichnete dafür verantwortlich, und sowohl Erfolg als auch Misserfolg werden ausschließlich am Regierungschef hängen bleiben.

Auf den ersten Blick schien es auf ein Desaster für Barak hinauszulaufen. Der Rückzug weckte in der israelischen Presse Erinnerungen an den US-Abzug aus Vietnam. Die Zeitung Yedioth Aharonoth sprach davon, man habe Israel »mit heruntergelassenen Hosen« erwischt. Und Generalstabschef Shaul Mofaz folgte nur widerwillig den Befehlen Baraks und machte aus seiner Kritik keinen Hehl. Dass der Oppositionsführer Ariel Sharon die Art des Rückzugs kritisierte, überraschte hingegen kaum, auch wenn er sich zuvor jahrelang selbst für einen einseitigen Abzug stark gemacht hatte. Schwerer wogen die Vorwürfe vieler Bewohner der nordisraelischen Grenzregion, die sich von der Regierung im Stich gelassen wähnten.

Dennoch haben über drei Viertel der Israelis den Rückzug aus dem Libanon begrüßt. Barak hat damit sein zentrales Wahlversprechen eingelöst. Schon aus diesem Grund konnte er es sich innenpolitisch gar nicht leisten, die alte Libanon-Politik fortzusetzen. In der liberalen Presse erhielt der Ministerpräsident denn auch Unterstützung. Amir Oren bewertete in Ha'aretz den Rückzug als einen »brillanten Erfolg«. Und Tom Segev wies, ebenfalls in Ha'aretz, darauf hin, dass Barak der erste Ministerpräsident sei, der mit einem Rückzug ein der Öffentlichkeit gegebenes Versprechen eingehalten und nicht gebrochen habe.

Auch für die israelische Friedensbewegung wurde eine wesentliche Forderung erfüllt. Sie forderte Barak aber zu weitergehenden Konsequenzen auf. »Wir müssen die Lektion lernen«, so hieß es in einer Anzeige der linken Friedensorganisation Gush Shalom am Freitag in Ha'aretz, »wir müssen die Wesbank und den Gaza-Streifen räumen. Dies ist die Stunde. Wenn wir sie versäumen, wird es uns Leid tun.«

Doch gerade hier steht Barak vor enormen innenpolitischen Schwierigkeiten. Der lange schwelende Konflikt mit dem größten Koalitionspartner von Baraks One Israel, der sephardisch-orthodoxen Shas, hatte sich zuletzt an der vom Regierungschef geplanten Rückgabe dreier Vororte von Jerusalem neu entzündet. Shas und die Partei Israel b'Aliyah drohten, gegen die Regierung zu stimmen, während die Nationalreligiöse Partei die Koalition gleich ganz verließ.

Auch die liberale Partei Meretz, einst die Spitze der etablierten Friedensbewegung, war in den letzten Wochen kurz davor, die Regierung zu verlassen und damit Baraks Verhandlungspolitik scheitern zu lassen. Ihr Vorsitzender Yossi Sarid liegt mit der orthodoxen Shas im Dauerclinch. Sarid war auch innerhalb der israelischen Regierung einer der schärfsten Gegner des einseitigen Abzugs aus dem Libanon.

Für die israelische Linke ist diese Fixierung von Meretz auf den Konflikt zwischen Säkularismus und Orthodoxie eines der zentralen Probleme. Schließlich käme es doch gerade jetzt darauf an, den Schwung aus den Ereignissen im Libanon auch in anderen Bereichen zu nutzen. Tatsächlich ist die Verflechtung von Innen- und Außenpolitik in Israel selten so deutlich geworden wie in den letzten Wochen. Für Gush Shalom jedenfalls ist eines klar: Erst muss es zu einer Einigung mit den Palästinensern kommen, dann kann Israel seine innenpolitischen Probleme angehen.